Hamburg. Über den ehemaligen Fußballer weiß man fast alles. Aber wie hat der aktuelle HSV-Berater als Kaufmann und Trainer gearbeitet?
Thomas von Heesen ist eine Legende. 368 Bundesligaspiele für den HSV, 99 Bundesligatore. Zweimal deutscher Meister, Gewinner des DFB-Pokals, Europapokalsieger der Landesmeister.
Lang ist’s her. Als der HSV nun vor anderthalb Wochen diesen von Heesen als sportlichen Berater vorgestellt hatte, fragte die „Mopo“ in großen Buchstaben: „Wende mit Legende?“ Doch was ist, wenn all die Geschichten über die HSV-Legende von Heesen, dessen Netzwerk, Expertise und vor allem Bereitschaft, dem kriselnden HSV jetzt wieder zu helfen, eben das sind: eine Legende?
Dem Abendblatt liegen zahlreiche Dokumente, Verträge und E-Mails vor, die einen detaillierten Einblick in die Geschäfte von Heesens gewähren. Es geht um Beteiligungen an Spielern, die er gleichzeitig trainiert hat. Um die Beratung von Geschäftspartnern, die dann einen finanziellen Totalschaden beklagten. Es geht um den Versuch, mit dem Profifußball das große Geld zu machen.
Dienstagmittag, 12.30 Uhr, Bahrenfeld, das Restaurant „Rach und Ritchy“. Von Heesen trägt einen dunklen Strickpullover und eine Lederjacke. Der neue HSV-Berater weiß, dass es bei diesem Treffen um sensible Fragen gehen soll. Um Fragen über seine Zeit als Trainer beim Kapfenberger SV, um sein Engagement als HSV-Aufsichtsrat von Juli 2014 bis Februar 2015, um den Versuch einer HSV-Talente-Kooperation. Und um seine Moderatorenrolle bei einem vor drei Jahren angedachten, aber nicht umgesetzten Deal zwischen Ex-Vorstand Dietmar Beiersdorfer und der Marketingfirma Doyen Sports Investments, registriert in Malta, mit Sitz in London.
Von Heesen sagt, er wolle sprechen, ohne Mitschnitt und Mitschrift, dafür aber die entscheidenden Fragen nachträglich schriftlich beantworten. Dies übernimmt am Mittwochnachmittag sein Rechtsanwalt Stephan Grulert.
Als Trainer an eigenen Spielern beteiligt
Von Heesen bestellt sich einen Kaffee und schenkt sich ein Glas stilles Wasser ein. Die 83er-Legende ist vorsichtig geworden, nachdem eine ganze Reihe von Medien einen „Spiegel“-Bericht vom vergangenen Jahr wieder aufgegriffen hat, wonach er 2015 der Doyen-Gruppe Anteile an sechs HSV-Spielern, darunter Pierre-Michel Lasogga, Cléber, Jonathan Tah und Maximilian Beister, für 12,2 Millionen Euro angeboten haben soll. Sein Rechtsbeistand hat dem NDR und anderen Medien in der vergangenen Woche Unterlassungserklärungen geschickt, nachdem diese über den geschilderten Vorgang aus dem Buch „Football Leaks“ berichtet hatten. In dem Buch heißt es, dass nur zwei Monate nach dem Treffen, am 1. Mai 2015, das von der Fifa beschlossene Verbot des sogenannten Third Party Ownership (TPO), also der Beteiligung Dritter an Spielerrechten, in Kraft trat.
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„Wir sind auf Anfrage von Doyen nach London geflogen und hatten dort einen Termin vor Ort. Didi hat das Gespräch geführt. Ich hatte keine Handlungsbefugnis und keinen Auftrag von der Fußball AG“, hatte von Heesen bei seiner HSV-Vorstellung vor einer Woche am Mittwoch erklärt. „Am Ende des Tages stellte sich heraus, dass das Geschäftsmodell nicht infrage kommt. Punkt. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.“
Wettsteins Aussage irritiert
Jetzt, im „Rach und Ritchy“, gibt es doch noch mehr dazu zu sagen. So soll es nicht nur das Treffen in London gegeben haben, sondern zuvor bereits ein erstes Doyen-Meeting in München. Von Heesens Anwalt schreibt: „Unser Mandant hat weder gegen bestehende Regularien oder Gesetze verstoßen.“ Und HSV-Alleinvorstand Frank Wettstein? Der hatte in der vergangenen Woche auf Nachfrage zu der „Spiegel“-Geschichte gesagt: „Das ist für mich überhaupt kein Problem. Ich habe diese Textpassagen zur Kenntnis genommen. In diesen Textpassagen steht auch drin, dass ich an diesen Gesprächen nicht teilgenommen habe, sondern mein damaliger Kollege. Da kann ich inhaltlich gar nichts zu sagen, weil ich da nicht eingebunden war.“ Diese Aussage irritiert. Nach Abendblatt-Informationen war Wettstein über von Heesens Investitionsideen sehr wohl informiert. Letztlich kam es zwischen Doyen und dem HSV aber nicht zu einem Vertrag.
