Hamburg. Der HSV-Newcomer spricht über die Konkurrenz zum Bruder, seinen Stadtteil Wilhelmsburg und seine persönliche Zukunft als Profi.
Vor zwei Wochen hat Stephan Ambrosius eine wichtige Prüfung bestanden: die Führerschein-Theorie. Die praktische Prüfung folgt. Auch seine Bundesliga-Premiere hat der 19-jährige HSV-Verteidiger im Spiel beim VfB Stuttgart gemeistert. Aufregende Tage für den Hamburger Newcomer. Bei seinem ersten großen Interview gibt sich Ambrosius dagegen entspannt. Auch ohne Führerschein und eigenes Auto erscheint er zum Abendblatt-Termin auf die Minute genau.
Herr Ambrosius, nutzen Sie die S-Bahn-Verbindung nach Stellingen?
Stephan Ambrosius: Nein, das ist nicht nötig (lacht). Zum Training werde ich gefahren. Ab und an bringt mich mein Vater. Meistens nimmt mich mein Berater mit. Aber ich bin natürlich froh, wenn ich bald selbst zum Training fahren kann.
Sie wohnen in Wilhelmsburg. Ist es nicht ein wenig zu weit, jeden Tag auf die andere Seite der Elbe zu kommen?
Meine Mutter, mein Bruder und ich suchen auch eine neue Wohnung. Noch ist aber nicht klar, wo wir hinziehen werden. Wir fühlen uns sehr wohl in Wilhelmsburg. Der Stadtteil ist sehr wichtig für mich.
Sie sind seit vier Tagen offiziell Bundesligaspieler. Verändert sich Ihr Leben?
Nein. Als ich am Sonnabend nach dem Spiel nach Hause gekommen bin, habe ich mich erstmal mit meinen Freunden getroffen und wir sind spazieren gegangen. Wir treffen uns immer an dem selben Ort auf der Straße. Alle sind immer draußen. Wir haben geredet, so wie wir es immer machen. Es hat sich nichts verändert.
Haben Sie über Ihr Duell mit Stuttgarts Topstürmer Mario Gomez gesprochen?
Wenn ich Zuhause bin, will ich vom Fußball abschalten. Das ist mir wichtig. Ich habe einen sehr engen Kontakt zu meinen Freunden. Den will ich nicht verlieren. Das Leben in Wilhelmsburg hat uns zusammengeschweißt.
Wie stark hat Sie Wilhelmsburg geprägt?
Ich habe sehr viel mitgenommen aus Wilhelmsburg. Insbesondere meine kämpferische Spielweise. Das kommt aus meiner Kindheit. Wir wohnen direkt an einem Bolzplatz. Gegenüber der Nelson-Mandela-Schule hinter der Bushaltestelle. Da bin ich groß geworden. Weil ich für mein Alter ganz gut war, habe ich immer mit den Größeren gespielt. Da habe ich gelernt mich durchzusetzen.
Auch gegen Ihren älteren Bruder?
Mein Bruder war natürlich auch oft dabei. Als Kinder haben wir uns immer ein Zimmer geteilt. Natürlich haben wir auch in der Wohnung Fußball gespielt. Eins gegen eins auf engem Raum. Unsere Nachbarin ist häufig nach oben gekommen. Das gab immer ordentlich Ärger (lacht).
Sie wollen auch weiterhin mit ihrem Bruder und Ihrer Mutter zusammen wohnen?
Alleine zu wohnen kommt für mich noch nicht infrage. Meine Familie ist sehr wichtig für mich. Meine Mutter und ich sind viel zusammen. Sie passt auf mich auf und kann auch mal streng sein. Mein Vater wohnt nicht mehr bei uns, aber wir haben ein gutes Verhältnis. Uns verbindet vor allem der Fußball. Er ist immer bei den Spielen dabei, war immer auch eine Art Trainer für mich.
Gegen Ihren Bruder haben Sie in dieser Saison im Regionalligaderby gegen St. Pauli schon gespielt. Wie können wir uns ein Gespräch beim Essen Zuhause vorstellen?
Ob Sie es glauben oder nicht, aber wenn wir Zuhause sind, spreche ich mit meinem Bruder kaum über Fußball. Mit meiner Mutter auch nicht. Aber wir essen gerne zusammen. Meine Mutter kocht sehr gut .
Was ist ihre Spezialität?
Sie kocht gerne afrikanisch. Fufu zum Beispiel. Aber auch viel mit Reis. Mit meiner Mutter spreche ich auch ghanaisch zuhause. Das hilft mir, mich vom Fußball abzulenken.
Wie groß war Ihre Aufregung vor dem ersten Bundesligaspiel? Ihre Aufstellung hat sich einige Tage vorher angedeutet.
Ich habe versucht, mir in der Woche nicht zu viele Gedanken über die Aufstellung zu machen. So konnte ich den Druck gut kontrollieren. Endgültig erfahren habe ich es dann beim Spaziergang vor dem Spiel. Da ist der Trainer auf mich zugekommen.
Wie kontrollieren Sie den Druck?
Ich versuche mich abzulenken und Bilder in meinem Kopf zu verdrängen, damit ich mich nicht verrückt mache. Musik hilft mir dabei sehr. Oder ich schaue Serien.
Sie wirken sehr cool. Mal ehrlich: Hatten Sie kein Lampenfieber?
Als wir im Spielertunnel standen, habe ich nur gedacht: Boah. Die Minuten vor dem Anpfiff haben lange gedauert. In den ersten Minuten war ich schon nervös. Es ist natürlich etwas anderes, vor 50.000 Zuschauern zu spielen. Nach einigen Minuten hatte sich die Aufregung aber gelegt.
Mit vier Tagen Abstand: Was hat Ihre Bundesligapremiere in Ihnen bewirkt?
Am Anfang war ich natürlich etwas enttäuscht, dass ich zur Halbzeit schon wieder raus musste. Der Trainer hat mir aber gesagt, dass er mit meiner Leistung zufrieden war. Das hat mir gut getan. Natürlich will ich jetzt mehr. Ich habe Blut geleckt.
Zu Saisonbeginn saßen Sie unter Christian Titz bei der U21 noch auf der Bank. Was ist seitdem passiert?
Ich hatte verletzungsbedingt eine schwere Phase in der U19. Ich brauchte Zeit, mich an den Herrenfußball zu gewöhnen. Durch die Erfolge mit der U21 haben sich alle Spieler richtig gut entwickelt, auch ich bin immer besser zurecht gekommen. Dann ging alles sehr schnell. Plötzlich bist Du Bundesligaspieler.
Ist Ihnen der Sprung leichter gefallen, weil Sie wissen, welchen Fußball Titz spielen will?
Leicht ist das falsche Wort. Die Bundesliga ist eine andere Nummer, hier kannst du dir kaum Fehler erlauben. Natürlich hilft es mir, dass ich seine Spielweise kenne. Der Trainer will dominant spielen, mit viel Ballbesitz.
Was ist Titz für ein Typ?
Er ist total detailversessen und stellt viele Ansprüche. Er liebt den Fußball und fordert, dass wir viel fragen. Das ist gerade für uns junge Spieler wichtig.
Kaum sind Sie Bundesligaspieler, schon wird über Ihre Zukunft spekuliert. St. Pauli und Holstein Kiel sollen Interesse haben. Ihr Vertrag läuft am Saisonende aus. Wie geht es weiter?
Ich bin Spieler des HSV, will hier meine Leistung bringen. Um alles andere kümmert sich mein Berater.
Kann es sein, dass Sie nächste Saison mit Ihrem Bruder gemeinsam zum St. Pauli-Training fahren?
Wie gesagt, der HSV ist mein Verein und mein Ansprechpartner. Der Verein hat sich immer um mich gekümmert, vor allem in den Zeiten, als es mir richtig schlecht ging. Auch für meine Eltern in Wilhelmsburg war immer jemand da. Ich habe dem HSV viel zu verdanken.