Hamburg. HSV verliert das Kellerduell gegen das Schlusslicht. Fans pfeifen, Sportchef Todt will einen Trainerwechsel “nicht ausschließen“.
Das Alptraumszenario vieler HSV-Fans ist wahr geworden: Das Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga hat das Kellerduell des 19. Spieltages gegen Schlusslicht 1. FC Köln mit 0:2 (0:1) verloren. Durch die vierte Niederlage und das sechste sieglose Spiel in Folge spürt die Mannschaft von Markus Gisdol nun auch den heißen Atem der Rheinländer, die bis auf drei Punkte an den Tabellen-17. heranrücken.
Das ist der HSV – dessen Verantwortliche sich wohl nun mehr denn je mit der Trainerfrage auseinandersetzen müssen. Schicksal gespielt im vermeintlichen Topspiel am Sonnabendabend hat zunächst einmal Simon Terodde. Der FC-Stürmer zeichnete für den dritten Sieg des zuvor abgeschlagenen Letzten mit zwei Treffern (27./67.) nahezu alleine verantwortlich.
Bereits in der vergangenen Woche hatte der Torjäger, der in der Winterpause vom VfB Stuttgart nach Köln zurückgekehrt war, dem FC mit einem Treffer in der Nachspielzeit den Sieg gegen Borussia Mönchengladbach gesichert. Die Kölner bleiben mit nun zwölf Punkten nach 19 Spielen zwar weiter auf dem letzten Platz. Der HSV hat jedoch nur noch drei Zähler mehr. Mit 16 Punkten liegt Werder Bremen vor der Auswärtspartie am Sonntag beim FC Bayern München auf dem Relegationsplatz.
Die Statistik
Todt schließt Trainerwechsel nicht aus
"Ich habe hier keine unterirdische Leistung gesehen, das war kämpferisch total in Ordnung. Es war ein extrem bitterer Tag für uns", sagte Hamburgs Sportchef Jens Todt nach dem Spiel bei Sky. "Ich habe eine Mannschaft gesehen, die sich gewehrt hat." Schönreden wolle er aber nichts. "Wir haben eine richtig schlechte Bilanz." Zur Zukunft von Gisdol sagte er: "Wir wollen erst einmal das Spiel verdauen. Morgen sehen wir weiter." Auf Nachfrage zu einem möglichen Trainerwechsel sagte Todt schließlich: "Ich kann das nicht ausschließen."
Aus dieser Aussage müsse die Entlassung Gisdols abgeleitet werden, urteilte Sky-Experte Reiner Calmund: "Der HSV muss geistig einen völlig neuen Anfang machen."
Entscheidung am Sonntag
In der Pressekonferenz nach dem Spiel antwortete Todt auf die Frage nach einem möglichen Gisdol-Nachfolger: "Ich bin auf alle Szenarien vorbereitet." Am Sonntagmorgen will Todt mit Bruchhagen und Finanz-Vorstand Frank Wettstein, der das Spiel neben Direktor Sport Bernhard Peters von der Tribüne aus verfolgte, zusammenkommen, um in der Trainerfrage eine endgültige Entscheidung herbeizuführen. Nach Abendblatt-Informationen soll im Anschluss daran Gisdol sowie aller Voraussicht nach auch seinen Co-Trainern Frank Fröhling und Frank Kaspari die Trennung mitgeteilt werden. Wer das auf 10 Uhr angesetzte Training leiten wird, ist noch unklar.
Nach dem Spiel weilte Gisdol gemeinsam mit Heribert Bruchhagen vorerst noch in der Kabine. Vor dem Spiel hatte der HSV-Vorstandschef noch ein halbherziges Bekenntnis zu seinem Trainer abgegeben. "Wir wollen die Wende schaffen, und wir wollen die Wende zusammen schaffen. Dafür ist dieses Spiel heute geeignet", sagte Bruchhagen. Dies allerdings auch: "Mit Durchhalteparolen oder Treueschwüren ist die Bundesliga noch nie gut gefahren. Ich habe Vertrauen in den Trainer, Kontinuität ist unser Ziel, aber wir müssen die Wende schaffen."
Gisdol: "Wir müssen uns schnell aufrichten"
Gisdol selbst sprach in der Spielanalyse von "fehlendem Spielglück". Kämpferisch sei seinen Spielern nichts vorzuwerfen. "Wir müssen gucken, dass wir uns schnell aufrichten", sagte Gisdol. Zur Frage, ob er in der kommenden Woche noch Trainer des HSV sein wird, sagte er: "Ich hoffe es." Er wolle "natürlich" weitermachen und nun mit Todt sprechen. Dort müsse Gisdol nach Ansicht Christoph Metzelders jedoch "deutlich kämpferischer" auftreten. Nur so könne er die HSV-Verantwortlichen weiter von sich überzeugen, urteilte der Sky-Experte.
Die HSV-Profis in der Einzelkritik
"Wir müssen realistisch sein, aber auch sehen, dass wir einiges gut gemacht haben", sagte HSV-Innenverteidiger Mergim Mavraj. "Ich glaube nicht, dass Köln viel besser war. Unsere Situation ist verflixt." Das Verhältnis der Mannschaft zu Gisdol sei jedoch "sehr gut".
