Hamburg. Mittelfeldspieler legt sein Studium auf Eis. Beim HSV ist er unter Titz unverzichtbar, auch andere Vereine klopfen bereits an.

Matti Steinmann schnappte sich einen Stift und nahm sich Zeit. Als wäre es Routine, erfüllte er geduldig die Autogrammwünsche der knapp 60 Kiebitze nach der Vormittagseinheit. Dabei genießt der 23-Jährige erst seit vier Wochen als fester Bestandteil des Profikaders die Aufmerksamkeit der HSV-Fans. Ähnlich routiniert wie in der Fantraube zwischen Selfie- und Autogrammjägern verhält sich Steinmann auch auf dem Platz. Unter Neu-Trainer Christian Titz ist der bisherige U-21-Spieler der Fixpunkt im defensiven Mittelfeld. Als erste Anspielstation für die Defensive soll er die Angriffe einleiten. „Ich habe das Gefühl, er mag es, wenn er umzingelt ist. Dann scannt er links und rechts über die Schulter und sucht nach einer Lösung. Es freut mich, mit welcher Lockerheit und mit welchem Selbstverständnis er hier auftritt“, sagt Titz nicht etwa über Steinmanns Vorgehen beim Autogrammschreiben, sondern über dessen Qualität, Ruhe in Zweikämpfen zu bewahren. „Er reagiert mit wenig Stress auf enge Situationen.“

Steinmanns Bundesliga-Karriere galt als beendet

Dass Steinmann überhaupt in der Bundesliga spielt, zeigt die Schnelllebigkeit des Fußballs. Wäre Titz nicht von der zweiten Mannschaft zu den Profis befördert worden, hätte sich Steinmann wohl nie wieder in Deutschlands höchster Spielklasse messen können. Denn die Erstliga-Karriere des Mittelfeldspielers galt schon als beendet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Als Steinmann am 20. September 2014 in der 87. Minute unter dem damaligen Neu-Trainer Joe Zinnbauer gegen Bayern München debütierte, versprach sich der HSV eine große Zukunft von seinem Eigengewächs, das nahezu alle Jugendmannschaften des Vereins durchlief. Doch Steinmann setzte sich selbst zu sehr unter Druck und konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Ein zweiter Bundesligaeinsatz kam nicht hinzu, in der Rückrunde hatte er es nicht einmal in den Kader geschafft.

Bilder vom HSV-Training am Dienstag:

Ein Rückkehrer, zwei Verletzte – HSV-Training am Dienstag

Siege sind das beste Argument: Trainer Christian Titz lässt sich auf eine Diskussion mit Bobby Wood, Gotoku Sakai, Patric Pfeiffer und Julian Pollersbeck (v. r. n. l.) ein
Siege sind das beste Argument: Trainer Christian Titz lässt sich auf eine Diskussion mit Bobby Wood, Gotoku Sakai, Patric Pfeiffer und Julian Pollersbeck (v. r. n. l.) ein © WITTERS | TimGroothuis
André Hahn scheint das Training kaum erwarten zu können
André Hahn scheint das Training kaum erwarten zu können © WITTERS | TimGroothuis
Auch Rick van Drongelen, Tatsuya Ito, Aaron Hunt und Gotoku Sakai (v. l. n. r.)  freuen sich offensichtlich auf die neue Arbeitswoche
Auch Rick van Drongelen, Tatsuya Ito, Aaron Hunt und Gotoku Sakai (v. l. n. r.) freuen sich offensichtlich auf die neue Arbeitswoche © WITTERS | TimGroothuis
Rekonvaleszent Nicolai Müller absolvierte am Dienstag Teile des Trainings von Christian Titz
Rekonvaleszent Nicolai Müller absolvierte am Dienstag Teile des Trainings von Christian Titz © WITTERS | TimGroothuis
Trainer Christian Titz (l.) erklärt dem lange verletzten Torjäger seinen Plan
Trainer Christian Titz (l.) erklärt dem lange verletzten Torjäger seinen Plan © WITTERS | TimGroothuis
Nicolai Müller hatte bereits am Sonntag erstmals nach seinem Kreuzbandriss wieder mit den Reservisten trainiert
Nicolai Müller hatte bereits am Sonntag erstmals nach seinem Kreuzbandriss wieder mit den Reservisten trainiert © WITTERS | TimGroothuis
Er machte aber wie geplant nur einen Teil des Mannschaftstrainings mit
Er machte aber wie geplant nur einen Teil des Mannschaftstrainings mit © WITTERS | TimGroothuis
Youngster Aaron Opoku durfte, wie auch U-19-Kollege Patric Pfeiffer, die Einheit mitmachen
Youngster Aaron Opoku durfte, wie auch U-19-Kollege Patric Pfeiffer, die Einheit mitmachen © WITTERS | TimGroothuis
Trainer Christian Titz (l.) stellt der Mannschaft eine Übung vor ...
Trainer Christian Titz (l.) stellt der Mannschaft eine Übung vor ... © WITTERS | TimGroothuis
... und beweist selbst Ballgefühl
... und beweist selbst Ballgefühl © WITTERS | TimGroothuis
Albin Ekdal (l.) wird von Rick van Drongelen bedrängt
Albin Ekdal (l.) wird von Rick van Drongelen bedrängt © WITTERS | TimGroothuis
Aaron Hunt (l.) im Gespräch mit Dennis Diekmeier (M.) und André Hahn
Aaron Hunt (l.) im Gespräch mit Dennis Diekmeier (M.) und André Hahn © WITTERS | TimGroothuis
Filip Kostic (vorn links) und Luca Waldschmidt haben ihren Spaß
Filip Kostic (vorn links) und Luca Waldschmidt haben ihren Spaß © WITTERS | TimGroothuis
Physiotherapeut Benjamin Eisele führt den verletzten Tatsuya Ito vom Platz
Physiotherapeut Benjamin Eisele führt den verletzten Tatsuya Ito vom Platz © WITTERS | TimGroothuis
Geballte Sportkompetenz (v. l. n. r.): die Assistenztrainer Matthias Kreutzer, Soner Uysal, Cehfcoach Christian Titz, Vorstandsberater Thomas von Heesen, Physiotherapeut Benjamin Eisele und Rehabilitationstrainer Sebastian Capel
Geballte Sportkompetenz (v. l. n. r.): die Assistenztrainer Matthias Kreutzer, Soner Uysal, Cehfcoach Christian Titz, Vorstandsberater Thomas von Heesen, Physiotherapeut Benjamin Eisele und Rehabilitationstrainer Sebastian Capel © WITTERS | TimGroothuis
Filip Kostic (l.) ist von Dennis Diekmeier nur unsauber zu halten
