Hamburg. Bei einer Köln-Pleite steht der Coach vor dem Aus – mal wieder. Kaum ein HSV-Trainer hat in so kurzer Zeit so viele Krisen überlebt.

Katzen haben sieben Leben. Das behauptet zumindest der Volksmund. Und obwohl diese Redensart nach einem biologischen Faktencheck als Quatsch einzuordnen ist, entbehrt zumindest der Ursprung des Sprichworts nicht einer gewissen Logik. Schuld daran ist der sogenannte Stellreflex. So nennt man das Phänomen, dass Katzen auch aus hohen Höhen hinunterfallen können – und irgendwie doch immer auf ihren Pfoten landen.

Nun ist bedauerlicherweise nicht bekannt, ob Hundebesitzer Markus Gisdol auch ein großer Katzenfreund ist oder nicht. Aus großen Höhen ist der Trainer in seiner Zeit beim HSV jedenfalls nicht abgestürzt. Und doch scheint der katzenspezifische Stellreflex gerade beim gebürtigen Geislinger sehr ausgeprägt – und könnte den krisenerprobten Fußballlehrer möglicherweise auch am kommenden Wochenende vor dem Aus bewahren. Oder eben nicht.

Die unwiderruflichen Fakten: Tatsächlich hat Gisdol fast die Hälfte seiner 47 Spiele als HSV-Trainer verloren (49 Prozent). Lediglich der einstige „Bis-auf-Weiteres-Trainer“ Joe Zinnbauer hatte eine noch schlechtere Siegquote als sein Nach-Nach-Nachfolger. Und weil der Schwabe Gisdol mit Siegen eher geizt, hangelte er sich in seinen bislang knapp anderthalb Jahren in Hamburg von Krise zu Krise – um nach jedem sogenannten „Schicksalsspiel“ dann doch immer wieder auf seinen Pfoten, beziehungsweise Füßen, zu landen.

Gisdols persönliche HSV-Krisenbilanz

Krise Nummer eins ließ nicht einmal zwei Monate auf sich warten: Weil Gisdol vier seiner ersten fünf Spiele als HSV-Trainer verlor, kamen bereits nach wenigen Wochen große Zweifel an der HSV-Kompatibilität des Ex-Hoffenheimers auf. Besonders innerhalb des damaligen Aufsichtsrats wurde man nervös, bat sogar ausgewählte Hamburger Medienvertreter zum Krisengipfel ins Stadion. Nach zwei Unentschieden und den ersten beiden Saisonsiegen gegen Darmstadt und Augsburg konnte Gisdol aber auch ohne die erhoffte Unterstützung der Medien seinen Kopf aus der Schlinge ziehen.

Doch nach der Krise ist beim HSV bekanntermaßen vor der Krise. Und Krise Nummer zwei sollte schneller als erhofft kommen: Nach acht Spielen ohne Sieg stand Gisdol im November tatsächlich unmittelbar vor dem Aus, rettete sich aber in letzter Minute mit zwei überzeugenden Heimsiegen gegen Stuttgart (3:1) und Hoffenheim (3:0). Zuvor hatte die „Mopo“ getitelt: „Bruchhagen erhöht den Druck“.

Und heute? „Ist der Retter noch zu retten?“, fragt die „Bild“-Zeitung, „Ist Gisdol am Ende?“, fragt die „Mopo“, und für den „Kicker“ steht fest: „Für Markus Gisdol wäre bei einer Pleite gegen Köln wohl Schluss“.

Buchmacher schreiben Gisdol ab

In den vergangenen 20 Jahren waren Bundesligatrainer im Schnitt knapp 500 Tage im Amt. Überlebenskünstler Gisdol ist nun immerhin seit 476 Tagen HSV-Trainer – und hat damit den HSV-Schnitt (219 Tage) seiner fünf Vorgänger locker verdoppelt. Um den Bundesligaschnitt zu erreichen, müsste der Stellreflexler aber noch gut drei Wochen durchhalten.

Drei Wochen sind im Ligaalltag eine lange Zeit, als Tabellenvorletzter ist es eine Ewigkeit.

