São Paulo. Mit 43 beendet der Brasilianer seine Karriere – und schmeißt die Medaillen in den Müll. Das Abendblatt hat Zé Roberto getroffen.

Ein letztes Mal versammelt er seine Mitspieler im Kreis. Zé Roberto steht in der Mitte, die Augen weit aufgerissen. Eine letzte emotionale Ansprache. „Palmeiras ist groß“, ruft er am Ende seiner Kabinenpredigt, die seine Kollegen schon vor dem Anpfiff zu Tränen rührt. Ein Schlachtruf für seinen Club, der in São Paulo nicht weniger berühmt wurde als die Nummer 11 selbst. Als der „ewige Zé“ 90 Minuten später nach dem 2:0-Sieg gegen Botafogo von seinen Mitspielern auf Händen getragen wird, kann auch er seine Tränen nicht mehr halten. „Ich werde diese Nacht immer in meinem Herzen behalten. Von dieser Nacht habe ich als Kind geträumt“, sagt er.

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© Imago/Fotoarena

In der Stadt, in der José Roberto da Silva Júnior alias Zé Roberto vor 43 Jahren geboren wurde, in der Stadt, in der er 1994 für Associação Portuguesa sein Debüt als Profifußballer gab, in dieser Stadt macht er nun 23 Jahre später Schluss. 8511 Tage, 1161 Pflichtspiele, 62 Tore und 147 Vorlagen später hat der ehemalige HSV-Star am Montagabend seine lange Karriere endgültig beendet. Nicht weil er es muss. Sondern weil es irgendwie an der Zeit ist. „Ich könnte auch noch weiterspielen“, sagt Zé Roberto im Abschiedsgespräch mit dem Abendblatt. „Ich fühle mich noch immer jung. Ein weiteres Jahr wäre noch möglich. Aber ich will mich jetzt ausschließlich meiner Familie widmen.“

Sein Körper sieht aus wie der eines 20-Jährigen

Wir treffen Zé Roberto vor seinem letzten Spiel im Viertel Barra Funda in der brasilianischen Megametropole São Paulo. Hier trainiert sein Club Palmeiras, bei dem er die letzten drei Jahre seiner Karriere verbracht hat. „Willst du ein Wasser?“, fragt er in perfektem Deutsch und setzt sich auf ein Sofa. Es ist zwei Stunden vor dem Training, aber Zé Roberto ist schon auf der Anlage, um im Kraftraum zu trainieren. So wie er es in den vergangenen 23 Jahren immer gemacht hat.

Auf seinen Körper könnten viele Mitzwanziger noch neidisch sein. Sein Sixpack ist nicht nur in der Bundesliga legendär. Ein paar Augenfalten sind dazugekommen. Mit seinen jugendlichen Rastazöpfen würde er unter 25-Jährigen kaum auffallen. Sein Körper ist der Grund, warum er im Alter von 43 Jahren noch mit den 18-Jährigen mithalten kann. „Es klingt einfach, aber ich habe mich immer auf den Sport konzentriert, viel für meinen Körper getan und mich gesund ernährt. Und glücklicherweise hatte ich nie eine schwere Verletzung.“

„Ich kann auf eine große Karriere zurückblicken“

Als Zé Roberto am Montagabend im Allianzpark von São Paulo während seiner Ehrenrunde einen Krampf bekommt, weiß aber auch er, dass die Zeit gekommen ist. Und natürlich weiß er, dass er trotz seiner professionellen Einstellung eine Ausnahmeerscheinung ist. 88 Länderspiele hat Zé Roberto für Brasilien bestritten. Doch sein letztes Spiel für die Seleção liegt schon elf Jahre zurück. Es war das Viertelfinal-Aus gegen Frankreich bei der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006. „Aus meiner Generation bin ich der Letzte, der bis heute gespielt hat. Das geschafft zu haben macht mich stolz. Ich kann auf eine große Karriere zurückblicken“, sagt der bescheidene Brasilianer.

Zé Roberto bestritt von 2009 bis 2011 54 Bundesligaspiele (sieben Tore) für den HSV, darunter zwei Stadtderbys gegen den FC St. Pauli und Fabian Boll
Zé Roberto bestritt von 2009 bis 2011 54 Bundesligaspiele (sieben Tore) für den HSV, darunter zwei Stadtderbys gegen den FC St. Pauli und Fabian Boll © WITTERS

Wem das Vorstellungsvermögen fehlt, der muss sich nur einmal die Aufstellung von Bayer Leverkusen vom 15. August 1998 anschauen, als Zé Roberto im Spiel gegen Hansa Rostock in der Bundesliga debütierte. Jens Nowotny? Ebenfalls 43 Jahre alt, hat vor zehn Jahren aufgehört. Ulf Kirsten? Seit 14 Jahren in Fußballrente. Paulo Rink? Seit zehn Jahren Kommunalpolitiker. In seinem ersten Champions-League-Spiel für Real Madrid 1997 unter Trainer Jupp Heynckes stand er an der Seite von Fernando Hierro, Roberto Carlos oder Davor Suker auf dem Platz. Namen, die bereits in den Paninialben der frühen 90er-Jahre klebten.

