Hamburg. Stuttgarts Finanzvorstand Stefan Heim erklärt, was auf den HSV zukommen könnte – und warum eine Lizenz ohne Auflagen wichtig ist.
An den Moment der totalen Leere am 14. Mai 2016 kann sich Stefan Heim noch so genau erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre. „Als Schiedsrichter Manuel Gräfe die Partie in Wolfsburg (1:3, d. Red.) abpfiff, war es endgültig vorbei“, sagt der Finanzvorstand des VfB Stuttgart. Der VfB war zum zweiten Mal nach 1975 abgestiegen. „Wir waren gefühlt plötzlich nicht mehr existent. Wir sind dann aus Wolfsburg zurück nach Stuttgart gefahren und waren fast die ganze Nacht auf der Geschäftsstelle.“
Fast zwei Jahre ist das alles mittlerweile her. Doch gerade vor dem Spiel des HSV in Stuttgart (Sa., 15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) sind dem VfB-Vorstand die Ereignisse aus der Saison 2015/16 wieder sehr präsent. „Wenn man so einen Abstieg selbst mitgemacht hat, dann kann man sich natürlich in die Lage der Kollegen in Hamburg versetzen“, sagt Heim, der sich vor dem wohl vorerst letzten Bundesligaspiel des HSV in Stuttgart heute mit seinem Vorstandskollegen Frank Wettstein zum Essen treffen wird. „Natürlich tauschen wir uns nach wie vor mit der HSV-Führung aus.“ Die HSV-Führung dürfte diesmal mehr Fragen als sonst haben: Wie man eine Zweitligasaison ohne Führungsriege plant? Wie man die Wende schafft, wenn man am Boden ist? Und vor allem wie man nach einem Abstieg direkt wieder aufsteigt?
Beim VfB sanken Ausgaben um 40 Prozent
„Ich verweise gerne auf das schöne Beispiel des VfB Stuttgart“, sagte Hamburgs neuer Aufsichtsratschef Bernd Hoffmann bereits vor gut drei Wochen, als er nach den Beurlaubungen von Ex-Vorstand Heribert Bruchhagen und Ex-Sportchef Jens Todt gefragt wurde, wer denn nun den HSV-Neustart in der Zweiten Liga planen solle. „In einer ganz schwierigen Situation 2016 haben sich die Stuttgarter nach dem Saisonende sowohl vom Vorstand Sport als auch vom Präsidenten getrennt“, erinnerte Hoffmann an das Vorgehen der Schwaben und fügte betont optimistisch hinzu: „Der Sportchef ist erst zwei Monate später, am 15. Juli, vom VfB verpflichtet worden. Und dennoch haben die Stuttgarter alle Transfers abgewickelt und eine Mannschaft zusammenbekommen, mit der sie direkt wieder aufgestiegen sind.“
Tatsächlich wurde damals beim VfB noch in der Nacht des Abstiegs die Trennung von Präsident Bernd Wahler abgewickelt und am nächsten Morgen verkündet, die Entlassung von Sportvorstand Robin Dutt folgte nur wenige Stunden später. Was der hoffnungsvolle HSV-Präsident Hoffmann allerdings nicht erwähnte, sind die Rahmenumstände, die so ein Abstieg mit sich bringt. „Der Abstieg war kein Schuss vor den Bug, sondern ein Schuss in den Bug“, gibt Heim offen und ehrlich im Gespräch mit dem Abendblatt zu. „Wir mussten zunächst alles um 40 Prozent herunterfahren“, sagt der langjährige VfB-Funktionär. „Der Abstieg hat uns rund 40 Millionen Euro gekostet.“
Kaum noch Verantwortliche
Bleibt die Frage, inwiefern der damalige Abstieg des VfB mit dem drohenden Abstieg des HSV von heute überhaupt miteinander vergleichbar ist? Auf den ersten Blick: sehr. Genau wie damals der VfB hat auch der HSV heute kaum noch Verantwortliche. „Wir haben die Aufgaben sehr schnell intern aufgeteilt“, erinnert sich Heim an die „Herkulesaufgabe“, die damals zu bewältigen war. „Zudem waren wir sehr eng und gut mit dem Aufsichtsrat abgestimmt. Wir mussten unsere Handlungsfähigkeit aufrecht erhalten – und das haben wir auch geschafft. Nur zwei Tage nach dem Abstieg haben wir Jos Luhukay als Trainer verpflichtet, wenige Tage später Simon Terodde als ersten Neuzugang.“
Doch natürlich gibt es auch einen zweiten Blick auf die Geschehnisse. Und dieser verrät, dass Stuttgarts damalige und Hamburgs heutige Situation ganz und gar nicht vergleichbar sind. „Sehr wichtig war für uns, dass wir eine Lizenz für die Zweite Liga ohne Auflagen und Bedingungen erhalten haben“, sagt Heim. „Dadurch ist man natürlich in einer ganz anderen Verhandlungsposition mit Spielern und Vereinen. Man hat keinen so extremen zeitlichen Druck, dass man Spieler kurzfristig verkaufen muss, um etwaige Auflagen oder Bedingungen der DFL zu erfüllen.“
Schwere Bedingungen und Auflagen
Doch genau damit kann der HSV nicht dienen. Spätestens am Dienstag muss der Club seine Lizenzunterlagen für die Zweite Liga an die DFL geschickt haben – und schon jetzt steht fest: Anders als 2016 beim VfB drohen dem finanziell angeschlagenen HSV extrem schwere Bedingungen und Auflagen. Die logische Folge: Der HSV muss nach Saisonende so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich garantieren. „Man lernt Demut nach einem Abstieg“, sagt Stuttgarts Heim.
Was so ein Abstieg unabhängig vom Geld emotional bedeutet, wurde dem Schwaben erst nach ein paar Wochen klar. „Spätestens als 2016 die neue Bundesligasaison begonnen hat und wir am Abend in der Sportschau nicht mehr vorkamen“, sagt der VfB-Vorstand, „wusste man, dass man nicht mehr dazugehört.“ Doch jede gute Geschichte braucht auch ein gutes Ende. Und die VfB-Geschichte des Absteigers, der direkt aufstieg und bei einem Sieg gegen den HSV sogar auf die Qualifikation für die Europa League hoffen darf, ist eine gute Geschichte – sogar eine ziemlich gute.
Schaffe, schaffe, Häusle bauen
Schaffe, schaffe, Häusle bauen, sagt der Schwabe. Und so dauerte es nach dem Abstieg nicht lange, ehe man beim VfB die Ärmel hochkrempelte. „Wir haben in den ersten Tagen nach dem Abstieg mehr als 100 Dienstleister vom VfB angerufen, um ihnen die Lage zu erklären“, erinnert sich Heim. Niemand wurde entlassen, aber jeder Mitarbeiter verzichtete auf 40 Prozent Gehalt. Die Wende zum Guten ließ nicht lange auf sich warten.
„Als 60.000 Menschen zum ersten Heimspiel der Zweitligasaison gegen St. Pauli kamen, wussten wir, dass wir es schaffen können. Man spürte: Hier entsteht etwas“, sagt Heim. St. Pauli führte zur Halbzeit mit 1:0, am Ende gewann der VfB 2:1. „Wir haben nicht gut gespielt, aber wir haben gewonnen“, sagt Heim, der bei der Frage, ob man einem Abstieg etwas Gutes abgewinnen kann, nicht zögert: „Bei uns in Schwaben sagt man: Die Tage in Ehren mögen sie nie wieder kehren.“
Die komplette Pressekonferenz: