Hamburg. Herausforderer schlägt Jens Meier in ganz engem Rennen. Buhrufe und Pfiffe begleiten den Wahlsieger. Profis bleiben Versammlung fern.
Einen Tag nach der empfindlichen 1:2-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen in der Fußball-Bundesliga haben die Mitglieder des Hamburger SV heute über ihren neuen Präsidenten entschieden – und der heißt Bernd Hoffmann. Der ehemalige HSV-Chef löst damit Jens Meier ab, der dem Gesamtverein seit 2014 vorstand. Auf Hoffmann entfielen 585 Stimmen und damit 25 mehr als auf Meier (560 Stimmen).
Von den rund 78.000 Mitgliedern hatte der Verein bis zu 2000 bei der mit Spannung erwarteten Versammlung im Veranstaltungscenter Kuppel an der Bahrenfelder Trabrennbahn erwartet. Nachdem mit Beginn um 11.09 Uhr lediglich 931 Mitglieder (davon 28 nicht stimmberechtigt) anwesend waren, erhöhte sich die Anzahl im Laufe der Versammlung auf 1252 stimmberechtigte Mitglieder, von denen letztendlich 1159 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten.
"Es deutete sich über den Nachmittag an, dass es sehr knapp wird", sagte Wahlsieger Hoffmann dem Abendblatt. "Es hätte sicher auch in die andere Richtung gehen können. Wir nehmen das Ergebnis sehr demütig an." Einige Anhänger skandierten nach der Wahl "Hoffmann raus", andere sangen "So sehen Sieger aus".
Hoffmann: "Einige werden sich wundern"
Der 55-Jährige dürfte für eine Neuausrichtung beim Bundesliga-Gründungsmitglied sorgen. Weg vom Fokus auf den Breitensport, hin zu mehr Unterstützung der Profi-Fußballer. Es werde ihm nun eine große Freude sein, sich im Gesamtverein einzubringen, sagte Hoffmann dazu: "Ich glaube, dass sich die Mitglieder aus den Amateursportarten schon wundern werden."
Über mögliche personelle Wechsel unter seiner Ägide, etwa eine Ablösung des Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen, sagte Hoffmann nach seiner Wahl: "Heribert Bruchhagen hat den Verein stabilisiert. Es gibt gar keinen Grund, über aktuelle Vorstandsmitglieder zu diskutieren."
Er selbst hege keine Ambitionen für das Amt des Vorstandsvorsitzenden, versicherte Hoffmann. "Meine Aufgabe ist jetzt die des Präsidenten des e.V. und alles andere ist Zukunft. Ich gehe davon aus, dass wir als Aufsichtsrat eine gute Nachfolgeregelung für Herrn Bruchhagen finden werden – wenn sie denn ansteht."
HSV-Wahl in der Kuppel: Hoffmann schlägt Meier
Meier lobte sich für seine e.V.-Arbeit
Meier hatte sich selbst und sein Präsidium vor allem für die Arbeit im e.V. mit seinen 30 Sportarten gelobt. Seit vier Jahren schreibt der Universalsportverein schwarze Zahlen, zuletzt wies er einen Gewinn von rund 166.000 Euro aus. Dagegen hat die Fußball-AG in der Saison 2016/17 Verbindlichkeiten von mehr als 105 Millionen Euro bei einem Verlust von 13,4 Millionen Euro verkündet.
Meier attackierte Hoffmann, er habe in seiner Zeit als Vereinschef von 2003 bis 2011 nicht besser gewirtschaftet und in seiner letzten Bilanz „auch 100 Millionen Euro Schulden“ geschrieben. Meier sieht einen gesunden e.V. als Basis für eine erfolgreiche AG.
Hoffmann deutet neues Personal an
Hoffmann sieht es genau anders herum und warb für eine Neuausrichtung. „Ein Weiter so kann es nicht geben. Wir brauchen eine Umkehr“, forderte der 55-Jährige. „Die Herzkammer des e.V. schlägt in der Fußball-AG.“ Er könne nicht erkennen, dass die Kontinuität der vergangenen Jahre den Verein „irgendwie nach vorne oder nach oben“ gebracht habe. „Der Erfolg eines Bundesligisten hängt von sieben bis acht Personalien ab“, betonte Hoffmann und deutete damit den Austausch von Verantwortungsträgern für den Fall eines Wahlsieges an.
