Hamburg. Ist der Sportchef bereits fündig geworden? Ex-Profi von Heesen kritisiert derweil Gisdols Taktik. Ekdal-Aus vergrößert Personalsorgen.

Der Rahmen hätte viel feierlicher nicht sein können. Im edlen Business Club Hamburg an der Elbchaussee bat der Vorstand des HSV am Mittwochvormittag zum Neujahrsempfang. Zur Vorspeise wurde ein Duett vom weißen und gelben Thunfisch sowie ein Blauschimmel-Crêpe mit Birnensenf gereicht, zum Hauptgang gab es Wagyu-Rinderbrust mit Steaksauce und Röstzwiebeln. „Ich weiß nicht, wer die oberen Zehntausend Hamburgs sind“, sagte HSV-Chef Heribert Bruchhagen, der aber voller Stolz feststellte: „Wir sind fester Bestandteil der Hamburger Gesellschaft. Wir sind eine der wichtigsten Institutionen der Stadt.“

Doch noch während Bruchhagen am Mikrofon die Hamburger Gesellschaft bestens unterhielt, machte zeitgleich die Runde, dass eine der wichtigsten Institutionen des HSV-Teams langfristig fehlen wird: Albin Ekdal fällt aus. Mal wieder. Eine MRT-Untersuchung hatte ergeben, dass sich der Schwede im Trainingslager in Jerez de la Frontera einen Innenband-Teilriss im Sprunggelenk zugezogen hatte. Die voraussichtliche Pause: drei Wochen. Mindestens.

Von Heesen wird deutlich

Die Nachricht über die erneute Zwangspause des verletzungsanfälligen Defensivabräumers verbreitete sich im Business Club in etwa so schnell wie das Lardo mit Feige und Parmesan. Wegen verschiedener Wehwehchen hatte Ekdal in der Hinrunde 747 von 1530 Minuten gefehlt. Mal zwickte der Oberschenkel, mal war es der Rücken. Und nun ist es der Knöchel, der die Personalsituation vor dem Rückrundenstart in Augsburg verschärft. Der Tenor an der Elbchaussee: Der HSV braucht Alternativen.

„Der HSV braucht einen Plan B“, sagte auch Ex-HSV-Star Thomas von Heesen in einer launigen Podiumsdiskussion mit Ex-Torhüter Richard Golz und NDR-Moderator Gerhard Delling, in der der Europapokalsieger von 1983 ganz nebenbei das Gisdol-System des Pressings überraschend deutlich infrage stellte. Mehr als über von Heesens Taktik-Kritik dürfte sich der HSV-Trainer aber den Kopf darüber zerbrechen, wie er zum Rückrundenstart den Ausfall seines Schlüsselspielers kompensieren will.

Wird Walace zur Alternative?

Gisdols Alternativen sind übersichtlich: Da wäre zum einen Gideon Jung, der in der Vorrunde auf der sogenannten Doppelsechs vor der Abwehr gesetzt war. Allerdings musste auch Jung im Trainingslager in Südspanien wegen einer Fußprellung kürzer treten, verpasste sogar den Härtetest gegen Freiburg (1:1). Gegen den SC spielte Kapitän Gotoku Sakai im Mittelfeld, obwohl der Japaner nach eigener Aussage lieber auf der Außenbahn zum Einsatz kommen würde. Alternative Nummer drei ist Vasilije Janjičić, den Sportchef Jens Todt nach der Woche in Andalusien als „Gewinner des Trainingslagers“ bezeichnete. Der 19 Jahre alte Schweizer durfte in der Hinrunde allerdings gerade einmal bei vier Spielen ran – also bei genauso vielen Partien wie Alternative Nummer vier, Sejad Salihovic.

Jung, Sakai, Janjičić und Salihovic also. Bei der Auflistung der Ekdal-Alternativen fällt vor allem auf, dass die vielversprechendste Alternative im defensiven Mittelfeld noch fehlt: Walace. So hatte sich Trainer Markus Gisdol am Flughafen von Jerez de la Frontera vor dem Heimflug ganz bewusst die Hintertür offengelassen, den brasilianischen Urlaubsverlängerer früher als gedacht zu begnadigen. Es liege an ihm selbst, so Gisdol, ob Walace bereits in Augsburg wieder zum Kader gehören könnte.

Doch warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? So wird die Personalie Walace selbstverständlich nicht nur auf dem Trainingsplatz, sondern viel eher am Verhandlungstisch entschieden.

Todt auf der Suche nach Neuzugängen

„Die Ekdal-Verletzung führt nicht gerade dazu, intensiver über einen Walace-Transfer nachzudenken“, sagte am späten Nachmittag Sportchef Jens Todt, der den Neujahrsempfang sausen lassen musste. Der Manager weilt in Sachen Neuzugängen in Spanien, der neuen Türkei der Wintertrainingslager, um sich dort mehrere internationale Testspiele anzusehen.

Kaum machte die Nachricht von Todts Dienstreise die Runde, berichteten polnische Medien, dass der HSV am 20 Jahre alten U-21-Nationalspieler Dawid Kownacki interessiert sein soll. Sampdoria Genuas Offensivallrounder, der laut transfermarkt.de einen Transferwert von fünf Millionen Euro hat, soll allerdings auch beim FC Turin und bei Espanyol Barcelona im Gespräch sein.

Derweil wollte HSV-Chef Bruchhagen auch ohne den Sportchef an seiner Seite zu Walace etwas loswerden. So gebe es gar kein Millionenangebot für den wechselwilligen Brasilianer, sagte Bruchhagen – und verriet zwischen Vorspeise und Hauptgericht nur die halbe Wahrheit. Denn wie das Abendblatt bereits berichtete, bereitet Atlético Mineiro derzeit eine Offerte vor. Laut brasilianischen Medienberichten hat der Club aus Belo Horizonte mit dem Finanzinstitut Banco Inter und der Beraterfirma Think Ball bereits zahlungskräftige Partner für einen Walace-Transfer gefunden. Anders als zunächst berichtet sollen allerdings statt Beraterschwergewicht Giuliano Bertolucci dessen Neffe Neto Bertolucci und Mineiro-Unterhändler Augusto Castro nach Hamburg reisen.

Gisdol vor einer Qual der Wahl

Millionenangebot hin, Millionenofferte her. Trainer Gisdol steht nach der Ekdal-Verletzung und vor einem möglichen Walace-Verkauf im Hinblick auf den Rückrundenstart vor einer echten Qual der Wahl: Entweder er setzt auf die wohl beste Ekdal-Alternative, die aber mit Kopf und Herz schon lange in Brasilien ist. Oder er verzichtet auf Walace – und entscheidet sich bewusst gegen die möglicherweise beste Startelf.

Bruchhagens Schlusswort, das nicht ganz so raffiniert wie die Hors­d’œu­v­res beim Neujahrsempfang daherkam: „Ich wünsche mir den Klassenerhalt.“ In diesem Sinne: Frohes Neues!

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung