Hamburg. Innerhalb von vier Wochen hat der neue Trainer den Profis eine neue Idee vermittelt. Doch wie sieht dieses System aus? Eine Analyse.
Am Montagnachmittag fand Christian Titz endlich mal wieder ein bisschen Zeit. Zum ersten Mal seit seiner Amtsübernahme bei den HSV-Profis vor vier Wochen konnte er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter für zwei Stunden in die Sonne fahren. Mal kurz abschalten von den ereignisreichen Tagen, die am Sonnabend mit dem ersten echten Erfolgserlebnis endeten. Das 3:2 gegen Schalke hat rund um den HSV eine mittelschwere Euphoriewelle ausgelöst. Alle schwärmen plötzlich von der neuen Spielidee, die der 47-Jährige den Hamburger Profis innerhalb kurzer Zeit vermittelt hat.
„Es ist das erste Mal seit Jahren, dass wir richtig Fußball spielen“, sagte etwa Torschütze Lewis Holtby unmittelbar nach dem Sieg gegen Schalke. Selbst Lothar Matthäus lobte hinterher die Handschrift des dritten Trainers der laufenden HSV-Saison. Doch was beinhaltet diese Handschrift eigentlich? Was hat Titz genau verändert? Wie sieht seine Spielidee im Einzelnen aus?
Die Pässe kommen besser an
„Wir wollen dominant spielen und die Kontrolle übernehmen“, sagt Titz, als ihn das Abendblatt am Montag kurz erreicht. Die auffälligste Veränderung unter dem Fußball-Lehrer aus Mannheim ist das Passspiel. Bereits beim 1:2 gegen Hertha, dem ersten Spiel unter Titz, lag der HSV mit 389 angekommenen Pässen klar vor den Berlinern (281). In Stuttgart steigerten die Hamburger die Quote auf 422:297. Beim 3:2 gegen Schalke, immerhin der Tabellenzweite, waren es 352:156 erfolgreiche Pässe. Zum Vergleich: Am ersten Spieltag, als der HSV unter Trainer Markus Gisdol mit 1:0 gegen Augsburg gewann, lautete die Bilanz der angekommenen Pässe 143:335. Beim 3:1-Sieg in Köln eine Woche später waren es sogar nur 111:432.
Die markantesten Eigenschaften, die Titz im HSV-Spiel verändert hat, sind der hoch stehende Torwart und die breit stehenden Innenverteidiger im Spielaufbau. Mit Torhüter Julian Pollersbeck als eine Art Libero verschafft sich der HSV zum einen eine Überzahl bei Ballbesitz. Dabei positionieren sich die Innenverteidiger, gegen Schalke Rick van Drongelen und Kyriakos Papadopoulos, auf Höhe der Außenlinie. Titz’ Idee: den gegnerischen Stürmern die Entscheidung im Anlaufen zu erschweren.
Bilder vom Sieg gegen Schalke:
HSV bezwingt Schalke und kann wieder hoffen
Titz lobt zentrale Anspielstation Steinmann
Neben Pollersbeck nimmt Sechser Matti Steinmann als erste Anspielstation eine elementare Funktion im Titz-System ein. Der 23-Jährige, den der Trainer aus der Regionalligamannschaft mitbrachte, steigerte sich in seiner Rolle von Woche zu Woche und spielte gegen Schalke fast fehlerlos. „Matti ist ein sehr klarer Spieler, der mit wenig Stress auf enge Situationen reagiert“, sagt Titz über den Überraschungsaufsteiger des Trainerwechsels. Als Verbindungsspieler zwischen Pollersbeck und der Offensive sorgt Steinmann dafür, dass der HSV weniger in die Breite spielt und das Vertikalspiel beschleunigt.
Allerdings verstanden es die Schalker vor allem in der ersten Halbzeit, die Passwege auf Steinmann zuzustellen. Des Trainers Lösung: Über die Innenverteidiger, vor allem Papadopoulos, spielte der HSV viele „Halbdiagonalbälle auf den Achter“, wie es Titz beschrieb. Dieser Achter hieß Lewis Holtby, der unter seinem langjährigen Privattrainer wieder eine Schlüsselrolle im HSV-Spiel einnimmt.
Kämpferische Spieler haben schlechte Karten
Auffällig unter Titz ist zudem, dass fast alle Profis, deren Stärken nicht gerade bei Ballbesitz zum Tragen kommen, kaum noch eine Rolle spielen. Spieler wie Mergim Mavraj, Dennis Diekmeier, André Hahn oder Sven Schipplock, die aufgrund ihrer läuferischen und kämpferischen Qualitäten unter Gisdol noch wichtig waren, haben unter Titz derzeit schlechte Karten.
Dagegen setzt der Trainer in der Offensive auf Spieler mit Stärken auf engem Raum. Neben Luca Waldschmidt hat dadurch auch Tatsuya Ito wieder eine neue Chance erhalten – und sie mit einem eindrucksvollen Auftritt gegen Schalke genutzt. Titz’ Idee in der Offensive: Die Räume in der Tiefe sollen schnellstmöglichst bespielt werden. Dazu braucht der Trainer Spielertypen, die Qualitäten im Eins gegen Eins haben. So wie Ito.
Der kleine Japaner war gegen Schalke auch an einer wesentlichen Veränderung des HSV-Spiels beteiligt. Die Hamburger führten fast alle ihre acht Ecken kurz aus – meistens in die Füße von Ito. Der dribbelstarke Flügelstürmer soll auf diesem Wege in Strafraumnähe den Ball am Fuß haben, um die geordnete Abwehr durcheinanderzubringen. „Es geht darum, in der Situation danach einen Vorteil zu haben und Stress beim Gegner zu erzeugen“, erklärte Titz nach dem Spiel. „Wenn du einen Spieler hast wie Ito, willst du, dass er möglichst in der Box an den Ball kommt.“
Hoffenheim wird den HSV auf die Probe stellen
Die Spielideen des HSV-Trainers werden bereits am kommenden Sonnabend auf eine neue Probe gestellt. In Hoffenheim trifft das Titz-Team auf eine Mannschaft, die ihre Stärken mit dem Ball hat und variabel Fußball spielen kann. „Hoffenheim wird ein anderes Spiel. Da werden wir uns etwas einfallen lassen müssen“, prognostiziert Titz.
Die Ideen des Trainers lassen sich im Übrigen nachlesen. In seinen Jahren beim FC Homburg von 2011 bis 2014 verfasste Titz verschiedene Bücher, in denen er seine Fußball-Philosophie erläutert. Seine neuesten E-Books sollen eigentlich im Sommer veröffentlicht werden. Wahrscheinlich muss er die Publikationen aber in den Herbst verschieben. Als HSV-Trainer hat man bekanntlich nur wenig Zeit.