Vereinsmitglied Konstantin Rogalla warf Meier eine „völlige Verkennung der Realität“ vor. „Über 100 Millionen Euro an Liquidität ist seit 2014 verbrannt worden“, sagte Rogalla und forderte: „Wir dürfen diese Art des Wirtschaftens nicht einen Tag länger zulassen.“
Mehrere Mitglieder verschafften sich Luft über die unzureichende Entwicklung der Fußball-Abteilung, die 2014 in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert worden war. Der HSV e.V. ist mit 76,19 Prozent Mehrheitsgesellschafter der AG. Der Präsident des e.V. nimmt als ständiges Mitglied im Aufsichtsrat Einfluss auf die Entscheidungen der AG.
Gottschalk zieht "AfD-Antrag" zurück
HSV-Mitglied Peter Gottschalk hat seinen Antrag auf den Ausschluss von AfD-Mitgliedern aus dem Verein zurückgezogen. Der Vorsitzende des Seniorenrats will stattdessen bei der nächsten Mitgliederversammlung einen Antrag auf Satzungsänderung einbringen. Im Regelwerk solle verankert werden, dass der Verein keinen Rassismus, keine Ausgrenzung, Diskriminierung und Herabsetzung von Menschen dulde.
Bruchhagen bittet um Unterstützung
Im Bericht des AG-Vorstandes gab der Vorsitzende Heribert Bruchhagen wegen des drohenden HSV-Abstiegs zu: „Es hat eine Eigendynamik des Misserfolges eingesetzt, die ich nicht erwartet habe. Ich trage die Verantwortung.“ Der 69-Jährige ergänzte: „Ich bitte Sie um die Unterstützung in diesem schweren Kampf.“ Dazu gehöre auch das Worst-Case-Szenario des Abstiegs. „Wer Fan des Vereins ist, steht bis zur letzten Aktion hinter dem HSV“, sagte Bruchhagen.
Die Bundesligaprofis selbst hatten auf einen Besuch der Mitgliederversammlung anders als ursprünglich geplant verzichtet. Damit reagierte das stark abstiegsbedrohte Team von Trainer Bernd Hollerbach auf die Wutausbrüche einiger Fans nach der 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen am Sonnabend.
Das MV-Protokoll zum Nachlesen:
Hoffmann ist neuer HSV-Präsident
Die Stimmen sind ausgezählt – und das von Versammlungsleiter Kai Esselsgroth verkündete, denkbar knappe Ergebnis dokumentiert noch einmal die gespaltene Stimmung unter den Mitgliedern: Bernd Hoffmann ist mit dünner Mehrheit zum neuen Präsidenten des HSV e.V. gewählt! Auf den Herausforderer und sein Team (Thomas Schulz und Moritz Schaefer) entfallen 585 Stimmen (51,09 Prozent), auf Jens Meier 560 (48,91 Prozent). Abgegeben wurden 1159 Stimmen, 14 Mitglieder haben sich demnach enthalten.
Neben Beifall hallen auch wieder Pfiffe und laute "Hoffmann raus!"-Rufe durch die Kuppel. Von Sicherheitspersonal wird der künftige Präsident für Interviews aus dem Saal geleitet. Wahlverlierer Meier gratuliert seinem Nachfolger indes fair.
Horn korrigiert Meier beim Sonderzug
Timo Horn schreitet einmal mehr ans Rednerpult, diesmal in seiner Eigenschaft als Supporters-Chef. In seinem Bericht korrigiert er Präsident Jens Meier: "Der Sonderzug nach Frankfurt war nicht innerhalb von drei Stunden ausverkauft, sondern in drei Minuten. Wir hätten locker drei Züge anbieten können."