In Kapfenberg in der Steiermark war das anders. Dort war von Heesen angestellt als Trainer vom 29. November 2011 bis zum 10. November 2012. Unter dem früheren HSV-Helden stieg der Kapfenberger SV zunächst aus der österreichischen Bundesliga in die zweithöchste Spielklasse ab, wo dem KSV sogar der Abstieg in die Regionalliga drohte.
Ex-RB-Geschäftsführer ist überrascht
Dem Abendblatt liegen nun Verträge vor, nach denen der KSV seinem leitenden Angestellten von Heesen gleich mehrere Beteiligungen an Transferrechten von Fußballspielern verkaufte. Für 50 Prozent der Transferrechte am Spieler Thomas Hirschhofer zahlte von Heesen 35.000 Euro, für 50 Prozent der Transferrechte an Mario Grgic zahlte er 65.000 Euro. Am Brasilianer Gerson sicherte sich der Deutsche sogar 55 Prozent der Transferrechte. Von Heesens Anwalt betont: „Dies war zu dieser Zeit auch rechtlich unbedenklich.“
Bleibt die Frage, ob ein Trainer so etwas machen sollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich noch etwas überraschen kann“, sagt Anwalt Peter Vogl, damals Geschäftsführer bei Red Bull Salzburg. „Ich muss gestehen: Dass ein Trainer Anteile an seinen eigenen Spielern hält und damit handelt, das hat mich doch sehr überrascht.“ Vogl vertritt mittlerweile beteiligte Investoren.
Zur Einordnung: Unabhängig davon, dass die Beteiligung Dritter an Spielerrechten damals von der Fifa noch erlaubt war und heute verboten ist, wäre das in etwa so, als wenn HSV-Trainer Christian Titz Anteile an Julian Pollersbeck und Lewis Holtby halten würde. Titz könnte durch Einsätze den Wert seiner Spieler steigern, er könnte sie öffentlich loben, und er könnte so direkt Einfluss darauf ausüben, den Marktwert der Spieler, an denen er mitverdient, zu vergrößern. Doch natürlich kommt weder Titz noch sonst ein Bundesligacoach auf die Idee, als Trainer vom Club Anteile von Spielern zu kaufen, um diese weiter zu fördern und mit einem Transfer dieser Spieler dann Geld zu verdienen.
Von Heesen lobte seinen Spieler überschwänglich
Von Heesen hatte da weniger Probleme. Er lobte den Brasilianer Gerson, an dem er Anteile hielt, im Interview mit „Laola1“ überschwänglich: „Wenn man im Netzwerk arbeitet, ist es relativ einfach, gute Leute zu bekommen – für kein Geld“, sagte er. „Und wenn ich Gerson sehe, wird der in zwei, drei Jahren bei ganz anderen Vereinen spielen. Das ist einer für die deutsche Bundesliga.“
Für die Bundesliga reichte es nicht. Aber von Heesens Brasilianer Gerson wechselte tatsächlich: auf Leihbasis zu Rapid Wien, Ferencvaros Budapest, Petrolul Ploiesti und Lechia Gdansk, wo es von Heesen später selbst als Trainer hinzog. Ablöse ist zunächst nicht geflossen, um reichlich Geld ging es aber schon vor seinen Wechseln: Dem Abendblatt liegt eine Rechnung vom 24. Juli 2012 vor, in der von Heesens Firma VOH Sportmanagement für den Erwerb von zehn Prozent der Transferrechte des Spielers 150.000 Euro einfordert.
