Hamburg. Der HSV muss am 34. Spieltag auf Schützenhilfe des 1. FC Köln hoffen, um den direkten Abstieg zu vermeiden. Gar nicht so unrealistisch.
"FC gib Gas, hier wird nicht resigniert", singt Wolfgang Niedecken in einer der zahlreichen Hymnen auf den 1. FC Köln. Damit nimmt der BAP-Frontmann dieser Tage auch zahlreichen HSV-Fans die Worte aus dem Mund, die auf einen Erfolg der bereits abgestiegenen Rheinländer beim VfL Wolfsburg hoffen.
Denn nur unter dieser Prämisse bliebe Hamburg am 34. Spieltag der Fußball-Bundesliga noch eine Restchance auf den Klassenverbleib über die Relegation – ein eigener Sieg im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach vorausgesetzt.
Doch ist ein Auswärtssieg des Tabellenletzten in Niedersachsen tatsächlich realistisch? Abendblatt.de findet "ja" und listet elf mehr oder weniger jecke Gründe für einen kölschen Beitrag zum Hamburger Wunder Klassenerhalt auf.
1.) FC-Absteiger sind Siege gewohnt
Zugegeben, die Bilanz der bisherigen Schlusslichter an einem letzten Bundesligaspieltag nimmt sich mit zehn Siegen, 13 Unentschieden und 31 Niederlagen insgesamt einigermaßen verheerend aus. Doch wenn es einem Kellerkind einmal gelingt, sich ehrenvoll aus der Beletage zu verabschieden, dann ist der FC ganz vorne dabei.
So siegten die Kölner in der Saison 2000/01 als bereits feststehender Absteiger mit 3:2 bei Energie Cottbus. Und in der Spielzeit 2005/06 kanzelten die abgestiegenen Rot-Weißen Arminia Bielefeld noch einmal mit 4:2 ab. Der blutjunge Lukas Podolski trug in diesem Spiel zwei Tore bei, jubelte euphorisch und empfahl sich nicht zuletzt durch seine Abschiedsgala für einen Wechsel zum FC Bayern München.
Auch der HSV erfuhr schon am eigenen Leib, dass sich vermeintlich hoffnungslose Fälle plötzlich noch einmal zur Wehr setzen können. Zum Schlusspunkt der Saison 1991/92 mussten sich die Rothosen beim abgeschlagenen Tabellenletzten Fortuna Düsseldorf mit 0:1 geschlagen geben.
2.) Köln liegt der letzte Spieltag
Überhaupt liegt Köln der letzte Spieltag. Kurz vor der Sommerpause drehen die Geißböcke gerne noch einmal richtig auf – was ein Blick auf die Statistik beweist. In 45 Spielzeiten verabschiedeten sich die Rheinländer 22 Mal mit einem Sieg von den Fans. Bei zehn Remis stehen dem lediglich 13 Niederlagen gegenüber.
Dabei fürchtet der FC auch keine Auswärtshürde: In der Fremde feierte das Bundesliga-Gründungsmitglied bislang acht dreifache Punktgewinne (bei neun Niederlagen und sieben Unentschieden) – eine durchaus respektable Bilanz.
Die Mutter aller Letzter-Spieltag-Siege war das 5:0 beim FC St. Pauli in der Saison 1977/78. Das Schützenfest im Volksparkstadion (!) war bitter nötig, da die punktgleichen Gladbacher sich im Fernkampf um den Titel anschickten, gegen Borussia Dortmund das Torverhältnis aufzuholen. Doch am Ende reichte auch ein 12:0-Sieg nicht zum Meisterstück, da eben auch die Geißböcke zum Kantersieg ansetzten.
3.) Geplatzte Fanfreundschaft mit St. Pauli
Der Sieg gegen St. Pauli begründete ganz nebenbei eine Freundschaft zwischen FC-Fans und Anhängern des Kiezclubs. Inzwischen hat sich die Liaison jedoch wieder zerschlagen.
Beide Vereine sind sich längst nicht mehr so nahe, Freundschaftsschals werden nicht mehr aufgelegt. Mit einem Sieg in Wolfsburg könnte Köln also dem HSV helfen und darüber auch seiner Verflossenen eins auswischen...
4.) Freibier für die Kölner Kehlen
...der FC ist also wieder zu haben – und die HSV-Fans riechen Lunte. In den sozialen Netzwerken werden die Kölner mit allerhand lukrativen Angeboten geködert. Supporters-Chef Timo Horn würde sich bei einem Sieg in Wolfsburg ein Trikot seines Kölner Namensvetters zulegen, etliche andere Hamburger Anhänger locken die geschundenen Kehlen mit Tausenden Litern Freibier.
Schließlich ist verbrieft: "Die Kölner, die han immer Doosch" ("Kölner haben immer Durst"). Und die ersten FC-Fans scheinen anzubeißen. "Keine Sorge, wir schießen Wolfsburg mit runter", schreibt stellvertretend einer bei Facebook.
5.) Nervöses Umfeld in Wolfsburg
Im Wolfsburger Umfeld hagelt es hingegen Negativschlagzeilen. Identifikationsfigur Maximilian Arnold beklagt die stete "Unruhe", die sich auch auf die Spieler auswirke. Teamkollege Josuha Guilavogui bekommt weiche Knie ("Der Abstieg wäre eine Katastrophe für jeden von uns").
