Hamburg. Vor dem Spiel des HSV gegen Ex-Club Hoffenheim spricht Sejad Salihovic im Abendblatt über seine Flucht vor dem Krieg und Heimat.

Wer einen Termin mit Sejad Salihovic hat, der braucht Geduld. Am Mittwoch der erste Versuch. Behandlung, Pflege, Ausruhen – und schließlich die kurzfristige Absage. Der zweite Versuch am Donnerstag: Wieder Behandlung, Pflege und Ausruhen – und dann der Anruf, er habe jetzt Zeit.

Das Warten sollte sich lohnen, denn das Gespräch geht relativ schnell über die normale Profi-trifft-auf-Ex-Club-Story hinaus. Am Sonntag trifft der Bosnier erstmals mit dem HSV auf seinen Ex-Club Hoffenheim, für den er neun Jahre lang spielte.

Herr Salihovic, Sie sind seit 14 Jahren Profi, spielen am Wochenende aber erstmals gegen und nicht für 1899 Hoffenheim. Aufgeregt?

Sejad Salihovic: Natürlich ist es für mich ein besonderes Spiel. Ich habe neun Jahre in Hoffenheim gespielt. Meine Eltern wohnen sogar noch in Sinsheim. 2006, als ich von Berlin gewechselt bin, sind sie mit mir gekommen – und dann einfach geblieben.

Hatten Sie ernsthaft damit gerechnet, dass Hoffenheim ein Champions-League-Club wird, als Sie vor elf Jahren zu 1899 in die Regionalliga wechselten?

Salihovic: Natürlich wusste ich, dass Hoffenheim ehrgeizige Ziele hat. Dass es aber so schnell gehen würde, damit hat niemand gerechnet. Wir sind zusammen zweimal aufgestiegen, haben uns dann direkt in der Bundesliga etabliert. Ich finde schon, dass man einfach mal die extrem gute Arbeit, die in Hoffenheim geleistet wird, anerkennen muss.

Ähnlich wie das Projekt RB Leipzig wurde auch Hoffenheim immer sehr kritisch von den Fans gesehen. Haben Sie die ständigen Anfeindungen nie gestört?

Salihovic: Als Spieler musst du diese ganzen Sprüche irgendwann einfach an dir abprallen lassen. Ich hatte immer sehr viel Spaß in Hoffenheim. Und diese ganze Kritik von außen habe ich nicht an mich rangelassen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie schon als Kind lernen mussten, sich durchzusetzen. Wie war das gemeint?

Salihovic: Mir wurde nichts in die Wiege gelegt, ich musste für alles, was ich heute habe, sehr hart kämpfen. 1992 musste ich mit meiner Familie vor dem Jugoslawienkrieg flüchten. Da war ich gerade sieben Jahre alt. Natürlich bekommt man als Kind nicht alles so genau mit, aber schön war das natürlich nicht.

Sejad Salihovic im ersten Interview:

HSV-Neuzugang Sejad Salihovic im ersten Interview

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    Erinnern Sie sich noch an Ihre Flucht?

    Salihovic: Nur noch schemenhaft. Wir wohnten in Gornji Sepak, im Nordosten von Bosnien. Vom Krieg haben wir dort Gott sei Dank gar nicht so viel mitbekommen, weil wir rechtzeitig geflüchtet sind. Ich kann mich nur noch erinnern, wie wir uns auf die Ladefläche eines LKWs setzen mussten. Ich durfte meinen Hund nicht mitnehmen, das weiß ich noch ganz genau. Aber mal abgesehen davon war die Flucht für meine Eltern sicherlich sehr viel härter als für uns Kinder. Sie mussten alles in der Heimat lassen, wofür sie ein Leben lang gearbeitet hatten.

    Diese Woche wurde der militärische Serbenführer Ratko Mladic zu lebenslanger Haft verurteilt. Welche Gefühle kamen in Ihnen hoch?

    Salihovic: Ich habe das in der Zeitung gelesen. Aber allzu große Gefühle kamen nicht in mir hoch. Ich bin kein besonders politischer Mensch.

