Wolfsburg/Hamburg. Eine starke Vorstellung lässt die Hamburger an den Klassenerhalt glauben. Trainer Titz bewies wieder das richtige Gespür.
Der Dino will einfach nicht sterben. Nach einem 3:1-Sieg (2:0) beim VfL Wolfsburg kann der schon abgeschriebene HSV weiter auf den Klassenerhalt hoffen. „Wir sind noch lange nicht tot“, sagte Lewis Holtby nach dem Spiel am Sky-Mikrofon, „ich glaube zu 100 Prozent an die Rettung. Wir wollen das noch herumreißen." Der Rückstand auf den Relegationsplatz der Bundesliga ist auf zwei Punkte geschrumpft – und mit einer Leistung wie am Sonnabend beim direkten Abstiegskonkurrenten sollten auch sie aufzuholen sein.
Bei der Aufstellung wartete HSV-Trainer Christian Titz auch im sechsten Spiel seiner Amtszeit mit einer Überraschung auf: Erstmals ließ er Bobby Wood von Beginn an stürmen. Der US-Amerikaner hatte letztmals am 10. Februar bei der 0:2-Niederlage in Dortmund in der Anfangsformation gestanden. Zuletzt konnte er sich durch gute Trainingsleistungen und einen engagierten Joker-Auftritt beim 1:0-Sieg über Freiburg empfehlen. Luca Waldschmidt blieb dafür draußen, da Aaron Hunt seine Oberschenkelblessur rechtzeitig auskuriert hatte.
Wieder einmal würde sich Titz auf sein Gespür verlassen können – aber dazu später mehr. Wood stand jedenfalls schon nach wenigen Sekunden im Blickpunkt, als er nach einem Rempler von Jakub Blaszczykowski im Strafraum zu Boden ging, doch Schiedsrichter Daniel Siebert bewertete diese Szene zu Recht als branchenüblichen Zweikampf.
Auch in der Folge ließ der HSV keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Anspruch nur der Sieg sein konnte. Für die Wolfsburger, vor dem Spiel noch fünf Punkte vor dem HSV liegend, war die Ausgangslage da anders. „Wir wären auch mit einem Punkt zufrieden“, sagte Pablo Thiam, sportlicher Leiter der Regionalligamannschaft des VfL.
Dass der Exprofi vor das Sky-Mikrofon gebeten wurde, hatte sich kurzfristig ergeben: Sportdirektor Olaf Rebbe war am Vorabend freigestellt worden – und Wunschnachfolger Horst Heldt hatte von Hannover 96 unter der Woche keine Freigabe für einen Wechsel erhalten.
Die Unruhe im Automobil-Club schien sich zunächst nicht auf den Rasen zu übertragen. Beide Mannschaften setzten auf Offensive. Kyriakos Papadopoulos per Kopf die HSV-Führung (8. Minute). Die erste Großchance aber bot sich dem VfL Wolfsburg, doch Renato Steffen setzte den Ball aus kurzer Distanz weit übers Tor (24.).
Wood bleibt vom Punkt cool
Nach einer halben Stunde schienen sich beide Teams darauf geeinigt zu haben, das Tempo vorübergehend zu drosseln. Aus dem Spiel heraus ergaben sich inzwischen weniger Möglichkeiten, und aus den drei Ecken, die der HSV in der ersten Hälfte zugesprochen bekam, machte er nichts – dabei hatten noch am Freitag Standardsituationen auf dem Trainingsplan gestanden.
Den Unterschied machte dann eine andere Standardsituation: Elfmeter. Der wieder sehr auffällige Tatsuya Ito hatte Josuha Guilavogui mit einem seiner Blitzantritte im Strafraum buchstäblich auf dem falschen Fuß erwischt – für diese Entscheidung brauchte Siebert keinen Videobeweis.
Bobby Wood trat an: Er, der bislang nur beim Sieg in Köln am zweiten Spieltag getroffen hatte, dem bis dato einzigen Hamburger Auswärtssieg. Und der US-Stürmer behielt die Nerven – 0:1 (43. Minute). "Es freut mich enorm für Bobby, er hat sich heute für seine guten Trainingsleistungen in den letzten beiden Wochen belohnt“, sagte Titz später.