Beide möglichen Präsidien hätten den Supporters ein höheres Budget zugesagt, um wieder mehr Auswärtsfahrten anbieten zu können. Seine Abteilung selbst habe stets gesund gewirtschaft und große Überschüsse erzielt. Den Vorschlag aus dem Publikum, die Strafzahlungen für Pyro-Vergehen der Fans lieber in die Krebshilfe zu stecken, will Horn an die AG weitergeben.
VfB Stuttgart zieht dem HSV davon
Schlechte Nachrichten aus der Bundesliga: Der VfB Stuttgart hat sein Auswärtsspiel beim FC Augsburg mit 1:0 (1:0) gewonnen. Auch Michael Gregoritsch konnte den Sieg des Hamburger Abstiegskonkurrenten nicht verhindern – seinem vermeintlichen Ausgleichstreffer wurde nach Videobeweis wegen Abseitsstellung die Anerkennung verweigert. Der VfB ist damit schon zehn Punkte vom HSV entfernt.
Stimmen werden ausgezählt
Die Wahl ist beendet. Jetzt werden die Stimmen ausgezählt. Währenddessen geht es weiter mit der Tagesordnung, darunter die Wahl der Rechnungsprüfer. Diese endet für Klaus Manal und Reimund Slany mit der Wiederwahl.
Die Wahl steht an
Die Redeliste ist geschlossen, damit kommt es nun zur mit Spannung erwarteten Wahl. Der Stimmung nach zu urteilen scheint es ein enges Rennen werden zu können. Abgestimmt wird nach Liste, jedes Mitglied hat also eine Stimme für das jeweilige Kandidatenteam. Team eins besteht aus Jens Meier (Präsident), Henning Klinkhorst (Vize) und Dr. Ralph Hartmann (Schatzmeister. Team zwei besteht aus Bernd Hoffmann, Thomas Schulz (Vize) und Moritz Schaefer (Schatzmeister).
Vorhaltungen und Rufe gegen Hoffmann
Bei den letzten Redebeiträgen, die sich mehrheitlich gegen Hoffmann und sein Wirken als damaliger Vorstandschef wenden, kommt es wiederholt zu Zwischenrufen, auch "Hoffmann raus!"-Rufe sind zu hören. Allerdings auch großes Gelächter aus dem Hoffmann-Lager, als Redner Peter Gottschalk betont, dass Meier es gelungen sei, sowohl den e.V. als auch die AG auf gesunde Füße zu stellen.
Zu Vorwürfen, er habe den HSV durch Verträge mit dem Rechtevermarkter Sportfive (heute Lagardère) in Schwierigkeiten gebracht, sagt Hoffmann: "Ich habe keinen einzigen Vertrag mit Sportfive unterschrieben, der dem HSV geschadet hat. Der Vertrag ist weit vor meiner Zeit mit dem HSV abgeschlossen worden."
17-Jähriger sorgt sich um seine Generation
Jacob Iversen lässt am Rednerpult aufhorchen. Der 17-Jährige erzählt, direkt im ersten Jahr nach der Relegation einen Fanclub gegründet zu haben. "Wahre Treue heißt, hinter dem Verein zu stehen, wenn sie verlieren", sagt der Schüler. Er plädiert für einen Wechsel von Meier zu Hoffmann – auch, um den Verein für jüngere Leute wie ihn wieder attraktiver zu machen: "Ich sehe gerade in meiner Generation immer weniger Leidenschaft für den HSV."
Meier sieht keine eigenen Fehler
Auf energische Nachfrage nach möglichen eigenen Fehlern sagt Meier: "Wir vom Präsidium haben keine wesentlichen Versäumnisse einzugestehen. Ich glaube, es ist vieles richtig gelaufen." Lediglich bei Transfers sei dies nicht immer der Fall gewesen. "Da war ich Teil des Ganzen", sagt Meier.
Wenig später sagt Meier, man müsse nun alle Kräfte für den Abstiegskampf bündeln – und sagt in diesem Zuge einen Satz, für den er sich einige Buhrufe einhandelt: "Alles andere ist eine total schwachsinnige Diskussion."