Zé Roberto erinnert sich an „super HSV-Tag“

Zé Roberto bei seinem HSV-Debüt am 15. August 2009
Zé Roberto bei seinem HSV-Debüt am 15. August 2009 © Witters

Als Zé Roberto vor neun Jahren im Alter von 34 Jahren für vier Millionen Euro zum HSV wechselte, galt er bereits als (zu) alt. Doch gleich in seinem ersten Heimspiel im Volkspark dribbelte der „große Zé“, wie er in Hamburg genannt wurde, groß auf. Seine Erinnerungen an diesen sonnigen Nachmittag im August 2009 sind noch präsent. „Wir haben 4:1 gegen Dortmund gewonnen. Ich habe ein Tor gemacht. Es war ein super Tag“, sagt Zé Roberto über das Spiel, das als eines der besten Spiele der vergangenen zehn HSV-Jahre gilt und den Club zum damaligen Zeitpunkt sogar von der Meisterschaft träumen ließ.

„Wir hatten eine tolle Mannschaft. Doch dann kamen viele Verletzungen und Probleme“, sagt der Publikumsliebling rückblickend über sein erstes Jahr in Hamburg unter Bruno Labbadia. In seinem zweiten Jahr unter Armin Veh verlief die Kurve ähnlich. Im Frühjahr entschied sich Zé Roberto für einen Wechsel nach Katar zu Al-Gharafa Doha. Mit seinem Abgang begann 2011 der Absturz des HSV. Während die Hamburger sieben Jahre fast ausschließlich gegen den Abstieg kämpften, zog es den Brasilianer zurück in die Heimat. Nach weiteren sechs Jahren bei Gremio Porto Alegre und Palmeiras ist nun Schluss.

Zé Roberto denkt über Deutschland nach

Doch was macht ein Mann, der sein Leben lang fast nur Fußball gespielt hat und sich mit 43 zum ersten Mal um einen neuen Job bemühen muss? „Ich weiß es noch nicht“, sagt Zé Roberto und lässt sich in die Couch zurückfallen. Priorität habe seine Familie. Seine Frau und seine drei Kinder. Eine Rückkehr nach Deutschland kann er sich gut vorstellen. Seine Kinder Isabelli (12), Miria (15) und Endrik (17) sind in Deutschland geboren. „Ich will, dass sie die beste Bildung bekommen.“ In seiner Heimat sei das derzeit schwierig. „Wir haben in Brasilien viele Probleme. Korruption, Kriminalität. Deutschland ist eine Überlegung. Ich habe dort sehr viel gelernt.“

Und er hatte dort seine beste Zeit als Fußballer. Acht Titel sammelte er mit dem FC Bayern. Seine stärkste Phase habe er aber nicht in München gehabt. „Das war in Leverkusen. Die Saison 2001/02. Wir hatten eine überragende Mannschaft. Leider hat es nicht zu einem Titel gereicht.“ Bayer wurde Vizemeister, Vize-Champions-League-Sieger und Vize-DFB-Pokalsieger.

Medaillen landen in der Mülltonne

Ausgezeichnet: Auch zu seinem Abschied erhielt Zé Roberto noch einmal eine Medaille
Ausgezeichnet: Auch zu seinem Abschied erhielt Zé Roberto noch einmal eine Medaille © Imago/Fotoarena

Titel sammelte Zé Roberto woanders. Deutscher Meister und Pokalsieger mit Bayern, Copa-America-Sieger mit Brasilien, brasilianischer Meister mit Palmeiras. Doch die Trophäen waren nicht das, was ihn glücklich machte. Es war das Spiel in der Gemeinschaft. Als Zé Roberto am Montagabend zu seinen Mitspielern spricht, schmeißt er symbolisch seine Medaillen in einen Mülleimer. „Eines möchte ich euch mitgeben. Lebt diese Momente“, sagt er: „Spielt für die Gemeinschaft. Titel und Ruhm sind vergänglich.“

Zé Roberto hat beides geschafft. Er hat Titel geholt und immer für das Team gelebt. Seine Karriere ist jetzt vorbei. Sein Ruhm wird bleiben.