Fans verhöhnen den einstigen HSV-Retter und jetzigen VfL-Trainer Bruno Labbadia. Einige Anhänger bedrohen die Profis und hängen volle Windeln am Trainingsgelände auf. Konsequenz: Labbadia schirmt das Team nun völlig ab.
Dazu passt ins Bild, dass wenige Tage vor dem entscheidenden Spiel gegen Köln das Stadion noch immer nicht ausverkauft ist. Und das trotz einer für Pufferzonen um 1200 Plätze verringerten Kapazität. Bedingungslose Unterstützung sieht anders aus...
Mögliche Szenarien im Abstiegskampf
6.) Wolfsburgs Trauma ist noch frisch
Im Gegensatz zu Köln hat sich Wolfsburg ein nicht zu verachtendes Letztes-Spieltag-Trauma erschaffen. Denn die 1:2-Niederlage beim HSV zum Showdown im vergangenen Jahr steckt noch in den Köpfen der VfL-Profis.
Die Last-Minute-Pleite bedeutete für die "Wölfe" den bitteren Gang in die Relegation, die sie nur mit Glück und Geschick gegen Eintracht Braunschweig überstanden.
7.) Rückrundentabelle spricht Bände
Die Form spricht für Köln. In der Rückrundentabelle steht der FC immerhin auf Platz 15 – und damit fünf Punkte vor dem 18. aus Wolfsburg. Der VfL ist mit nur 14 Punkten zudem die schlechteste Heimmannschaft (neben dem 1. FC Köln), in diesem Kalenderjahr gelang in der Volkswagen Arena noch kein einziger Sieg.
Auch das Hinspiel in Köln verlor Wolfsburg – das zu diesem Zeitpunkt peinliche 0:1 zum Vorrundenabschluss war gleichzeitig der erste Saisonsieg des eigentlich schon demoralisierten FC.
8.) Kölns Moral ist mehr als intakt
Apropos demoralisieren: So einfach lässt sich der Kölner nicht abschreiben. "Die Mentalität der Kölner ist trotz des Abstiegs wirklich stark", sagt Jean-Marcel Nartz. Der in der Domstadt lebende Boxmanager, der die Karrieren von Henry Maske und Axel Schulz entscheidend vorangetrieben hat sowie jahrelang unter anderem für die Klitschko-Brüder als Technischer Leiter arbeitete, weiß auch warum.
"Das sieht man schon daran, dass Jonas Hector und Timo Horn sich zum FC bekennen. Die wollen auch am letzten Spieltag in Wolfsburg gewinnen“, prognostiziert HSV-Fan Nartz. In der Tat könnten die Vertragsverlängerungen von Horn und Hector auch bei der Abschiedsvorstellung im Oberhaus noch einmal Kräfte freisetzen (siehe Podolski unter Punkt 1.).
9.) Pizarro kann sich rehabilitieren
Auch ein alter Haudegen möchte es noch einmal wissen: Claudio Pizarro. Der Peruaner schoss gegen den HSV die meisten seiner 192 Bundesligatore, nämlich 19. Mit einem Treffer in Wolfsburg könnte sich der 39-Jährige in seinem mutmaßlichen letzten Auftritt auf einen Schlag in Hamburg rehabilitieren.
Und der VfL kommt in der Reihe der Lieblingsgegner direkt auf Platz zwei: Denn gegen die Niedersachsen war Pizarro bislang auch immerhin schon 15-mal erfolgreich. Mit einem starken Auftritt könnte sich der beste ausländische Bundesligaschütze außerdem für den peruanischen WM-Kader empfehlen. "Das wäre ein Traum für mich", sagt Pizarro.
Auch Armin Veh dürfte ein Sieg in Wolfsburg besonders gut schmecken. Denn die bislang einzige Heimniederlage der Niedersachsen gegen den 1. FC Köln (2:3) kostete dem damaligen VfL-Trainer nach einer Sieglos-Serie von neun Spielen den Job. Jetzt kehrt der ehemalige HSV-Coach als Kölner Sportdirektor nach Wolfsburg zurück und könnte späte Genugtuung für sein einstiges Aus erfahren.
10.) Ohne Didavi ist Wolfsburg chancenlos
Wolfsburgs Offensive ist noch harmloser als die des FC. Und nun droht auch noch der Ausfall des mit Abstand besten Scorers Daniel Didavi (neun Tore, sechs Vorlagen). Der 28-Jährige hatte zuletzt beim 1:4 bei RB Leipzig das Wolfsburger Tor erzielt und auch den bisher einzigen Sieg unter Bruno Labbadia, ein 2:0 in Freiburg, mit einem Doppelpack herbeigeführt.
Der Mittelfeldspieler klagt weiter über Probleme in der Achillessehne und konnte auch am Mittwoch nicht trainieren. Dass Didavi am Sonnabend auflaufen kann, ist daher eher unwahrscheinlich. Auch der Spanier Ignacio Camacho droht für die Partie gegen den Letzten auszufallen.
11.) Das kölsche Grundgesetz
Der rheinische Frohsinn ist nahezu grenzenlos, auch beim HSV wird dieser durch Lewis Holtby in die Kabine transportiert. Und der Hamburger Hoffnungsträger sollte die Kölner, aber auch die eigenen Kollegen noch einmal an das kölsche Grundgesetz erinnern. Dort heißt es im dritten Gebot: "Et hätt noch immer jot jejange". Und wer wüsste das besser als die Überlebenskämpfer aus Hamburg und die erprobten Wiederaufsteiger aus Köln...