Meier vermeidet den Namen Hrubesch
Meier bestätigt, mit verdienten Spieler über ein künftiges Engagement im HSV gesprochen zu haben. Den Namen Horst Hrubesch nimmt Meier indes nicht in den Mund. Die Sponsoren, die solche Berater mit finanzieren sollen würden, wären letztlich mit seinem Namen verknüpft, sagt Meier auf Nachfrage eines Mitglieds. Heißt: Unter einem Präsidenten Hoffmann wäre ein entsprechender Coup wohl eher unwahrscheinlich.
Meier: e.V. wichtig für Bundesligalizenz
Nun ist Jens Meier an der Reihe. "Wir müssen ganz, ganz vieles ändern", sagt der Präsident zu Beginn. Dieser Prozess sei mit der Auswahl des neuen Aufsichtsrates angestoßen worden. "Egal, wie das hier heute ausgeht: Wir haben eine exzellente Besetzung gefunden."
Zur Vorhaltung, er kümmere sich mehr um die übrigen Abteilung im Verein als um die Fußball AG, sagt er: "Der e.V. muss überlebensfähig sein, wenn man überhaupt die Lizenz für die Bundesliga erhalten möchte."
Wie das Team Hoffmann setzt Meier auf die Nachwuchsarbeit. "Wir müssen die Talente selbst züchten und in Hamburg halten. Dann werden wir auch wieder erfolgreicher sein."
Zum Abschluss beruhigt HPA-Chef Meier die Mitglieder: "Trotz meines Fulltime-Jobs im Hamburger Hafen kam es nie vor, dass ich nicht genügend Zeit für den HSV hatte."
Dass die Geschäfte aber auch ohne ihn funktionieren können, veranschaulicht Meier anhand einer emotionalen Anekdote. Im Februar des vergangenen Jahres sei sein Sohn schwer verletzt worden, als er im Skiausflug mit der Schule aus einem Sessellift in die Tiefe stürzte.
Damals seien andere für ihn eingesprungen, als er sich um sein Kind kümmern musste. Nach einem Wirbelsäulenbruch sei sein Sohn inzwischen vollständig genesen.
Hoffmann mauert bei 50+1
Auf die Frage eines Mitglieds, wie er zur 50+1-Regel stehe, antwortet Hoffmann: "Die Entscheidung über 50+1 wird uns wahrscheinlich aus der Hand genommen. Aber natürlich bin ich ein Freund davon, dass die letzte Entscheidung beim Verein liegt." Bei Borussia Dortmund sei dies ähnlich.
Rost könnte sich HSV-Mitarbeit vorstellen
Kurzer Sprung zur Sky-Sendung "Wontorra – der Fußball-Talk". Dort hat Frank Rost den Wunsch nach "gravierenden Änderungen" bei seinem Ex-Club geäußert. "Diese wirst du wahrscheinlich aber erst vornehmen können, wenn es dem Verein richtig schlecht geht, sprich er abgestiegen ist", sagte der 44 Jahre alte frühere Torhüter.
Man müsse beim Bundesliga-Dino "eine Linie reinbringen", ergänzte Rost, der sich ein Engagement beim aktuellen Tabellenvorletzten vorstellen kann. Er habe "sehr viel Energie und Herzblut" beim HSV reingesteckt: "Wenn so ein Verein kommen und fragen würde, ob ich mir das vorstellen könnte, dann würde ich das natürlich machen."
Hoffmann macht letztmals Wahlkampf
Hoffmann beschreibt sich selbst als "deutlich nervöser als vor sieben Jahren". Die Entscheidung, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, sei beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:2) am 12. Dezember des vergangenen Jahres gefallen. "Das war für mich eine sehr traurige Erfahrung mit 17.000 leeren Plätzen", sagt er. "Wir brauchen dringend eine Trend-Umkehr."
Auch er habe in meiner Amtszeit das ein oder andere Mal daneben gelegen, sei aber lernfähig. Beschuldigen möchte Hoffmann daher niemanden, sagt aber: "Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig mit Clubs wie Schalke oder Mönchengladbach. Das kann nicht der Anspruch des HSV sein mit einem Umfeld wie in Hamburg."
