Hamburg. Nach dem 1:2 gegen Hertha gibt es beim HSV kein Halten mehr: Besonders die arrivierten Profis rebellieren gegen Neu-Trainer Titz.
Als Christian Titz am späten Sonntagmittag endlich aus der Mannschaftskabine herauskam, hielt man sich nicht lange mit dem Austauschen von Höflichkeiten auf. Wie denn die Stimmung in der Kabine gewesen sei, fragte ein bohrender Fernsehjournalist am Tag nach der bitteren 1:2-Heimniederlage gegen Hertha BSC. Titz, die Hände in den Taschen, der Blick von rechts nach links und von links nach rechts, zögerte kurz. „Nicht gerade euphorisch“, antwortete er. „Aber insgesamt haben wir schon noch eine positive Stimmung.“
Nicht einmal eine Woche ist es her, dass Christian Titz zum neuen Cheftrainer des HSV befördert wurde. Bernd Hollerbachs Nachfolger sollte nach dem desaströsen 0:6 in München und den zahlreichen Personalrochaden vor allem für einen Stimmungsumschwung beim HSV sorgen, hatte Vorstand Frank Wettstein den Trainerwechsel erklärt.
Sechs Tage später steht Stimmungsmacher Titz in den Katakomben des Volksparkstadions und wird vor allem zu einem Thema durchlöchert: zur mutmaßlich schlechten Stimmung nach seinen radikalen Personalwechseln innerhalb des Kaders. „Es ist natürlich in Ordnung, dass man als Spieler nicht erfreut ist, wenn man nicht nominiert wird“, sagt also Titz. „Es ist aber ein Unterschied, wenn man seinen Unmut nach außen zeigt.“
Walace schwänzte den Stadionbesuch
Seinen aufgestauten Unmut hatte besonders Kyriakos Papadopoulos am Vortag nach außen gezeigt. Aber neben dem renitenten Griechen gab es nach Abendblatt-Informationen noch eine ganze Reihe von Spielern, die gegen die Titz-Revolution revoltierten: der Brasilianer Walace, Abwehrmann Mergim Mavraj und auch der ausgebootete Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier.
Beispiel Walace: Der Mittelfeldmann, dem Amateur Matti Steinmann vorgezogen wurde, hatte schon Stunden vor dem Anpfiff gegen Hertha mehr als genug vom HSV. Demonstrativ postete der Südamerikaner ein Video, wie er vormittags vom Stadion heimwärts fuhr. Dort ließ es sich der Wiederholungstäter, der bereits im Winter als Streikprofi unangenehm aufgefallen war, nicht nehmen, kurz nach der Niederlage ein Bild von sich zu verbreiten: breites Grinsen, freier Oberkörper, die Finger zum Victoryzeichen gespreizt.
„Genauso wie bei Papadopoulos können wir ein derartiges Verhalten nicht akzeptieren“, sagt einen Tag später Titz, der nun zeitnah mit den Rädelsführern der Revolution Tacheles reden will: „Wir haben keine Angst davor, entsprechende Konsequenzen zu ziehen, wenn sich einer nicht an die Regeln hält“, so Titz. Schöne Stimmung, adé.
HSV kann wieder Fußball spielen – eine Halbzeit
Dabei fing der erhoffte Stimmungswechsel am Sonnabend so vielversprechend an. Als der Mannschaftsbus ohne die rasierten Mavraj, Diekmeier, Walace, Sven Schipplock und André Hahn, aber mit der jüngsten HSV-Mannschaft seit 44 Jahren am Stadion vorfuhr, schien die Hoffnung nach langer Zeit erstmals nach langer Zeit wieder zurück. 300 Fans hatten eine Art Spalier Light gebildet, um Titz und seiner Mannschaft viel Glück zu wünschen.
Einzelkritik: Holtby gibt für den Kumpel alles und doch zu wenig
Und das Glück war zunächst tatsächlich auf Hamburger Seite. Während sich das rundum erneuerte HSV-Team hüben vor allem beim reaktivierten Torhütertalent Julian Pollersbeck bedanken durfte, überzeugten die verjüngten Hamburger (Altersschnitt: 23,98 Jahre) drüben mit erfrischendem und fast schon vergessen geglaubten Offensivfußball.
Die schönste Kombination des Tages über Steinmann, Lewis Holtby, Aaron Hunt und Filip Kostic vollendete Douglas Santos schließlich zum glücklichen, aber verdienten Führungstreffer (25.).
Die Bilder des Spiels:
HSV verliert beim Titz-Debüt gegen Hertha BSC
Dardai watscht Titz böse ab
Doch Glück ist bekanntermaßen vergänglich – genauso wie eine 45 Minuten lange erste Halbzeit. „Der Knackpunkt des Spiels war die Halbzeitpause“, analysierte später Neu-Trainer Titz, der nach den Tiefschlägen der Gegentore (Lazaro/56. und Kalou/63.) auch noch einen klassischen K.o.-Schlag auf der Pressekonferenz nach der Partie kassieren musste. „Wir waren gut vorbereitet auf die Änderungen, haben das HSV-Training gescoutet und wurden keineswegs überrascht“, arroganzte Gästetrainer Pal Dardai. „Der HSV hatte Angst.“
Vergleicht man den Auftritt des HSV am Sonnabend mit einem Pokerspiel, dann hat Neu-Trainer Titz alles riskiert, ist „All in“ gegangen – und hat alles verloren. „Fakt ist: Wir hätten einen großen Schritt machen können. Den haben wir nicht gemacht“, sagte der enttäuschte Interims-Sportchef-und-Vorstandsberater Thomas von Heesen. „Der Abstand ist der gleiche geblieben, nur die Spiele werden weniger. Das ist frustrierend.“
Wettstein droht erneut mit Konsequenzen
Das Pokerspiel ist verloren, die Karten werden in den kommenden Wochen aber noch einmal neu gemischt. „Die Partie gegen Hertha wäre die Chance gewesen, dass alle den Trainerwechsel auch für sich als Neuanfang sehen. Das hat in dem Fall nicht funktioniert“, sagte Vorstand Wettstein, der zum zweiten Mal in dieser Woche den eigenen Profis Konsequenzen androhte: „Es mag sein, dass es hier viele unzufrieden Spieler gibt. Wir haben aber auch eine unzufriedenstellende sportliche Situation. Wer hier 26 Spieltage seine Leistung gebracht und zu Unrecht nicht gespielt hat, den kann ich nicht erkennen.“
Die Gemütslage im Club – so viel stand spätestens nach Kölns überraschendem 2:0 gegen Leverkusen am Sonntagnachmittag um 17.20 Uhr fest – ist endgültig vergleichbar mit der Tabelle. Die Stimmung und der HSV sind: am Ende.