Holtby setzt seinen Lauf fort
Eine Minute später hätte Wood, von Ito angespielt, sogar erhöhen können, verstolperte jedoch. Doch es gab keinen Grund, der Chance nachzutrauern. Denn nur eine weitere Minute später war es Lewis Holtby, der wiederum nach Ito-Vorarbeit per Kopf zum 0:2 ins lange Eck verlängerte (45.). Natürlich Holtby: Für den lange verschmähten Ex-Nationalspieler war es bereits das vierte Tor unter seinem Mentor Titz, sein erster Kopfballtreffer seit dem 25. September 2012. Und die HSV-Fans frohlockten schon: "Niemals Zweite Liga!"
Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia reagierte und wechselte Josip Brekalo für Paul Verhaegh ein. Doch die Hamburger hielten den VfL auch in der zweiten Halbzeit lange Zeit erfolgreich von ihrem Tor fern. Einzig bei Standardsituationen wurde es gefährlich: Nach einem Blaszczykowski-Freistoß rutschten gleich drei Wolfsburger am Ball vorbei (60.).
Filip Kostic hätte dann die Nerven beruhigen können, wenn er einen mustergültigen HSV-Konter zum 3:0 verwertet hätte, doch Casteels hielt mit seiner Parade den VfL im Spiel (72.). Auch Douglas Santos hatte die Entscheidung auf dem Fuß, schoss aber Casteels an (76.).
Pollersbeck verschätzt sich
Wenig später wurde es stattdessen wieder spannend, als ein Freistoß von Brekalo an Freund und Feind vorbei ins Hamburger Tor hoppelte – nur noch 1:2 (78.). Torwart Julian Pollersbeck erkannte zu spät, dass der Ball nicht abgefälscht wurde.
Doch sein Fehler blieb folgenlos. Denn große Torchancen hatte nur noch der HSV. Bakery Jatta scheiterte zweimal. Doch beim nächsten Konter wurde Waldschmidt, der inzwischen für Wood gekommen war, von Wolfsburgs William im Strafraum gefoult – wieder Elfmeter.
Waldschmidt trifft nur gegen Wolfsburg
Diesmal übernahm Kostic die Verantwortung, doch der Serbe scheiterte an Casteels – schon beim 0:0 gegen Mainz Anfang März hatte Kostic verschossen. Den Nachschuss aber verwertete Waldschmidt humorlos. Waldschmidt? Genau! Ebenjener Waldschmidt, der den HSV mit seinem Siegtor gegen ebenjene Wolfsburger am letzten Spieltag der vergangenen Saison vor der Relegation gerettet hatte. Es war sein einziges Bundesligator – bis zu diesem Sonnabend.
Damals hatte Waldschmidt die Wolfsburger in die Relegation geschossen hatten. Diesmal droht den Niedersachsen sogar noch der direkte Abstieg. Zum achten Mal nacheinander blieb der VfL daheim ohne Sieg, das hatte es zuvor noch nie gegeben. Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia, der den HSV 2015 in fast aussichtsloser Lage vor dem Abstieg gerettet hatte, ist auf seiner neuerlichen Rettungsmission noch nicht vorangekommen. Am Sonntag könnte der FSV Mainz den Relegationsplatz an die Wolfsburger abtreten.
Jetzt "Halbfinale" in Frankfurt
Und während der 1. FC Köln nach der 2:3-Niederlage in Freiburg nicht mehr zu retten ist, arbeitet der HSV weiter an seinem Fußballwunder. Zwei Punkte beträgt der Rückstand zur Relegation jetzt noch – vor gut einer Woche waren es noch acht. Und zwei Spiele bleiben, sie aufzuholen. „Nächste Woche kommt das Halbfinale in Frankfurt“, sagte Holtby in Anlehnung an seinen Mentor Titz, der für den Saisonendspurt den K.-o.-Modus ausgerufen hatte. Dann ging der frühere Nationalspieler zum Feiern in die Hamburger Fankurve.
Das letzte Spiel gegen Mönchengladbach am 12. Mai kann tatsächlich noch zu einem echten Finale werden. Und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass dem HSV Schlussszenen wie in Wolfsburg erspart bleiben. Da mussten sich die Wolfsburger Profis ihren wutgeladenen Anhängern stellen, die sich ihren Weg in den Innenraum des Stadions gebahnt hatten. Sie skandierten: "Wir haben die Schnauze voll!"
Der HSV ist gerade erst auf den Geschmack gekommen.