Hamburg. Der Schwabe verabschiedete sich am Sonntagvormittag stilvoll von Mannschaft und Mitarbeitern. Seine Fehlerliste ist lang.
Es war 10.32 Uhr am Sonntagmorgen, als Markus Gisdol als HSV-Trainer gehen musste. Oder besser gesagt: fahren musste. Oder noch besser gesagt: fahren wollte. Denn wirklich weit war der 48 Jahre alte Fußballlehrer nicht gekommen, als er sich in seinen Dienstwagen gesetzt hatte und vorerst ein letztes Mal das HSV-Clubgelände am Volksparkstadion verlassen wollte.
Als die Schranke nach oben schnellte, hatten innerhalb von wenigen Sekunden gut zwei Dutzend Kameramänner, Fotografen und Journalisten das Auto umstellt, um den geschassten Coach noch mal zur Rede zu stellen. Der sonst oft unnahbare Trainer blieb gelassen, ließ die Scheibe runter und sagte: „Ich hätte gerne weitergemacht.“
Hätte, hätte, Fahrradkette. Nach der vierten Niederlage in Folge und einem zementierten 17. Platz hatten die Vorstände Heribert Bruchhagen und Frank Wettstein sowie Sportchef Jens Todt nur wenige Minuten zuvor die berühmte Reißleine gezogen: „Die Entscheidung war alternativlos und einstimmig“, erklärte HSV-Chef Bruchhagen, als Gisdol bereits in seinem Familiendomizil in Harvestehude angekommen war.
Ende, Aus, Schluss, vorbei.
Gisdol glaubt an HSV-Rettung
Gerade mal 16 Monate oder – je nach Perspektive – immerhin 16 Monate hatte der Schwabe im hohen Norden beim HSV ausgehalten. 48 Bundesligaspiele (14 Siege, zehn Unentschieden, 24 Niederlagen) mit einem ernüchternden Schnitt von 1,08 Punkten pro Partie hatten Statistiker notiert, ehe es nichts mehr zu notieren gab.
„Ich habe sehr gerne für den HSV, mit dieser Mannschaft und mit den Menschen in diesem Verein gearbeitet“, sagte Gisdol, nachdem er und sein Trainerteam sich in der Kabine von Mannschaft und Mitarbeitern verabschiedet hatten und Athletikcoach Daniel Müssig das anschließende Training leitete. „Der Club steht vor großen Herausforderungen. Hierfür wünsche ich den Verantwortlichen das nötige Glück. Die Mannschaft kann es auch diese Saison wieder schaffen, davon bin ich total überzeugt.“
Doch mit der Überzeugung war es spätestens nach der erneuten Niederlage gegen Schlusslicht Köln so eine Sache. Wie so oft in der Ära Gisdol hatte der HSV auch am Vorabend gegen den FC gut begonnen – und dann wie so oft den Faden komplett verloren.
Hahn stärkte Gisdol noch den Rücken
Am Ende waren es zwei Tore von Kölns Neuzugang Simon Terodde, die Hamburgs erneute Niederlage und Gisdols Aus als HSV-Trainer besiegelten. „Das Geschäft ist hart und wird es immer sein“, philosophierte André Hahn nach der Partie, ehe er noch einen verzweifelten – und nicht von Erfolg gekrönten – Versuch unternahm, sich doch noch für einen Verbleib Gisdols auszusprechen: „Wir als Mannschaft haben volles Vertrauen in den Trainer. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er es mit uns schafft.“
Nicht einmal 14 Stunden später war das Vertrauen in den Coach allerdings restlos aufgebraucht. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte Bruchhagen. „Aber wir können nicht zufrieden sein mit den Ergebnissen, und wir können auch nicht zufrieden sein mit den sportlichen Leistungen.“
Dass auch Gisdol selbst ganz und gar nicht zufrieden war, wollte der Coach am Vorabend seiner Entlassung lieber nicht öffentlich kundtun. So wurde er auf seiner letzten offiziellen Pressekonferenz als HSV-Trainer von einem Medienvertreter gefragt, ob nicht die Zeit gekommen sei, Klartext zu reden und die Qualität des Kaders anzumahnen. „Das können Sie so interpretieren, wie Sie es möchten“, antwortete Gisdol.
Gisdol verbesserte keinen Spieler
Nun denn. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch einerseits, dass Gisdol in zahlreichen Gesprächen sehr wohl auf die fehlende Qualität und Quantität des Kaders aufmerksam gemacht hat – zuletzt nach dem 0:1 gegen Augsburg. Da soll es in einer internen Runde mit Sportchef Todt und mehreren Scouts zu Verwerfungen gekommen sein, weil Gisdol anmahnte, dass auch ein halbes Jahr nach dem Kreuzbandriss von Schlüsselspieler Nicolai Müller kein Ersatz gefunden wurde.
16 Trainer in 14 Jahren beim HSV:
17 Trainer in elf Jahren beim HSV
Andererseits muss sich Gisdol den massiven Vorwurf gefallen lassen, dass er in seiner Zeit als HSV-Trainer weder eine Mannschaft noch einen Einzelspieler entwickeln konnte. Douglas Santos wurde aussortiert und wieder begnadigt, Julian Pollersbeck degradiert und befördert. Auch Walace, Aaron Hunt, die einstigen Lieblingsspieler André Hahn und Bobby Wood, Luca Waldschmidt und in krasser Form an diesem Wochenende Lewis Holtby wurden Opfer oder Begünstigte dieser Jo-jo-Taktik. Ein stimmiges Mannschaftsgefüge konnte so kaum entstehen.
Die Liste der Vorwürfe ist lang – und soll zum Ende nicht ohne Gegenrede so stehen bleiben. „Vielen Dank für meine ersten Schritte im Profibereich und für alles, was Sie für diesen Verein geleistet haben!“, ließ Fiete Arp, den Gisdol zum Profi gemacht hatte, via Facebook ausrichten. „Alles Gute in der Zukunft für Sie und ihr Trainerteam.“