Hamburg. HSV verpflichtet Sejad Salihovic bis Saisonende. Todt verteidigt Transfer. Bosnier tritt in die Fußstapfen von van der Vaart.

Der HSV kam zu spät. Eine halbe Stunde zu spät. Um 15 Uhr hatte Markus Gisdol am Mittwoch die Trainingseinheit angesetzt. Doch erst mit deutlicher Verzögerung ging es für seine Mannschaft auf den Platz. Als die Hamburger Profis um 15.31 Uhr die Treppen im Volkspark hinabstiegen, war auch endgültig klar, warum alles so lange dauerte. Die Verspätung hatte einen Namen: Sejad Salihovic, 32 Jahre alt, Neuzugang des HSV, hatte den Tagesablauf hinausgezögert.

„Natürlich ist es spät“, sagte Salihovic rund zwei Stunden später im Innenraum des Stadions in seinem ersten Interview als HSV-Profi. „Aber wir sind ja noch früh in der Saison.“ Zwei Wochen nach dem Ende der Transferperiode und drei Spieltage nach dem Start der 55. Bundesliga-Saison haben die Hamburger mit dem zuletzt vereinslosen Salihovic doch noch ihren sechsten Neuzugang verpflichtet. Der Bosnier unterschrieb am Mittag einen leistungsbezogenen Vertrag bis Saisonende. Der HSV reagiert damit auf die jüngsten Verletzungen von Filip Kostic (ausgeprägter Muskelfaseriss) und Rick van Drongelen (Knochenödem im Becken).

Salihovic kann auch Linksverteidiger

Warum aber holt der HSV zu diesem Zeitpunkt einen Mann, der fast 33 Jahre alt ist, seit vier Monaten kein Spiel mehr bestritten hat, in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr auf Bundesliganiveau spielte und seine beste Zeit lange hinter sich hat? Jens Todt formulierte es kurz und knapp: „Wir haben uns abgesichert gegen weitere Verletzungen.“ Schließlich erklärte es der Sportchef noch ein wenig ausführlicher. „Mit Sejad haben wir einen Spieler bekommen, der sehr variabel einsetzbar ist. Er kann im Mittelfeld auf allen Positionen spielen, hat sogar schon linker Verteidiger gespielt. Das Gesamtpaket hat uns überzeugt. Er hilft uns, diese Phase mit den vielen Verletzten zu überstehen.“

Am Montag hatte Todt die Telefonnummer des früheren Hoffenheimers gewählt. Hinter ihm lag ein intensives Gespräch mit Trainer Markus Gisdol, in dem die Situation noch einmal ausführlich analysiert wurde. Zuvor hatte Todt noch betont, dem bestehenden Kader zu vertrauen und den jungen Spielern keinen weiteren Spieler vor die Nase setzen zu wollen. Doch die Schwere der Verletzungen von Kostic und vor allem von van Drongelen, der möglicherweise mehrere Wochen fehlen wird, haben Todts Ansicht gedreht. „Es widerstrebt nicht unserer grundsätzlichen Strategie, dass wir eine kleine Gruppe sein wollen“, sagte der Kaderplaner des HSV.

Zehn direkte Freistoßtreffer

Nun also Salihovic. Überraschenderweise erhält der Linksfuß die Rückennummer 23. Die trug zuletzt Alen Halilovic. Der kroatische „Balkan-Messi“ ist noch bis Saisonende an UD Las Palmas verliehen. Vor allem aber ist die Nummer in Hamburg mit dem früheren Fanliebling Rafael van der Vaart verbunden. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich habe die Nummer immer in Hoffenheim getragen. Rafael war hier ein großer Spieler, aber das wird mich nicht belasten“, sagte die neue Nummer 23 der Hamburger.

In Hoffenheim spielte Salihovic einst ähnlich erfolgreich wie van der Vaart zu seiner ersten HSV-Zeit. Ähnlich wie der Niederländer hat der Bosnier große Stärken bei Standards mit dem linken Fuß. In 249 Spielen für Hoffenheim zwischen 2006 und 2015 schoss er 67 Tore und legte 61 vor, die meisten nach ruhenden Bällen. Zehn direkte Freistoßtreffer gelangen Salihovic in der Bundesliga – mehr als van der Vaart.

„Ich bin jetzt so fit wie lange nicht“

Ähnlich wie vor fünf Jahren der ehemalige HSV-Star wäre auch Salihovic in diesem Sommer beinahe zu dem Club seiner großen Erfolge zurückgekehrt. Nachdem er sich gegen einen Verbleib beim Schweizer Club St. Gallen entschieden hatte, hielt er sich nach Absprache mit Trainer Julian Nagelsmann und Sportchef Alexander Rosen in Hoffenheim fit. Zu einem neuen Vertrag reichte es am Ende trotz Überlegungen des Europa-League-Teilnehmers nicht. Trotzdem profitierte Salihovic von dieser Zeit. „Ich bin jetzt so fit wie lange nicht“, sagte Salihovic nach seinem ersten Training für den HSV.

Dabei wurde aber auch deutlich, dass Salihovic – ähnlich wie van der Vaart – deutliche Defizite in der Geschwindigkeit hat. Der ehemalige Nationalspieler war zwar noch nie ein Topsprinter, doch eine Alternative auf der Außenbahn als Ersatz für Kostic kann Salihovic in dieser Verfassung nicht sein. Vielmehr geht es dem HSV darum, im Mittelfeld eine Alternative mehr im Kader zu haben. So sieht es auch Salihovic selbst. „Ich werde mich bescheiden einfügen und mich hinten anstellen.“

Für Salihovic ist Hamburg die große Chance, auf die Bühne Bundesliga zurückzukehren, nachdem er sie 2015 unter Trainer Markus Gisdol in Hoffenheim verlassen hatte. In jedem Fall hat der Neuzugang gute Chancen, schon am Freitag beim Auswärtsspiel in Hannover (20.45 Uhr/Eurosport Player und Abendblatt-Liveticker) zum HSV-Kader zu gehören. „Ich bin sehr dankbar für diese Chance. Natürlich hatte ich Sehnsucht nach der Bundesliga. Die Liga ist für jeden Spieler ein Traum.“

Zuletzt sah es so aus, als ob der Traum Bundesliga für Salihovic vorbei sei. Noch während der Transferperiode hatte er viele Anfragen abgeblockt und auf eine große Lösung gewartet. Dann kam der Anruf von Jens Todt. „Wenn ein Club wie der HSV anruft, muss man nicht lange überlegen“, sagt Salihovic. Spät, aber nicht zu spät, hat er die große Lösung gefunden.