Hoffmann sagt: "Die Herzkammer des e.V. schlägt am Ende in der Fußball AG." Er könne nicht erkennen, dass die Kontinuität der vergangenen Jahre "irgendwie nach vorne oder oben bringt". "Der Erfolg der AG ist das Entscheidende und macht die Abteilungen des e.V. handlungsfähiger."
Zum Umgang mit Anteilseignern sagt Hoffmann: "Mit Kühne muss man klare Regeln vereinbaren, dann wird er sich auch daran halten. Ich habe ein großes Verständnis für seine Unzufriedenheit. Mit würde an seiner Stelle so der Hals platzen, das kann ich gar nicht sagen." Er strebe mit dem Investoren eine "gute, klare und verlässliche Partnerschaft" an: "Dann kann er auch alle paar Wochen ein emotionales Interview geben."
Im Aufsichtsrat würde sich Hoffmann "ganz normal einordnen" wollen. Einige Mitglieder kenne er gar nicht, deshalb gebe es auch keinerlei Ressentiments. Zu den entscheidenden Positionen in einem Fußballverein gehörten für ihn der Vorstandsvorsitzende, Sportvorstand, Cheftrainer, Scoutingchef, Nachwuchschef und U-21-Trainer. "Sind wir da wirklich optimal aufgestellt?", fragt Hoffmann.
Team Hoffmann beginnt mit Wahlkampf
Bernd Hoffmann und sein Team um Thomas Schulz (Vize-Präsident) und Moritz Schaefer (Schatzmeister) dürfen mit der Wahlkampfrede beginnen. Den Anfang macht Schaefer, der sich als "Kind der West-Kurve" vorstellt. Seine drei Kinder seien "selbstverständlich" von Geburt an HSV-Mitglieder. Seine Präsentation schließt der 39-Jährige unter anderem mit den Zielen, die derzeitigen Einnahmen des e.V. von 6,5 Millionen Euro auf zehn Millionen Euro zu steigern sowie die Mitgliederzahl von 100.000 zu knacken.
Walace fliegt morgen und am Freitag zurück
Zwischendurch ein kurzes Update zu Walace: Der Brasilianer wird morgen in seine Heimat fliegen, um dort sein neugeborenes zweites Kind in den Arm zu nehmen. Fithalten will sich der Mittelfeldspieler mit einem Privattrainer, zurückkehren dann am kommenden Freitag mit einem Flug nach Bremen. Dort wird er dann zur Mannschaft stoßen, die am Sonnabend (18.30 Uhr, im Liveticker auf abendblatt.de zum Nordderby bei Werder antritt.
Supporters-Chef vergleicht HSV mit Yuppie
Supporters-Chef Timo Horn vermisst beim HSV eine eigene Identität. Mit viel Zeit und Geld sei ein Leitbild erschaffen worden, das jedoch nicht gelebt werde. "Wenn ich mir die Zukunft des HSV vorstelle, sehe ich irgendwo ein schwarzes Loch", sagt Horn. "Man müsste eigentlich an hanseatisches Handeln denken, an das Tor zur Welt an die harten Hafenarbeiter und die ehrlichen Kaufleute. Man könnte auch daran denken, dass wir niemals aufgeben."
Momentan sei der HSV am ehesten zu vergleichen mit einem "verzogenen Yuppies, der mit Papas Porsche einen auf dicke Hose macht." Dabei plädiere er davor, "lieber mal Golf als Porsche zu fahren: "Das wird aber schwierig, wenn man immer nur von einem Porscheverkäufer beraten wird."
Mitglied fordert von Bruchhagen "mehr Ehrlichkeit"
Auch Bruchhagen bleibt von den Mitgliedern nicht verschont. Ein Redner fordert von dem Vorstandschef "mehr Ehrlichkeit und Realitätssinn" gegenüber den Fans. Den Verantwortlichen der AG hält der Mann außerdem vor, den Vertrag des Stürmers Bobby Wood "ohne Not mit erhöhten Bezügen" verlängert zu haben. Dazu sei Michael Gregoritsch zu einem "Spottpreis" abgegeben, gleichzeitig André Hahn bei einem Jahr Restvertragszeit in Mönchengladbach für mehr als Doppelte geholt worden.