Gisdol weiß, dass in diesen drei Wochen viel passieren kann: Zum Beispiel ein glück­licher Last-minute-Sieg in der fünften Minute der Nachspielzeit, wie es Köln am Sonntag gegen Mönchengladbach geschafft hat. Oder eine mutmachende Neuverpflichtung wie Stuttgarts Überraschungscoup mit Mario Gomez. Als wahrscheinlich scheint aber weder das eine noch das andere beim HSV.

Deswegen führt Gisdol wenig überraschend beim Wettanbieter www.mybet.com das Feld der vom Rauswurf bedrohten Trainer an. Mal wieder. Für zehn Euro Einsatz würde man im Fall der Fälle lediglich 13,50 Euro Gewinn bekommen.

HSV-Fans glauben nicht an Sieg gegen Köln

Das allgemeine Vertrauen in die Fähigkeiten von Katze Gisdol ist in Hamburg derzeit ohnehin auf dem Nullpunkt. Bei einer Umfrage auf abendblatt.de, ob man an einen Heimsieg gegen Schlusslicht Köln glaube, stimmten 73 Prozent der 3526 Befragten (Stand: Montag, 23 Uhr) mit Nein.

Der Grund für den neo-hanseatischen Pessimismus ist schnell gefunden: Gisdol, Markus. Bei kaum einem Vorgänger des 48 Jahre alten Coaches scheint die Lücke zwischen Anspruch („schnelles Umschaltspiel“) und Wirklichkeit (kaum zu ertragener Rumpelfußball) größer. Gisdol proklamiert modernen Pressing-Fußball, lässt aber altmodischen 80er-Jahre Kick-and-Rush spielen. Die alte Regel, nach der man das System nach der Mannschaft und nicht die Mannschaft nach dem System ausrichtet, scheint auch im Zeitalter des Gegenpressings und der abkippenden Sechser noch Bestand zu haben.

Was Gisdol sich vorwerfen muss

Fairer als irgendwelche Phrasenschweinfloskeln wäre aber eine ehrliche Abwägung von Versäumnissen und Verdiensten. Zunächst einmal die Liste der Vorwürfe: Eine nachvollziehbare Spielidee ist genauso wenig erkennbar wie eine stabile Achse, die jede Mannschaft braucht. Darüber hinaus konnte Gisdol auch keinen Profi wirklich besser machen – ganz im Gegenteil. „Kaum ein Spieler hat in der Hinrunde das gezeigt, wovon wir ausgegangen sind“, kritisierte HSV-Chef Heribert Bruchhagen am Sonntag bei Sky.

Auch der Ringtausch, den 23 Jahre alten Torjäger Micheal Gregoritsch für 5,5 Millionen Euro abzugeben und Wunschneuzugang André Hahn für sechs Millionen Euro zu holen, darf nach 18 Spieltagen als waschechter Reinfall bezeichnet werden.

Und doch wäre es ziemlich unfair und auch viel zu einfach, alleine dem Trainer den Schwarzen Peter unterzujubeln. Denn nach fünf Spielen in Folge ohne Sieg wird auch gerne vergessen, dass Gisdols Schlüsselspieler Nicolai Müller sich nach acht Minuten in dieser Saison das Kreuzband riss und seitdem nicht ersetzt wurde. Auch der Versuch des Trainers, die Fehlplanung des Kaders durch die Integration von Talenten wie Fiete Arp und Tatsuya Ito auszugleichen, wird in diesen Wochen gerne mal vergessen. Sei’s drum.

Übernimmt Magath beim HSV?

Weil man sich als Trainer in Hamburg wirkliche Sorgen erst machen muss, wenn öffentlichkeitswirksam der Name von Felix Magath fällt, scheint Gisdol dann wohl doch in Not. Denn tatsächlich checkte jener Magath am vergangenen Donnerstag im HSV-Mannschaftshotel Elysée für eine Nacht ein und wird in dieser Woche ein zweites Mal in Hamburg erwartet. Alles nur Zufall? Nun ja.

Katze Gisdol denkt jedenfalls nicht daran, vor dem „Schicksalsspiel“ gegen den 1. FC Köln aufzugeben. Und Magath? Ex-HSV-Legende, Ex-Meistertrainer, Ex-China-Coach. Und vor allem: noch ein Hundebesitzer.