Hamburg. Nach dem Aus von Bruchhagen und Todt sucht der HSV einen Sportvorstand. Auch Trainer Hollerbach soll gehen. Hintergründe und Videos.
Draußen im Nieselregen drehte die Mannschaft ihre Trainingsrunden über den schweren Boden. Ekelwetter, unangenehm. Vorbereitung auf die Partie bei Bayern München am Sonnabend. Passübungen. Es muss weitergehen. Unmittelbar zuvor hatte Trainer Bernd Hollerbach den Spielern in der Kabine sagen müssen, dass so einiges nicht weitergeht wie bisher. Sondern dass bei ihrem Arbeitgeber HSV ein radikaler Umbruch eingeleitet wurde. Kopfnicken, betretene Gesichter, trainieren, abschalten.
Währenddessen trat drinnen im warmen Presseraum des Volksparkstadions Bernd Hoffmann vor Dutzende Mikrofone und Kameras. Lediglich 18 Tage seit seiner Wahl zum Präsidenten des HSV e. V. hat es gedauert, bis er mit dem radikalen Umbau des Clubs in seinem Sinne begonnen hat. Am Vorabend hatte sich Hoffmann vom sechsköpfigen Aufsichtsrat einstimmig zu dessen Vorsitzenden wählen lassen und sich daraufhin um 9 Uhr im Büro von Heribert Bruchhagen angekündigt. Ein professionelles, sachliches Gespräch soll es gewesen sein. Um 9.50 Uhr folgte dann die offizielle Meldung des HSV: „Aufsichtsrat stellt Heribert Bruchhagen frei.“
Der Vorstandsvorsitzende, dessen Vertrag erst im Dezember bis Sommer 2019 verlängert wurde, ist also Geschichte. Der Schritt war zu erwarten seit der Aufsichtsratssitzung in der vergangenen Woche, als Hoffmann seinen Kollegen offen angekündigt hatte, dass er Kontinuität in dieser Lage für die falsche Strategie halte.
Bruchhagen wollte Todt nicht entlassen
Zum kommissarischen Vorsitzenden (und alleinigen Vorstand) ernannte der Aufsichtsrat Finanzchef Frank Wettstein, der als erste Amtshandlung Sportchef Jens Todt feuerte. Bruchhagen war vom Aufsichtsrat zuletzt aufgefordert worden, sich von Todt zu trennen, hatte sich aber geweigert. „Wir wollten den Weg frei machen für einen zwingend notwendigen Neustart“, sagte Hoffmann zu dem neuerlichen Vereinsbeben. „Diese Entscheidung ist ausschließlich vorwärts gerichtet.“
Kommentar: Hoffmann in der Pflicht
Nach der Niederlage in Bremen und dem Remis gegen Mainz ist der erstmalige Abstieg nur noch durch „ein Wunder“ (Hoffmann) zu verhindern. Dem Duo Bruchhagen/Todt trauten Hoffmann und der Aufsichtsrat weder dieses „Wunder“ noch eine aussichtsreiche Zukunftsplanung nach dem wahrscheinlichen Abstieg zu.
Bernd Hollerbach darf vorerst bleiben. „Stand heute halte ich einen Trainerwechsel nicht für möglich. Hollerbach ist Bestandteil des Teams“, formulierte es Wettstein. Doch spätestens am Saisonende dürfte Schluss sein für den mit einem Vertrag bis 2019 ausgestatteten HSV-Coach.
Bruchhagen verabschiedete sich stilvoll. Mit einem Lächeln trat er am Mittag an die Öffentlichkeit, wirkte entspannt. Er selbst hatte eine Entscheidung bei den Räten eingefordert, Schluss mit der Hängepartie: Entweder öffentlich das Vertrauen aussprechen oder sofortige Trennung. „Als ich mich von der Mannschaft verabschiedet habe, sagte ich den Spielern, dass es noch nicht zu Ende ist. Ich wünsche mir, dass der HSV durch den Neuaufbau die Krise löst“, sagte der 69-Jährige.
Wer beerbt Todt beim HSV?
Ziel der neuen Führung ist es nun zunächst, einen „starken Sportvorstand“ zu berufen. „Das kann auch jemand sein, der derzeit noch irgendwo in Amt und Würden ist“, sagte Hoffmann, betonte aber: „Wir haben dabei keine Eile. Es geht darum, den besten Kandidaten für den HSV zu finden. Qualität geht dabei vor Schnelligkeit.“
Gerüchte um Jörg Schmadtke (früher Köln) und Horst Heldt (Hannover 96) wurden zwar schnell wieder gestreut, hatten aber genauso wenig Substanz wie in der vergangenen Woche. Immer-mal-wieder-Kandidat Felix Magath erklärte bei Sky, er sehe aktuell „keine Möglichkeit“ für eine Rückkehr zum HSV. In den ernsthaften Kandidatenkreis aufgenommen werden durfte dagegen Bayer Leverkusens Kaderplaner Jonas Boldt, den besonders Hoffmann sehr schätzt.
Doch noch ist auch Boldt lediglich Spekulation. Und so dauerte es nicht lange, ehe Spielerberater und Manager nach Handynummern der Ansprechpartner beim HSV fragten. Unsicherheit herrscht. Verträge laufen aus, mit Spielern muss verhandelt werden, Anfragen trudeln ein. Und so herrschte am Donnerstag das große Rätselraten in der Branche: Wer hat denn jetzt überhaupt das sportliche Sagen beim HSV?
Hoffmann wird Kaderplanung beeinflussen
„Wir haben einen funktionierenden sportlichen Bereich. Dass da jetzt der Manager wegfällt, wird nicht dazu führen, das wir handlungsunfähig sind“, erklärte Hoffmann. Wettstein, Sportdirektor Bernhard Peters und der neue Kaderplaner Johannes Spors seien ja noch da – „Deren Nummern können Sie gerne weitergeben.“ Sogar Clubmanager Bernd Wehmeyer soll bei Auswärtsspielen näher an die Mannschaft rücken.
Sehr wahrscheinlich wird aber auch Neu-Aufsichtsratschef Hoffmann bis auf Weiteres im operativen Geschäft mitmischen. Die Kompetenz dazu traut sich der langjährige HSV-Vorstandschef natürlich zu, wie seiner Erklärung, warum er jetzt doch den Vorsitz übernahm, verdeutlicht. „Es gab im Aufsichtsrat den allgemeinen Wunsch, dass ich, der die meiste Erfahrung in der Branche hat, den Vorsitz übernehme.“
HSV-Kader im Umbruch: Wer bleibt, wer geht?
* Rot: Spieler, die den HSV wohl verlassen. Grün: Profis, die eher bleiben. Schwarz: Zukunft offen. Marktwert-Quelle: transfermarkt.de
Erst am 27. Februar war er zum stellvertretenden Vorsitzenden von Michael Krall gewählt worden, was überraschte. Schließlich hatte er bei seiner Vorstellungsrede auf der Mitgliederversammlung betont, dass der Präsident im Aufsichtsrat eine starke Rolle spielen müsse. Doch nur zehn Tage später wurde das wieder umgeworfen. Krall rückte zurück ins Glied. Neuer Stellvertreter ist nun Max-Arnold Köttgen.
Hoffmann könnte Vorstandsboss werden
Auf der Suche nach einem standfesten „Gesamtkunstwerk“ (Hoffmann) geht es nach der Wahl des neuen Sportvorstands darum, einen neuen Vorstandsvorsitzenden zu finden. Wettstein betonte gestern, dass er mittelfristig wieder für die Finanzen verantwortlich sein will.
Dass der Aufsichtsrat bei der Suche nach einem neuen Vorstandschef am Ende bei Bernd Hoffmann landen könnte, darüber wurde seit seiner Kandidatur als e. V.-Präsident spekuliert. „Es ist nicht mein Ziel, Vorstandschef zu sein“, relativierte Hoffmann gestern. „Es geht darum, die beste Lösung für den HSV zu finden.“
Was aber, wenn die beste Lösung für den HSV er selbst sei? Eine Antwort dürfte Hoffmann schon bald geben.