Bruchhagen schwört auf Abstiegskampf ein
Heribert Bruchhagen schwört die Mitglieder als Vorstandsvorsitzender der AG auf den Abstiegskampf ein. "Ich glaube immer noch komplett an den Klassenerhalt. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung", sagt Bruchhagen mit bebender Stimme. Negative Spruchbänder wie das gestrige ("Bevor die Uhr abgestellt wird, jagen wir euch durch die Stadt"/Anm.d.Red.) würden die Mannschaft nur herunterziehen.
Er selbst lasse sich von derlei Aktionen jedoch " überhaupt nicht irritieren", sagt Bruchhagen, der sich vielmehr für die Unterstützung der Zuschauer im Spiel gegen Leverkusen bedankt – die er gleichzeitig auch im weiteren Verlauf erwartet. "Wer ein Fan des HSV ist, der steht bis zur letzten Situation zum Verein", sagt Bruchhagen.
Das gelte auch für einen möglichen Abstieg. "Auch das Worst-Case-Szenario muss man mittragen, wenn man ein HSV-Fan ist", sagt der 69-Jährige. "Wir steigen nicht ab. Aber sollte es so kommen: Schalke ist dreimal abgestiegen, Köln fünfmal, Frankfurt viermal. Diese Vereine haben bewiesen, dass es auch mal ganz schlechte Situationen geben kann."
Gegenwind für Jens Meier
Jens Meier erhält ersten kräftigen Gegenwind der Mitglieder. Von sieben Rednern, die zu den vorangegangenen Berichten Stellung beziehen, wettern fünf mehr oder weniger heftig gegen den noch amtierenden Präsidenten. Konstantin Rogalla hält den von Meier erwähnten Überschuss von 166.000 Euro des Gesamtvereins gegenüber einem operativen Verlust von rund 94 Millionen Euro unter seiner Aufsicht für "einen Witz" und eine "völlige Verkennung der Prioritäten". In einem "boomenden Fußballumfeld" hätten selbst Vereine wie der FC Augsburg zuletzt Gewinne von 15 respektive acht Millionen Euro nach Steuern erwirtschaftet.
Meier kontert: "Wir sollten bei der Wahrheit bleiben." Auch gegen die Vorhaltung, er habe Investor Klaus-Michael Kühne mit der Besetzung des Aufsichtsrates "vor den Kopf gestoßen", setzt sich Meier entschieden zur Wehr. "Ich habe vor der Abstimmung auch mit ihm gesprochen", versichert Meier: "Herr Kühne hat Wert darauf gelegt, dass wir kompetente Leute haben." Kritik erhält Meier auch für die Terminierung der Aufsichtsratswahlen zwölf Tage vor der heutigen Mitgliederversammlung oder das vermeintliche Verschweigen negativer Entwicklungen der AG. "Diese Friede-Freude-Eierkuchen-Reden ist man von Ihnen gewohnt", sagt einer in Richtung Meier.
Am Ende wird das Präsidium dennoch mit einer deutlichen Mehrheit der inzwischen 1162 anwesenden stimmberechtigten Mitglieder entlastet.
Walace trotz Vaterschaft weiter dabei
Ein paar hundert Meter weiter ist übrigens auch immer noch Walace im Kreise seiner Kollegen – und das, obwohl gestern in Brasilien das zweite Kind des Olympiasiegers geboren wurde. Ursprünglich war Walace zugesagt worden, am Tag nach dem Spiel gegen Leverkusen zu seiner Familie in die Heimat fliegen zu dürfen, um seinen Sohn sehen und seine Frau unterstützen zu können.
Meier konzentriert sich auf Positives
Jens Meier spricht erstmals zu den Mitgliedern. Zu Beginn seines Berichts prognostiziert der Präsident für den Laufe des Tage "hitzige Diskussionen". Ansonsten erwähnt der Hafenchef die "Unwägbarkeiten und Altlasten", die sein Präsidium übernommen habe. Um durch strukturelle Änderungen den Verein zu stärken, sollten die Finanzen des e.V. nachhaltig gesichert werden, sagt Meier: "Der Laden ist gefegt. Wir sind auf einer gesunden Basis, aber noch nicht auf Rosen gebettet."
