Hamburg/Buenos Aires. Der HSV-Sportchef spricht über seine Argentinien-Reise, die Besetzung des Scoutings und künftige Transfers nach Hamburg.
Sportchef müsste man sein. Am Montag ist Jens Todt spontan auf Scoutingreise nach Buenos Aires gereist, hat direkt noch am ersten Tag drei Spiele live im Stadion gesehen. Am Dienstag folgte das Halbfinale der Copa Sudaméricana zwischen Libertad und Independiente, am Mittwoch dann das Finale der Copa Libertadores zwischen CA Lanús und Grêmio Porto Alegre. Und zwischen all diesen Spielen hat Todt trotzdem noch Zeit gefunden, für ein ausführliches Ferngespräch mit dem Abendblatt.
Herr Todt, wie ist das Wetter in Argentinien?
Jens Todt: Besser als in Hamburg. Rund 20 Grad Celsius. Aber das spielt keine Rolle, es ist ja eine Dienstreise.
Sie wollen acht Tage in Südamerika bleiben. Was ist das Ziel Ihrer Reise?
Es geht primär darum, sich endlich mal wieder einen persönlichen Eindruck vom argentinischen Markt zu machen. Mein Ziel ist es, jeden Tag ein bis drei Spiele zu schauen. Das Angebot in Buenos Aires ist riesig.
Insgesamt stehen 13 Partien bei Ihnen auf dem Zettel. Wie plant man eigentlich so eine anspruchsvolle Reise?
Natürlich haben wir die Reise mit unserer Scoutingabteilung vorbereitet. Um die Buchungen hat sich meine Assistentin Nadja Kischkat gekümmert. Und vor Ort hilft mir ein Bekannter, der sich bereits seit Jahrzehnten bestens im südamerikanischen Fußball auskennt. Die Reise an sich sollte gar nichts Besonderes sein. Es geht nur darum, mir einen besseren Überblick zu verschaffen.
HSV-Fans dürfen sich also nicht auf drei Neuzugänge aus Argentinien im Januar freuen?
(lacht) Nein, eher nicht.
Im vergangenen Januar waren Sie in Brasilien und haben Walace für knapp zehn Millionen Euro mitgebracht. Hat Sie sein Fall nicht ein wenig abgeschreckt?
Überhaupt nicht. Ich sehe Walace nämlich keinesfalls als Fehleinkauf. Man muss Südamerikanern nur Zeit zur Adaption einräumen. Bestes Beispiel ist Douglas Santos, der nach anderthalb Jahren zeigt, warum wir ihn geholt haben. Und ich bin mir absolut sicher, dass auch Walace großes Potenzial hat.
Das er aber noch nicht abrufen konnte. Ist es nicht ein Risiko, als HSV auf Spieler zu setzen, die keine Sofortverstärkungen sind?
Im Gegenteil. Wir müssen davon wegkommen, dass wir mit einer oder zwei Verpflichtungen irgendwelche Löcher stopfen müssen, die sich während der Saison aufgetan haben. Gerade weil der Markt seit zwei bis drei Jahren explodiert, müssen wir viel mehr perspektivisch denken. Und Argentinien kann genau wie Uruguay perspektivisch ein interessanter Markt für den HSV sein.
Was macht Uruguay und Argentinien zu interessanteren Märkten als Brasilien?
Die Preise in Brasilien sind in schwindelerregenden Höhen – sowohl Ablöse als auch Gehälter. Das aktuelle Preis-Leistungs-Verhältnis in Uruguay und Argentinien scheint stimmiger. Laut einer Untersuchung hat Uruguay die beste Quote zwischen Einwohnerzahl und Anzahl von Profis, die sich in einer Topliga durchgesetzt haben.
Ist denn der HSV dort ein Name?
Definitiv. Hamburg und der HSV werden hier hoch geschätzt. Beim Finale der Copa Sudaméricana wurde ich von einigen Fans auf der Tribüne erkannt, die mir direkt gesagt haben, welchen Spieler von ihrem Club ich auf gar keinen Fall mitnehmen darf (lacht).
Und? Konnte der Spieler was?
Die Fans hatten Ahnung.
Unlängst ist Ihr Chefscout Benjamin Schmedes als Sportdirektor zum VfL Osnabrück gewechselt. Haben Sie schon Ersatz?
