Hamburg. Gegen Hoffenheim setzte die Mannschaft endlich genau das um, was sich der Trainer wünscht: hohes Pressing und taktische Finesse.
Als Markus Gisdol am Montagvormittag vom Joggen aus dem Volkspark zurückkehrte, war er in einem intensiven Austausch mit seinem Co-Trainer Frank Fröhling. Die Nachbereitung des überzeugenden 3:0-Erfolgs gegen die international ambitionierte TSG Hoffenheim war noch immer in vollem Gange. Im Gegensatz zu den vergangenen Wochen gab es in der Analyse des Spiels vom Vortag diesmal jedoch kaum Anlass zur Kritik. „Es war viel davon zu sehen, was wir machen wollen“, lobte Gisdol.
Mit hohem Pressing bearbeitete seine Mannschaft 1899 über die komplette Spieldauer. Bis auf die beiden Innenverteidiger Kyriakos Papadopoulos und Mergim Mavraj schaltete sich die komplette Mannschaft in die Angriffsbemühungen mit ein. Bei eigenem Ballverlust traten alle Spieler im Vollsprint den Rückwärtsgang an, wodurch die hoch gelobte Hoffenheimer Offensivabteilung überhaupt nicht zur Entfaltung kam.
Wer nun dachte, der HSV könne diese enorm laufintensive Spielweise nicht über die volle Spieldistanz durchhalten, sah sich eines Besseren belehrt. Für Gisdol war es hingegen keine Überraschung, dass seine Mannschaft der nach dem Europa-League-Aus müden TSG zu jeder Zeit läuferisch überlegen war. „Grundsätzlich sollte man nicht denken, dass hohes Pressing unglaublich viel Kraft kostet. Es kostet eigentlich weniger Kraft, als ständig hinterherzulaufen und das eigene Tor zu sichern“, sagte der Fußballlehrer über seine Spielphilosophie.
Grundstein wurde in der Vorbereitung gelegt
Den Grundstein für seine Pressingmaschine legte Gisdol in der Saisonvorbereitung, als er großen Wert auf die körperliche Fitness seiner Spieler legte. Das komme der Mannschaft nun zugute, sagt der Trainer, vor allem im Winter, wenn die Böden tiefer werden. „Das Team ist in einem körperlichen Topzustand“, sagt Gisdol.
In einer Topverfassung war auch Nicolai Müller in jenem Sommer, als der HSV mit dem Transfer des schnellen Flügelstürmers André Hahn seinen Plan, die Gegner mit hohem Tempo zu bespielen, verfestigte. Müller sollte hierfür eine tragende Rolle einnehmen, doch nach gerade einmal acht Minuten der aktuellen Saison musste Gisdol bereits improvisieren, als Müller sich bekanntlich beim Torjubel das Kreuzband riss. Als zwei Wochen später auch noch Filip Kostic, der zweite Schlüsselspieler für Gisdols Tempofußball, mit einer schweren Muskelverletzung länger ausfiel, musste der HSV-Coach endgültig von seiner Spielidee abrücken.
Unfreiwilliger Rollenwechsel für Aaron Hunt
Im Lauf der Hinrunde nahm plötzlich Mittelfeldspieler Aaron Hunt, für den diese Rolle eigentlich gar nicht vorgesehen war, eine tragende Rolle in der Offensive ein. Mit dem gelernten Spielmacher, der häufiger mal das Tempo verschleppt, gelang es Gisdol nicht immer, sein überfallartiges Pressing zu praktizieren.
Auch gegen Hoffenheim gehörte Hunt der Startelf an. Doch diesmal fand Gisdol eine Lösung, wie der aus seiner Sicht perfekte Fußball auch mit Hunt im rechten Mittelfeld möglich ist. So übernahm der sprintstarke Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier die Tempoläufe für den laufschwächeren Hunt, der wiederum die Aufgabe des Ballverteilers ausführte. Eine Spielweise, die jedoch auch Risiken birgt. Da nicht nur Diekmeier, sondern auch sein Pendant auf der linken Abwehrseite, Douglas Santos, stark in die Offensive mit eingebunden war, zeigte sich der HSV gelegentlich anfällig bei Kontern. Für Gisdol allerdings ein alternativloser Makel im System. „Hoffenheim hätte bestimmt das Dreifache an Torchancen gehabt, wenn wir nur unser eigenes Tor verteidigt hätten.“
Offensivfreudiger nur gegen Stuttgart
Trotz seiner taktischen Finesse wollte der Schwabe keinen spielerischen Unterschied im Vergleich zu den Vorwochen zugeben. Wohlwissend, dass Ansätze seiner gegen Hoffenheim erfolgreichen Spielweise bereits in den Heimspielen gegen Leipzig (0:2) und Bayern (0:1) zu sehen waren sowie in der vergangenen Rückrunde, als der HSV sich zwischenzeitlich zur Heimmacht entwickelte. „Es war schön, dass wir wieder wachkitzeln konnten, was wir in der Vergangenheit schon oft zu Hause gezeigt haben. Der große Unterschied zu den zurückliegenden Partien war, dass wir ein besseres Ergebnis erzielt haben“, sagte Gisdol.
Es waren jedoch nicht nur die drei Punkte, die den Eindruck eines erfolgreichen Spiels vermittelten. 18-mal, und damit überdurchschnittlich oft, schossen die Hamburger aufs Tor. Offensivfreudiger präsentierte sich der HSV in der laufenden Saison lediglich gegen Stuttgart (21), als die Qualität der Möglichkeiten jedoch nicht so hoch war wie gegen Hoffenheim. „Wir haben vor allem die Tore zum richtigen Zeitpunkt gemacht und uns viele gute Torchancen herausgespielt“, lobte Gisdol.
Gegen Freiburg eine andere Situation
Bleibt die Frage, welche Ziele sich ein Trainer setzt, dessen Mannschaft soeben das beste Spiel unter seiner Regie absolviert hat. Zunächst einmal gilt es, die Leistung zu bestätigen – und zwar auswärts, wo der HSV zuletzt fünfmal in Serie verlor. Damit die Hamburger am Freitag in Freiburg nicht zum sechsten Mal nacheinander auf fremdem Platz als Verlierer vom Platz gehen, will Gisdol die Spannung hochhalten, um „weiter gierig zu sein“.
Im Breisgau will der HSV-Trainer beweisen, dass sein hohes Pressing auch gegen einen tief stehenden Gegner, der überwiegend mit langen Bällen arbeitet, funktionieren kann. „Wenn Mannschaften dich bedingungslos mit langen Bällen überspielen, bekommt das Spiel oftmals einen anderen Charakter“, weiß Gisdol, der in Freiburg dadurch weniger seiner präferierten Pressingsituationen erwartet. „Grundsätzlich funktioniert diese Spielweise aber gegen alle Mannschaften“, gibt sich der Trainer selbstbewusst. Denn er vertraut seinem System, das die Mannschaft 14 Monate nach seiner Übernahme nun das erste Mal optimal umgesetzt hat.