Ansonsten hebt Meier lieber erst einmal die positiven Nachrichten in den Vordergrund – zu den Erfolgen wie dem Weltmeistertitel der Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst wird dazu ein emotionaler Film eingespielt. Auch die Renaissance eines Fan-Sonderzugs, der am vorletzten Spieltag der Fußballer nach Frankfurt fährt und nach drei Stunden ausverkauft war, hebt Meier stolz hervor.
Profis erscheinen nicht auf der MGV
Nachdem ursprünglich zumindest ein Teil der Mannschaft auf der Mitgliederversammlung erscheinen sollte, hat der HSV nun entschieden, die Profis nicht in die Kuppel zu schicken. Damit reagieren die Verantwortlichen auf die Ereignisse rund um das Spiel gegen Leverkusen, als Fans zunächst per Banner den Spielern drohten und nach Abpfiff teilweise versuchten, den Platz zu stürmen.
Die HSV-Profis in der Einzelkritik
"Wir haben Verständnis für die Enttäuschung der Fans, aber nicht für Gewaltandrohungen", hatte Jens Todt über die Vorkommnisse gesagt. Der Sportchef will sich den Mitgliedern später ebenso stellen wie Bernd Hollerbach. Am Morgen hatte der Trainer seine Spieler noch zum Auslaufen in den Wald geschickt – allerdings erst um 10.42 Uhr und damit eine gute dreiviertel Stunde später als sonst üblich.
Demzufolge hat die Video-Analyse nach dem Leverkusenspiel etwas länger gedauert. Zum Laufen wurden auch die Torhüter beordert, womit sich letztlich lediglich Nicolai Müller für Reha-Übungen auf dem Trainingsplatz aufhielt, der wiederum vorsorglich von drei Ordnern und einem Sicherheitsmann geschützt wurde. Tumulte gab es allerdings keine.
Wahl wird vorgezogen
Bei einer Gegenstimme haben die Mitglieder dem Vorschlag zugestimmt. die ursprünglich an TOP 14 vorgesehene Wahl des Präsidiums vorzuziehen. Damit werden zuvor nur noch die jeweiligen Berichte und Entlastungen der Rechenprüfer, des Präsidium, der Fußball AG sowie des Beirats behandelt.
Die anderen mit Spannung erwarteten Anträge von Peter Gottschalk (Ausschluss von AfD-Mitgliedern) sowie von Klaus Meetz (75,01 Prozent Vereinsanteile an der AG sicherstellen) und Ulrich Becker (maximale Anteilshöhe des Vereins an der AG von 49 Prozent) stehen dann später auf der Agenda.
Präsident hat direkten Einfluss auf AG
Der HSV mit seinen mehr als 30 Abteilungen ist Mehrheitsgesellschafter der ausgegliederten Fußball-AG. Der Präsident hat als Mitglied des Aufsichtsrates direkten Einfluss auf die AG. Meier setzt auf Kontinuität, sieht den Verein auf einem guten Weg. Hoffmann will Umgestaltung und kreidet Präsidium wie Aufsichtsrat erhebliche Fehler in den vergangenen Jahren an.
Zitate zur Wahl des HSV-Präsidenten
Sportlich desaströse Entwicklung des HSV
Die Wahl wird vor dem Hintergrund einer wirtschaftlich und sportlich desaströsen Entwicklung des Fußball-Bundesligisten abgehalten. Die AG drücken Verbindlichkeiten jenseits der 100 Millionen Euro. Das Team von Coach Bernd Hollerbach ist Tabellenvorletzter und droht erstmals in der Vereinsgeschichte abzusteigen. Nach der 1:2-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen, die Meier und Hoffmann am Sonnabend vor Ort im Volksparkstadion verfolgten, beträgt der Rückstand des HSV auf den FSV Mainz 05 auf dem Relegationsplatz bereits sechs Punkte.