André Hahn, der beim HSV durch den Ausfall von Stürmer Fiete Arp den Vorzug vor Bobby Wood als einzige Spitze erhalten hatte, sagte über das Spiel: "Wir sind in der Anfangsphase gut ins Spiel gekommen und schlafen dann bei einem Eckball. Es ist sicher nicht unser Anspruch, zuhause mit 0:2 gegen Köln zu verlieren. Aber was soll ich sagen?" Über Gisdol sagte Hahn: "Natürlich vertrauen wir unserem Trainer, er gibt uns alles vor."
Die Höhepunkte
Auch Uwe Seeler ist genervt
Nach zwölf Saisonniederlagen und lediglich 15 Punkten in 19 Spielen kann Trainer Markus Gisdol nur wenige Argumente für seine Weiterbeschäftigung vorweisen. Die Zweifel am HSV-Trainer, der die Partie als „gefühlt 25. Endspiel“ beschrieb, wachsen auch im Vorstand. Der Retter von 2017 wackelt bedenklich. Vom ewigen Abstiegskampf der Hamburger ist selbst Idol Uwe Seeler genervt. „Es nimmt mich sehr mit, dass der HSV nichts auf die Beine gestellt bekommt“, klagte der 81-Jährige.
Ganz anders ist die Stimmung bei den Kölnern, die sich im Aufbruch befinden. Ihr Rückstand auf den Relegationsrang beträgt nur noch vier Punkte. Mit dem ersten Auswärtssieg der Saison und der kleinen Erfolgsserie schüren sie die jüngst ausgebrochene Euphorie und wahren die Hoffnung auf eine wundersame Rettung vor dem Abstieg.
Pollersbeck kann zunächst noch retten
Der HSV hatte zwar einen starken Beginn mit wuchtigen Angriffen und drei Torchancen in der ersten Viertelstunde durch Hahn (1.) und Filip Kostic (3./12.), scheiterte aber an Kölns Torhüter Timo Horn. Zudem hatten die Platzherren Glück, dass Julian Pollersbeck dem durchgebrochenen Yuya Osaka den Ball in allerletzter Sekunde vom Fuß pflücken konnte (11.). Bei einer Kölner Ecke war die HSV-Abwehr aber nicht im Bilde: Osako verlängerte den Ball per Kopf über das HSV-Trio Lewis Holtby, Kyriakos Papadopoulos und Gideon Jung hinweg, und Terodde spitzelte ihn aus Nahdistanz durch die Beine des auf der Linie stehenden Kostic zur Kölner Führung ins Tor.
Danach begann das bekannte Hamburger Leiden. Die Gastgeber verloren an Mut, Entschlossenheit und Energie. Liegen sie erst mal hinten, verlieren sie auch. Das war zum zwölften Mal so in dieser Saison. Köln wurde stärker und erzwang mindestens Gleichwertigkeit. Der Hamburger Aufbruch in der ersten Halbzeit war beendet. Nach dem Seitenwechsel kämpfte das Team, spieltechnisch lief aber nur wenig zusammen. Das 0:2 leitete die Gäste per Konter ein. Milos Johic hob den Ball gekonnt auf Terodde, der nahm gekonnt an und tunnelte den herausstürzenden Pollersbeck. Es folgte Entsetzen im Stadion.
"Es war mega intensiv", sagte Matchwinner Terodde hinterher. "Hamburg hat in der Anfangsphase enorm Druck gemacht. Wir haben mit Glück das 1:0 und dann zu einem wichtigen Zeitpunkt das 2:0 gemacht. Wir haben nur wenig zugelassen. Am Ende haben wir dann mit Glück die drei Punkte geholt. Es war ein wichtiger Sieg, ganz Köln darf heute feiern. Wir haben uns in eine gute Situation gebracht, die wir natürlich noch verbessern wollen."
Stimmgewaltige FC-Fans, Pfiffe für den HSV
Die Kölner bestätigten ihren Aufschwung der vergangenen Wochen. Rund 4000 erwartungs- und stimmgewaltige Fans waren ihrer Mannschaft ins Volksparkstadion gefolgt. Sie sahen ein engagiertes, äußerst motiviertes Team, das tatsächlich noch an die Rettung glaubt. Anders die Stimmungslage beim Hamburger Publikum: Zur Halbzeit wurden die HSV-Fans mit gelllenden Pfiffen in die Kabine verabschiedet. Zum Ende hin entschieden sich einige Zuschauer für die sarkastische Interpretation von "Oh, wie ist das schön...".
Die bislang blasse Offensive der Hamburger brachte erneut den Ball nichts ins Tor. Mit lediglich 15 Toren in 19 Spielen ist der Angriff des HSV nicht erstligatauglich. Der erfolglose Wood, der in dieser Saison seinen einzigen Treffer vor fünf Monaten im Hinspiel gegen Köln erzielte hatte, blieb diesmal zunächst draußen. Für ihn spielte Rechtsaußen Hahn Mittelstürmer.
Der große Hoffnungsträger des HSV fehlte erneut: Der 18-jährige Arp war wie schon zum Rückrundenstart vor einer Woche wegen eines grippalen Infekts ausgefallen. Doch auch er hätte wohl das Elend der Hamburger nicht verhindern können.