Filip Kostic (l.) ist von Dennis Diekmeier nur unsauber zu halten © WITTERS | TimGroothuis
Fiete Arp, Lewis Holtby, Aaron Hunt und Gideon Jung (v. l. n. r.) feiern einen Trainingstreffer
Fiete Arp, Lewis Holtby, Aaron Hunt und Gideon Jung (v. l. n. r.) feiern einen Trainingstreffer © WITTERS | TimGroothuis
Douglas Santos (l.) im Duell mit Abwehrkollege Gideon Jung
Douglas Santos (l.) im Duell mit Abwehrkollege Gideon Jung © WITTERS | TimGroothuis
Gotoku Sakai (l.) schlägt gegen Aaron Hunt einen Haken
Gotoku Sakai (l.) schlägt gegen Aaron Hunt einen Haken © WITTERS | TimGroothuis
Sturm-Youngster Fiete Arp macht vor Abwehr-Routinier Dennis Diekmeier (l.) den Diener
Sturm-Youngster Fiete Arp macht vor Abwehr-Routinier Dennis Diekmeier (l.) den Diener © WITTERS | TimGroothuis
Aaron Hunt (l.) kann es gegen Josha Vagnoman auch rustikal
Aaron Hunt (l.) kann es gegen Josha Vagnoman auch rustikal © WITTERS | TimGroothuis
Die Titz-Zöglinge Matti Steimann (l.) und Lewis Holtby (M.) mit Torwart Christian Mathenia
Die Titz-Zöglinge Matti Steimann (l.) und Lewis Holtby (M.) mit Torwart Christian Mathenia © WITTERS | TimGroothuis
Aaron Opoku (l.) klatscht sich mit Rick van Drongelen ab
Aaron Opoku (l.) klatscht sich mit Rick van Drongelen ab © WITTERS | TimGroothuis
Die Abwehr-Youngster Stephan Ambrosius (l.) und Gideon Jung
Die Abwehr-Youngster Stephan Ambrosius (l.) und Gideon Jung © WITTERS | TimGroothuis
Trainer Christian Titz macht eine Ansage
Trainer Christian Titz macht eine Ansage © WITTERS | TimGroothuis
Torwart Christian Mathenia zeigt, dass er den Ball auch mit dem Nacken halten kann
Torwart Christian Mathenia zeigt, dass er den Ball auch mit dem Nacken halten kann © WITTERS | TimGroothuis
Toreschießen klappt bei Dennis Diekmeier (l., gegen Christian Mathenia) nur im Training
Toreschießen klappt bei Dennis Diekmeier (l., gegen Christian Mathenia) nur im Training © WITTERS | TimGroothuis
Torwart Julian Pollersbeck (l.) und Stürmer Fiete Arp haben den Ball im Blick und den Gegenspieler im Griff
Torwart Julian Pollersbeck (l.) und Stürmer Fiete Arp haben den Ball im Blick und den Gegenspieler im Griff © WITTERS | TimGroothuis
Rick van Drongelen (l.) wird von Aaron Hunt bedrängt
Rick van Drongelen (l.) wird von Aaron Hunt bedrängt © WITTERS | TimGroothuis
Albin Ekdal (l.) kommt vor Fiete Arp an den Ball
Albin Ekdal (l.) kommt vor Fiete Arp an den Ball © WITTERS | TimGroothuis
Jann-Fiete Arp, Lewis Holtby und Gideon Jung (v. l. n. r.) klatschen sich ab
Jann-Fiete Arp, Lewis Holtby und Gideon Jung (v. l. n. r.) klatschen sich ab © WITTERS | TimGroothuis
Torwart Christian Mathenia (r.) geht gegen Stephan Ambrosius (l.) und André Hahn zum Ball ...
Torwart Christian Mathenia (r.) geht gegen Stephan Ambrosius (l.) und André Hahn zum Ball ... © WITTERS | TimGroothuis
... und tut sich dabei weh. Trotz der Behandlung von Physiotherapeut Benjamin Eisele muss der Torhüter das Training abbrechen
... und tut sich dabei weh. Trotz der Behandlung von Physiotherapeut Benjamin Eisele muss der Torhüter das Training abbrechen © WITTERS | TimGroothuis
Angreifer Lewis Holtby übernimmt Mathenias Platz im Tor
Angreifer Lewis Holtby übernimmt Mathenias Platz im Tor © WITTERS | TimGroothuis
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In Chemnitz und bei Mainz II gescheitert

