Wirtschaftswissenschaftler und Tourismusmanager warnen vor Abstieg. Bis zu 300 Arbeitsplätze könnten verloren gehen.

Die Auswärtsfahrt der „Fangemeinschaft Freiburg“ nach Hamburg ist längst ausgebucht. Zugreise mit Sitzplatzreservierung, Hostel „in Nähe der Reeperbahn“ ab 40 Euro die Nacht. Sonntag geht es zurück, die Eintrittskarte kommt noch dazu, kann aber von der Fangemeineinschaft besorgt werden. Für 69 Euro sind FG-Mitglieder dabei, Nichtmitglieder zahlen 89 Euro. Viele andere reisen auf eigene Faust aus dem Breisgau zum Bundesligaspiel des SC Freiburg beim HSV an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker abendblatt.de), mit dem Auto, mit dem Bus. Viele verbinden das Fußballspiel mit einer Kurzreise in die schönste Hansestadt der Welt. Auch über einem entsprechenden Angebot vom HSV-Reisebüro steht längst: „ausgebucht“.

Der HSV ist ein Wirtschaftsfaktor für Hamburg, ein Arbeitgeber, Umsatzbringer und Steuerzahler. Ein Imagefaktor. Der nahe scheinende erste Abstieg aus der Fußball-Bundesliga bedeutet da weitaus mehr als „nur“ verstörte und enttäuschte Fans. „Wir wissen um die große Bedeutung des HSV für Marketing und wirtschaftliche Effekte für die Stadt“, sagte Hamburgs Tourismus-Chef Michael Otremba dem NDR.

2502 Fans aus Freiburg

2502 Zuschauer werden aus Freiburg anreisen, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Aber natürlich ist dieses Gästeaufkommen nicht zu vergleichen mit den Clubs aus Dortmund, Schalke oder München. Durchschnittlich 4000 auswärtige Fans kalkuliert der HSV pro Saison – eine Summe, die in der Zweiten Liga mit ihren doch deutlich kleineren Vereinen aus Sandhausen, Heidenheim, Aue oder Regensburg nicht annähernd zu erzielen sein wird.

Durchschnittlich, das hat die Deutsche Fußball Liga (DFL) errechnet, geben Auswärtsfans, die ausschließlich das Spiel besuchen, 40 Euro zusätzlich zu den Eintrittskarten aus. Rund 5000 Fans übernachten anlässlich eines HSV-Spiels in Hamburg. Darunter sind also auch HSV-Fans mit längerer Anreise. „Ein Abstieg würde wohl Einbußen für Gastronomie und Einzelhandel bedeuten“, meint Otremba, „natürlich betrachte ich deshalb die Situation beim HSV mit Sorge.“

Der HSV betreibt fünf Fanshops und hat rund acht
Millionen Euro mit Merchandising eingenommen
Der HSV betreibt fünf Fanshops und hat rund acht Millionen Euro mit Merchandising eingenommen © Witters

Henning Vöpel hat in einer Studie schon vor zehn Jahren die wirtschaftliche Bedeutung des HSV für Hamburg herausgearbeitet. Jetzt geht der Leiter des Hamburgischen WeltWirtschafts-Instituts (HWWI) davon aus, dass der HSV jährlich etwa 100 Millionen Euro über Hotelübernachtungen, Taxifahrten, Kneipentouren und Restaurantbesuche für Hamburg einbringt. Damit seien entsprechend 700 bis 800 Arbeitsplätze durch den HSV entstanden.

„Im ersten Jahr nach dem Abstieg würden wohl 30 Millionen Euro an Wertschöpfung wegfallen, in einem zweiten Jahr wären es dann schon 50 Millionen“, erklärte Vöpel im NDR, „das würde einen Verlust von 200 bis 300 Arbeitsplätzen bedeuten.“ „Jeder Euro Wertschöpfung bei den Clubs der Bundesliga generiert 2,60 Euro bei anderen Systembeteiligten aus der deutschen Wirtschaft“, hat die Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey 2013 in einem Report festgestellt. Laut DFL stiegen die Zahlungen des Profifußballs an den Staat sowie die Sozial- und Unfallversicherungen seit 2007/08 auf insgesamt 8,57 Milliarden Euro.

Viele haben Angst um ihre Jobs

Rund 130 Menschen sind beim HSV fest angestellt. Darunter Spieler, Trainer, ein umfangreiches Verwaltungs- und Managementteam, Sekretärinnen, Empfangsdamen – nicht wenige haben Angst um ihre Jobs, sollte es in die Zweite Liga gehen. Einige, so ist zu hören, hätten deshalb schon von sich aus gekündigt, andere haben Bewerbungen losgeschickt. Der HSV kalkuliert für die Zweite Liga mit Mindereinnahmen von mehr als 40 Millionen Euro. Allein 20 Millionen gingen durch weniger TV-Gelder verloren. Das ist nicht allein am Lizenzspielerkader einzusparen, der von 55 auf 33 Millionen Euro Gehälter eingedampft werden soll.

Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen sind oft
Teilzeitbeschäftigte
Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen sind oft Teilzeitbeschäftigte © Witters

Problematisch kann es auch für zahlreiche Teilzeitkräfte werden. Bis zu 1500 sind an Spieltagen beschäftigt, vom Ordner bis zum Maskottchen-Darsteller. Für das Catering im Stadion ist HSV-Partner Aramark verantwortlich. Das Unternehmen beschäftigt rund 500 Teilzeitkräfte bei einem Spiel mit 50.000 Zuschauern im Stadionrund und etwa 250 in den VIP-Bereichen. Dazu kommen noch 25 Festangestellte, die täglich im Stadion arbeiten, unter anderem im Restaurant Raute, aber vor allem in der Planung und Organisation. Rund 75.000 Liter Getränke werden konsumiert, wenn wie jetzt gegen Freiburg etwa 53.000 Fans kommen. Knapp 12.000 Brezeln und 30.000 Würstchen werden verputzt. Wie viele Euro genau der durchschnittliche Fan während des Spiels ausgibt, darf Thomas Ranke-Hoffmann, der Aramark-Distriktleiter für den HSV, nicht sagen.

„Gefährliche Zäsur“

Er und sein Team haben auch schon über die Zweite Liga nachgedacht – und festgestellt, dass sich so viel nicht ändern wird. „Wir haben im letzten Jahr bei unserem Partner VfB Stuttgart gesehen, dass die Umsätze in der Zweiten Liga praktisch gleich geblieben sind“, sagt er, „wenn der HSV es schafft, in der Zweiten Liga erfolgreich zu sein, dann kann das Stadion auch weiterhin voll sein.“ Die Schwaben hatten wegen ihres Erfolges auch in der Zweiten Liga einen Zuschauerschnitt von 50.000. Dennoch: „Der Abstieg hat uns 40 Millionen Euro gekostet“, sagte VfB-Finanzvorstand Stefan Heim.

Der HSV kann ahnen, was auf ihn zukommt. Und auf die Stadt. „Sportlich, wirtschaftlich und strategisch wäre ein Abstieg eine gefährliche Zäsur“, weiß Wirtschaftswissenschaftler Vöpel.

Auch in den Logen sind an Spieltagen bis zu
250 Servicekräfte beschäftigt
Auch in den Logen sind an Spieltagen bis zu 250 Servicekräfte beschäftigt © Witters