Fifa-Antwort steht bis heute aus
Doch von Heesen beließ es offenbar nicht dabei, selbst an eigenen Spielern beteiligt zu sein. Quasi nebenbei beriet der Ex-Trainer seit seiner Kapfenberg-Zeit auch noch zwei steirische Geldgeber, von denen sich einer auf seinen Rat hin mit dem gleichen Kapitaleinsatz wie von Heesen an Grgic und Hirschhofer beteiligte – aber dafür im Vergleich zu von Heesen nur die Hälfte der möglichen Transfererlöse erhielt. Seine eigenen Anteile hatte der zuvor an eine Agentur eines Geschäftsfreundes in Deutschland abgetreten. Das österreichische Magazin „News“ berichtete schon seinerzeit: „Die steirischen Investoren erhalten dafür nur einen Teil der Transferrechte, die von Heesen ursprünglich erworben hatte.“
„Als Fußballfunktionär und Wirtschaftsanwalt habe ich so etwas in mehr als 20 Jahren noch nie erlebt“, sagt Peter Vogl, der die beiden steirischen Investoren rechtlich vertreten und am 10. November 2015 bei der Uefa und bei der Fifa einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens gegen Thomas von Heesen gestellt hat. Eine Antwort hat es nie gegeben. In dem achtseitigen Schreiben heißt es unter „Geschäftsmodell von Heesen“: „TvH bzw. seine Einzelfirma TvH Sportmarketing hat Beteiligungen an Transferrechten an Spielern angeboten, Transferbeteiligungen beziehungsweise Anteile an Transferentschädigungen veräußert, Renditen versprochen, faktisch aber keine Zahlung geleistet.“
Geschäfte mit Viktoria Köln
Demnach soll einem Geschäftspartner ein finanzieller Schaden von 550.000 Euro, einem anderen Investor ein Schaden von 468.000 Euro entstanden sein. Anwalt Vogl zieht am 14. Juli 2015 ein vernichtendes Fazit: „Aus derzeitiger Sicht ist von einem Totalausfall des Kapitals auszugehen.“ Von Heesens Anwalt widerspricht: „Unser Mandant kommt seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinem Mitgesellschafter im vertraglich vereinbarten Umfang nach. Dies betrifft auch einen vereinbarten ,Return-on-Invest‘ der Gesellschaft mit dem Investor.“ Christian Ebenbauer, Vorstand der österreichischen Bundesliga, blieb da schon 2015 skeptisch: „Es ist moralisch, ethisch und wettbewerbstechnisch fragwürdig, wenn ein Trainer einen anderen wirtschaftlichen Nutzen im Auge hat – außer den sportlichen Erfolg“, sagte er damals zu „News“.
Doch Gerson, Grgic und Hirschhofer waren offenbar nur der Anfang. In einem Dokument zu einer empfohlenen Kooperation mit der Firma advancesports AG erklärt von Heesen einem seiner früheren Investoren, wie seiner Meinung nach ein „typisches Vermittlungsgeschäft“ aussehen sollte: „Angenommen, der Vertrag eines Spielers mit seinem Club läuft zum nächsten Sommer aus. Mit diesem Spieler vereinbart advancesports (meist gegen eine Geldzahlung), dass dieser seinen Vertrag auslaufen lässt. An diesem Spieler sichert sich advancesports die WTR (wirtschaftlichen Transferrechte), indem er bei einem der mit advancesports verbundenen Partner-Vereine (z. B. Beerschot oder Viktoria Köln) einen (Zwischen-)Vertrag unterschreibt. Der Verkauf des Spielers an einen neuen Verein ist dann meist zum Vielfachen dieser Investition im Verlaufe der Sommer-Transferperiode möglich.“
Wettstein präsentierte „Transferfonds-Modell“
So weit die Theorie. In der Praxis hat advancesports AG, die laut von Heesens damaligen Brief „national wie auch international im europäischen Profifußball finanziell engagiert“ ist, laut dem Fachportal „transfermarkt.de“ heutzutage ein sehr überschaubares Portfolio: Demnach sind nur noch vier Spieler bei der Agentur unter Vertrag: drei Ü-40-Kicker, die ihre Karriere bereits beendet haben. Und der vereinslose Karol Piatek (35). Von Heesens damalige Kalkulation, „dass pro Jahr mehrfach Talente aus dem VOH European Talents-Pool in Zusammenarbeit mit advancesports bzw. mit einem mit advancesports verbundenen Club transferiert werden“, klingt nicht erst heute: sehr ambitioniert.
