Hamburg. Der Letzte kommt in Hochstimmung: In Köln herrscht nach zwei Siegen Euphorie – beim HSV spürt man vor allem Angst.

„Mir sin jekumme öm ze fiere“ werden sie singen. Alle. Voller Inbrunst und Überzeugung. Sie kommen, um zu feiern – knapp 1000 Fans des 1. FC Köln treffen sich am Sonnabend im „12. Mann“ in ihrem RheinEnergie-Stadion ab 17.30 Uhr. „Loss mer singe“, heißt die Karnevalsveranstaltung.

Ab 20.20 Uhr geht es richtig los mit dem traditionellen Einsingen in die fünfte Jahreszeit. Dann, wenn das Spiel des Tabellenletzten vom Rhein beim HSV abgepfiffen ist. Vorher schauen sie gemeinsam das Abstiegsduell auf der Großbildwand, zittern, fiebern, jubeln, fluchen und fühlen sich tief verbunden mit den rund 3200 Kölnern, die ihr Team live beim Tabellen-Vorletzten im Gästeblock des Volksparkstadions anfeuern werden: voller Optimismus und Selbstvertrauen: „Mir sin jekumme öm ze fiere.“

In  Köln haben die Spieler wieder Mut gefasst – vor allem nach dem Last-minute-Sieg gegen  Mönchengladbach
In Köln haben die Spieler wieder Mut gefasst – vor allem nach dem Last-minute-Sieg gegen Mönchengladbach © picture alliance / SvenSimon | dpa

Es hat sich Erstaunliches getan beim 1. FC Köln. Der in der Nachspielzeit herausgeschossene Sieg im Derby gegen Borussia Mönchengladbach am vergangenen Sonntag hat die Zuversicht – ach was: den festen Glauben – wachsen lassen, dass die wundersame Rettung vor dem Abstieg doch noch möglich ist. Ein emotionaler Brustlöser, Selbstvertrauen-Bringer. „Wenn der Funke Hoffnung jetzt nicht zündet, weiß ich auch nicht“, sagt Torwart Timo Horn. „Wenn wir in Hamburg gewinnen, kommen wir auf drei Zähler heran, und daran glauben wir.“

Trainer Stefan Ruthenbeck hat vor allem mental einen großen Fortschritt bei seiner Truppe festgestellt: „Bei der Mannschaft ist eine klare Entwicklung zu erkennen. Sie wehrt sich, glaubt an sich und gibt nie auf.“

Walace bleibt außen vor beim HSV

Seit der Trennung von Trainer Peter Stöger am 3. Dezember herrscht wieder Aufbruchstimmung. In den letzten vier Pflichtspielen gab es zwei Siege und zwei knappe 0:1-Niederlagen auswärts bei den Spitzenteams in München und auf Schalke. Langzeitverletzte Leistungsträger wie Jonas Hector sind zurück, mit Simon Terodde und dem Franzosen Vincent Koziello haben sich die Kölner offenbar gut verstärkt. Auch das sind positive Signale.

„Wir wissen, dass wir Spiele gewinnen können. Das ist neu“, sagte Ruthenbeck und baut Druck Richtung HSV auf: „Ich möchte nicht in der Hamburger Haut stecken: zu wissen, da kommt eine Mannschaft, die zweimal hintereinander gewonnen hat und auf die du nach einer Niederlage nur noch drei Punkte Vorsprung hast.“

HSV-Trainer Markus Gisdol hat die forschen Töne aus Köln natürlich vernommen: „Das ist für uns die richtige Motivation“, behauptet er. Die Mannschaft „will hundertprozentig“. Das sehe er im Training: „Die Jungs beißen auf die Zähne und werfen alles rein.“ Für Walace gilt das jedoch nicht. Der Brasilianer ist draußen, auch wenn sich sein Wechsel zu Flamengo Rio de Janeiro (vorerst) zerschlagen hat. „Er will weiter weg“, sagt Gisdol. „Würden Sie solch einen Spieler aufstellen?“

Was HSV-Trainer Markus Gisdol fürs Köln-Spiel Hoffnung macht

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    HSV will „den (Geiß-)Bock umstoßen“

    Sowieso ist die Stimmungslage in Hamburg gänzlich anders als in Köln. Neuverpflichtungen in der Winterpause hat es nicht gegeben, Leipzigs Dominik Kaiser, ein zentraler Mittelfeldspieler, steckt noch in der Warteschleife. Das verlorene Spiel in Augsburg zog die Stimmung weiter runter. Auch viele Fans wirken müde angesichts des ewigen Abstiegskampfes. Immer wieder die Motivation aufzubringen, ein Team, das fast immer enttäuscht, rückhaltlos zu unterstützen, fällt zunehmend schwerer. Das macht sich auch in den zurückgehenden Zuschauerzahlen bemerkbar (das Abendblatt berichtete).

    „Die Stimmung um uns herum beeinflusst unsere Arbeit überhaupt nicht“, sagt Gisdol. „Im Stadion haben wir immer großartige Unterstützung. Das muss weiterhin unser Faustpfand sein.“

    In den sozialen Netzwerken hat die Medienabteilung deshalb eine Motivierungskampagne begonnen. Es gibt einen anrührenden Film mit emotionalen Bildern von Fans im Stadion. In einem Video schnippt Dino Hermann einen Stoff-Geißbock, das Kölner Maskottchen, um. „Den Bock umstoßen“ heißt das übersetzt. Ob es etwas bringt, wird sich am Sonnabend nach Spielschluss gegen 20.20 Uhr zeigen.

    Was wird aus Gisdol?

    „Lassen Sie uns nach dem Spiel sprechen“, antwortet Gisdol auf alle Fragen nach der Stimmung. Ob es ein Endspiel sei? „Das war es schon vergangenes Jahr gefühlt in jedem Spiel.“ Damals kam sein Team aus einer ähnlich prekären Situation wie jetzt noch heraus und rettete sich am letzten Spieltag. Dank der Heimstärke und der positiven Stimmung. Spielerischen Fortschritt aber hat es seitdem nicht gegeben. Gisdol weiß, dass er bei einer Niederlage nur noch wenige Argumente hätte.

    „Mir sin jekumme öm ze blieve“, werden die jecken FC-Fans bei einem Auswärtssieg in Hamburg anstimmen – gekommen, um zu bleiben. In der Bundesliga. Der HSV müsste dann mit dem alten Heidi-Kabel-Schlager antworten: „In Hamburg sagt man Tschüs.“

    Was kann den HSV jetzt noch retten?

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