Es ist gar nicht entschieden, dass wir Ersatz holen. Momentan führt Michael Schröder unsere Scoutingabteilung wieder allein. Aber natürlich haben wir viele gute Scouts. Zum Beispiel Rodolfo Cardoso, der bei der Planung der Argentinienreise sehr helfen konnte.
Können Sie denn auch in Argentinien das wichtigste Spiel der Woche irgendwie gucken: Freiburg gegen den HSV?
(lacht) Das wird schwierig. Ich bin dann zeitgleich bei einem Spiel im Stadion.
Der HSV und Freiburg sind Tabellennachbarn, aber doch in ganz unterschiedlichen Welten zu Hause. Können Sie sich vorstellen, dass der SC in Argentinien scoutet?
Man sollte Freiburgs Mittel nicht unterschätzen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass der SC einst Mehmedi für einige Millionen Euro aus Kiew geholt hat. Unabhängig davon hat Freiburg ein gutes Scouting. Der Unterschied zum HSV ist wahrscheinlich, dass es in Freiburg nicht rauskommt, wenn der Scout irgendwo in der Welt unterwegs ist.
Wie ist es bei Ihnen rausgekommen?
Ich wurde im Stadion von dem Freund eines Beraters fotografiert. Dieses Foto hat dann schnell die Runde gemacht. Das dürfte meinen Kollegen in Freiburg wahrscheinlich nicht passieren.
Dietmar Beiersdorfer hat mal gesagt, dass der HSV nie wie Freiburg ein Ausbildungsverein werden kann. Warum nicht?
Beim HSV ist die Sehnsucht riesig, dass der Club mit eigenen Talenten wie Fiete Arp und Tatsuya Ito Erfolg hat. Da darf es keinen Automatismus geben, dass wir unsere besten Talente immer wieder verkaufen – auch wenn wir uns im Einzelfall nicht dagegen wehren können.
Gehört zur Wahrheit nicht auch dazu, dass der HSV – genau wie der SC Freiburg – mittlerweile gar nicht mehr ablehnen kann, wenn es für Toptalente wie Arp oder Ito verrückte Millionenangebote gibt?
Das haben wir nicht nur mit Freiburg gemein. In der Bundesliga gibt es mindestens zwölf Clubs, die ein verrücktes Millionenangebot nicht ablehnen können. Wir wollen ja auch endlich dahin kommen, dass wir Transfergewinne generieren, damit habe ich doch überhaupt gar kein Problem. Ein Problem habe ich nur mit diesem Automatismus, dass eigene Toptalente irgendwo anders auf ihren Karrierehöhepunkt zusteuern.
In dem gleichen Interview hat Beiersdorfer damals gesagt, dass es in Hamburg eine Erwartungshaltung gebe, auf große Namen zu setzen. Wer erwartet das eigentlich?
Niemand. Ich bin davon überzeugt, dass es heute anders ist. Die Leute wollen Glaubwürdigkeit auf dem Platz. Große Namen sind nicht wichtig.
Die Zeit der Zehn-Millionen-Euro-Transfers ist also auch vorbei?
Das eine hat mit dem anderen nicht zwangsläufig etwas zu tun. Selbstverständlich kann es auch wieder vorkommen, dass der HSV einen Spieler für zehn Millionen Euro holt, wenn wir überzeugt sind. Das hat dann aber nichts mit großen Namen zu tun. Fußballclubs müssen in Zukunft viel mehr für jüngere Spieler, die noch gar nicht im Fokus sind, ausgeben. Die Entwicklung, dass jüngere Spieler deutlich mehr kosten, wird noch zunehmen.
Sie sind als junger Spieler für 100.000 Euro aus Havelse nach Freiburg gewechselt
Kuschelig war es damals. Weil mein Apartment noch nicht fertig war, habe ich die ersten vier Wochen im Haus des damaligen Präsidenten Achim Stocker gewohnt. Ich habe das Zimmer von seinem Sohn bekommen, der etwas länger im Urlaub bleiben musste.
Bleibt zu hoffen, dass Heribert Bruchhagen auch noch ein wenig Platz in seiner Wohnung hat, falls Sie doch noch den einen oder anderen Argentinier mitbringen ...
(lacht) Ich werde ihn direkt mal fragen.