Von Heesens hoch ambitionierter Versuch, am großen Rad des Fußballbusiness zu drehen, erstreckt sich auch auf seine Zeit als HSV-Aufsichtsrat. „Die Förderverträge der Gesellschaft, an der unser Mandant beteiligt war, wurden vor seiner Zeit als Aufsichtsrat beendet“, schreibt zwar sein Anwalt. Aber im Januar 2015, also noch während von Heesens Zeit als stellvertretender Kontrollchef, gab es schon ein neues Projekt: Demnach präsentierte Wettstein vor dem Aufsichtsrat das „Transferfonds-Modell“. Der Vorstand beschloss die Gründung einer GmbH mit den Geschäftsführern von Heesen und Wettstein. Diese wurde notariell beglaubigt, aber nie ins Handelsregister eingetragen. Der Grund: Einer der Anteilseigner soll seinen Kapitalanteil nicht eingezahlt haben. Trotzdem schreibt von Heesen im Sommer 2015, also kurz nach seinem Rücktritt als Aufsichtsrat, in einer Mail an einen Geschäftspartner, dass er eine Gesellschaft gegründet habe, die nun funktionsfähig sei, um Geschäfte mit der HSV Fußball AG abzuschließen: die HSV Triple A Talents GmbH und Co. KG, an der die HSV AG 25,1 Prozent Anteile halte.
Auch zum mittlerweile durch die Fifa verbotenen TPO hat von Heesen in der Mail eine klare Meinung. Er schreibt: „Das Thema TPO (Third Party Owner Ship), welches zurzeit verbietet, dass sich Dritte an Transfererlösen oder auch an wirtschaftlichen Transferrechten eines Spielers beteiligen, umgehen wir, indem wir TPI (Third Party Investments) installieren und über einen Gewinnabführungsvertrag oder über einen Zuschuss unsere Gewinne generieren werden.“ Doch das Transferfonds-Modell und Gewinne gab es nie.
Spielerberater wollen nicht über Vertragsinhalte reden
Der HSV bleibt aber in von Heesens Fokus. Am 6. Juli 2015 titelte die „Bild“: „Von Heesen besorgt Kohle für Nachwuchs-Stars“. Bis heute kam allerdings nur Batuhan Altintas, der auf von Heesens Empfehlung im Sommer 2015 zum HSV wechselte. An dessen Transferrechten will von Heesen nicht beteiligt gewesen sein. Die Bilanz des „Nachwuchs-Stars“ seitdem: null Tore, ein Bundesligaspiel und drei Leihvereine. Derzeit ist der Stürmer an den türkischen Zweitligisten Giresunspor verliehen, wo er bisher kein einziges Tor erzielen konnte.
In diesem Sommer steht Altintas wieder beim HSV auf der Matte. Ob von Heesen dann auch noch da sein wird, ist fraglich. Zunächst soll sein Engagement lediglich auf die Zeit bis zum 15. Mai beschränkt sein. Seine genauen Aufgaben sind nicht ganz klar, aber Vorstand Wettstein sagte bei einer Pressekonferenz, dass von Heesen durchaus auch mit Beratern in Kontakt treten soll: „Es geht um die Berater der Spieler, die hier an Bord sind. Auch die brauchen einen Ansprechpartner. Und da haben wir mit Thomas von Heesen jemanden an Bord geholt, der da zur Verfügung steht.“
Mit dieser Aufgabe scheint sich auch von Heesen identifizieren zu können. „Wenn es der HSV wünscht, wird unser Mandant selbstverständlich mit den Beratern der Spieler im Sinne des Vereins in Kontakt treten“, schreibt sein Anwalt. Mehrere Spielerberater, deren Profis noch beim HSV unter Vertrag sind, sagten allerdings im Gespräch mit dem Abendblatt, dass sie keinesfalls mit von Heesen über Vertragsinhalte ihrer Mandanten reden wollen. Und der HSV? Auf die Frage, ob sich der Club mit von Heesens Vergangenheit beschäftigt habe, antwortete Wettstein vergangene Woche: „Das haben wir sehr wohl gemacht.“ Sein Fazit: „Wir schätzen die große Expertise und auch die Führungskompetenzen von Thomas von Heesen.“