    Eine politische Frage müssen wir Ihnen aber stellen: Größtes Streitthema der gescheiterten Jamaika-Koalition war der Zuzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen. Wie denken Sie als Betroffener dar­über?

    Salihovic: Das ist ein schwieriges Thema. Es kommt natürlich immer auf die Umstände an: Woher kommt man? Wie lange will man bleiben? Wie sehr meint man es mit der Integration ernst? Und ganz banal: Wie fleißig ist man? Für meine Familie war es beispielsweise sehr wichtig, dass wir alle zusammen sein konnten. Aber meine Eltern haben auch wirklich alles gemacht, was sie nur konnten: Sie haben Deutsch gelernt, haben sich integriert und sie haben vor allem unglaublich fleißig gearbeitet. Zusammen haben sie in Berlin in einem Hotel zehn Jahre lang geputzt, damit wir alle genug zum Leben hatten.

    Wie lähmend war diese Dauerangst, wieder abgeschoben zu werden?

    Salihovic: Die Angst vor der Abschiebung ist am schlimmsten. Wie alle anderen waren ja auch wir illegal eingereist. Das wurde auch später noch einmal ein Problem, als ich als Fußballprofi bei Hertha eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragt hatte. Ich musste dann noch einmal illegal ausreisen, damit ich dann legal meine Genehmigung beantragen konnte. Bevor ich Fußballer wurde, war alles noch komplizierter. Wir mussten uns alle sechs Monate um 5 Uhr morgens vor das Ausländeramt in die Schlange stellen und warten. Nach ein paar Jahren war es alle zwölf Monate.

    Und als Fußballprofi?

    Salihovic: Auch als Fußballprofi war eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für meine Familie noch kein Selbstgänger. Ich musste ein Dokument unterschreiben, durch das ich bezeugte, dass ich für meine Eltern und für meinen Bruder finanziell sorgen kann. Erst danach entspannte sich die Lage.

    Wie haben Sie damals in Berlin gewohnt?

    Salihovic: Das Sozialamt stellte uns eine kleine Wohnung in Charlottenburg zur Verfügung. Innerhalb von Charlottenburg mussten wir dann ein paar Mal umziehen, einmal auch nach Marzahn. Insgesamt habe ich aber fast nur positive Erinnerungen an meine Jugend in Berlin. Meine Eltern haben uns alles ermöglicht. Ich hatte viele Freunde, konnte einen Schulabschluss in Deutschland machen. Mir fehlte nichts.

    Nicht mal Ihre bosnische Heimat?

    Salihovic: Nicht wirklich. Deutschland ist mein Zuhause. Ich fühle mich auch eher als Deutscher. In meinem Heimatdorf war ich später nur noch zweimal.

    Fühlen Ihre Eltern genauso?

    Salihovic: Nein. Die bosnische Heimat ist tief in ihren Herzen. Sie sind auch oft in der Heimat. Ich habe ihnen dort ein Haus gebaut. Dort sind sie jedes Jahr ein paar Monate lang. Ich denke schon, dass sie ihren Lebensabend in Bosnien verbringen. Die meisten unserer früheren Nachbarn sind auch in die Heimat zurückgekehrt. Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich liebe Deutschland.

    Ihre Flucht ist lange her, heute kommen Sie mit dem Porsche zum Training. Haben Sie ein anderes Bewusstsein für materielle Werte durch Ihren Lebenslauf?

    Salihovic: Ich weiß ganz genau, wo ich herkomme. Das vergisst man auch nicht, wenn man sich einen Porsche oder eine dicke Uhr leisten kann. Das wichtigste sind keine materiellen Werte für mich, sondern dass es meiner Familie gut geht.

    Kommen Ihre Eltern am Sonnabend zum Spiel nach Hamburg?

    Salihovic: Sie können nicht. Sie sind in Österreich auf der Hochzeit meiner Cousine. Wir Bosnier sind überall (lacht).