Im folgenden Sommer war sich Steinmann schon mit einem Zweitligisten einig, doch der Wechsel zerschlug sich im letzten Moment. So ließ sich Steinmann für ein Jahr in die Dritte Liga nach Chemnitz verleihen, wo er Spielpraxis sammeln sollte. Das Problem an dem Plan des HSV: Der damalige Trainer der Sachsen, Karsten Heine, hatte kaum Verwendung für den technisch versierten Strategen und setzte lieber auf zweikampfstarke Kämpfertypen. Erst mit dem Trainerwechsel von Heine zu Sven Köhler bekam Steinmann, der nebenbei für wenige Monate Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Chemnitz studierte, wieder das Vertrauen. Mit ihm in der Startelf siegte Chemnitz in sechs von acht Spielen im Saisonendspurt und befreite sich aus der Abstiegsregion.

Für eine Zukunft beim HSV reichte es aber nicht, und so wechselte Steinmann zur zweiten Mannschaft von Mainz 05. Obwohl er unter Sandro Schwarz, dem heutigen Profitrainer der Rheinhessen, in der Rückrunde seinen Stammplatz verlor und der Drittligist abstieg, bekam Steinmann nach nur einem Jahr wieder ein Angebot vom HSV – allerdings dem HSV II. Für den gebürtigen Hamburger stand trotz lukrativerer Offerten von Vereinen aus der Dritten Liga schnell fest, dass er in sein gewohntes Umfeld zurückkehren will.

Titz hat starkes Vertrauen in Steinmann

Steinmann kickte fortan in der Regionalliga Nord. Doch nebenbei verfolgte er noch ein weiteres Ziel: Er wollte sich mit einem Lehramtsstudium für die Fächer Mathematik und Erdkunde ein zweites Standbein aufbauen. Mit einem Abitur-Notenschnitt von 2,8 musste Steinmann aber zunächst Wartesemester sammeln und überbrückte die Zeit mit einem Spanischkurs.

Währenddessen schenkte ihm Titz in der U 21 wieder das Vertrauen, das er brauchte, um erfolgreich Fußball spielen zu können. Und Steinmann zahlte es mit starken Auftritten auf dem Platz zurück. Titz’ offensive Spielidee kommt Steinmanns strategischen Qualitäten entgegen. Als der Kurpfälzer schließlich als Nachfolger des geschassten Trainers Bernd Hollerbach ausgewählt wurde, nahm er Steinmann mit zu den Profis. Auch wenn der Mittelfeldspieler in höheren Ligen bislang gescheitert war, ahnte Titz, dass Steinmann in der Bundesliga bestehen kann. Nach drei Partien zeigt sich, dass der HSV-Coach mit dieser Einschätzung nicht verkehrt lag. Mit einer Passquote von 80,6 Prozent bringt Steinmann eine neue Stärke in die akut abstiegsbedrohte Mannschaft.

Steinmann kommt fast ohne Fouls aus

Dennoch lief bei seinem Bundesliga-Comeback nicht alles auf Anhieb optimal. Im Heimspiel gegen Hertha (1:2) wurden ihm Grenzen in Sprintduellen aufgezeigt. „Das Niveau und der Druck sind höher als in der Regionalliga. Es war schwierig, den Gegner einzufangen“, gestand er anschließend. Doch weil Titz ihm weiterhin Mut zusprach, steigerte sich Steinmann von Woche zu Woche. Um im Zentrum die Bälle zu erobern, kommt er nahezu ohne Foulspiel aus. Mit durchschnittlich 60,5 Prozent gewonnenen Zweikämpfen kaschierte er seine Geschwindigkeitsdefizite in Stuttgart (1:1) und gegen Schalke (3:2).

Weil er plötzlich in der Bundesliga gesetzt ist, hat Steinmann seinen Plan B, Lehrer zu werden, erst mal auf Eis gelegt. Sein Fokus liegt nun auf keinem geringeren Ziel, als ein mittelschweres Fußballwunder mit dem Klassenerhalt des HSV zu schaffen. Wie es nach dem Sommer für ihn weitergeht, steht trotz Vertrags bis 2020 in der Schwebe. Vereine aus der Zeiten Liga haben sich bereits nach einem Transfer erkundigt. Doch darüber wird sich Steinmann erst nach der Saison mit all seiner Geduld Gedanken machen.