Hamburg. Keine Einigung der Kontrolleure: Nun müssen Bruchhagen und Todt bis 2018 warten, ehe der neue Aufsichtsrat feststeht.
Es war kurz nach 13 Uhr, als Heribert Bruchhagen am Mittwoch am Volksparkstadion vorfuhr. „Das wird sicherlich ein interessanter und langer Tag heute“, orakelte der Vorstandschef des HSV im Vorbeigehen. Viel Zeit habe er nicht, sagte Bruchhagen, weil er ja am Nachmittag zur Aufsichtsratssitzung in die HafenCity müsse. Ob er denn einen besonderen Wunsch an das neue Kontrollgremium habe, wurde der 69 Jahre alte HSV-Chef noch gefragt. „Entscheidend ist auf dem grünen Rasen. Nur das zählt“, antwortete der Ostwestfale und verabschiedete sich mit einem Lächeln.
Bruchhagen ist lang genug im Geschäft, um zu wissen, dass das eine mit dem anderen natürlich viel zu tun hat. Wie viel genau, wurde dem Clubchef einige Stunden später mehr als deutlich gemacht. Denn als Bruchhagen die mit Spannung erwartete Sitzung des Noch-Kontrollgremiums im Firmensitz von Kühne und Nagel am Abend verließ, war die Überraschung perfekt: Die einzige Neuigkeit des Tages war, dass es keine Neuigkeit gab.
Der typische Notausgang des HSV
„Bei der heutigen Aufsichtsratssitzung haben der Vorstand und der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG beschlossen, die anstehende Hauptversammlung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist im ersten Quartal 2018 durchzuführen“, teilte der Club lediglich mit. Mit anderen Worten: Die von HSV-Präsident Jens Meier erhoffte einvernehmliche Lösung war krachend gescheitert. Meier selbst war bei der Sitzung nicht anwesend, weil er auf Geschäftsreise in Südkorea ist.
Doch was war passiert? Nach Abendblatt-Informationen soll es um die Kandidaten Meier, Noch-Chef Andreas Peters, HEK-Vorstand Jens Luther, Ex-Profi Marcell Jansen und Wirtschaftsmanager Felix Goedhart innerhalb des Rats keine großen Bedenken gegeben haben. Allerdings könnte der Name von Kandidat Nummer sechs, über den Meier und Investor Klaus-Michael Kühne seit Tagen via E-Mail im Austausch sind, nicht die erforderliche Zustimmung bekommen haben. Der für den HSV mittlerweile typische Notausgang: Was du heute kannst besorgen, verschiebe besser auf Übermorgen.
Beirat hatte Rats-Sextett bereits abgesegnet
Nun denn. Das komplette Aufsichtsratstableau wird nun statt wie geplant am 18. Dezember erst Anfang 2018 auf der verschobenen Hauptversammlung verabschiedet. Dabei lag die Zustimmung des Beirats für das am Mittwoch vorgestellte Sextett nach Abendblatt-Informationen bereits vor.
Doch warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Bruchhagen, Sportchef Jens Todt und Trainer Markus Gisdol wissen damit noch immer nicht, mit wem sie es in den kommenden Monaten und Jahren zu tun haben. Dabei hatte sich insbesondere Todt eine zeitnahe Lösung gewünscht. Denn anders als früher, als der alte e.V.-Aufsichtsrat noch jede Transaktion von mehr als 500.000 Euro absegnen musste, stellt der AG-Aufsichtsrat den Verantwortlichen mittlerweile „nur“ noch ein Gesamtbudget zur Verfügung. Und wie umkämpft dieses Gesamtbudget sein kann, wurde vor allem im vergangenen Sommer deutlich, als Kontrolleure und Sportverantwortliche tagelang um Millionen und die Frage, wie viel Kühne-Hilfe man guten Gewissens annehmen kann, gerungen haben.
Eile ist geboten
Zur Erinnerung: Damals hatten sich alle Verantwortlichen zunächst darauf geeinigt, den Gehaltsetat von 56 auf 48 Millionen Euro zu senken. Als aber Kühne einen zweistelligen Millionenbetrag für Neuzugänge in Aussicht stellte, waren sich Aufsichtsrat und sportliche Leitung gar nicht mehr einig. Erst nach tagelangen Debatten und einer Medienoffensive ließen sich die Kontrolleure überreden, den angedachten Sparkurs auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
Frei nach Sepp Herberger heißt es nun im kommenden Jahr: Nach den Budgetverhandlungen ist vor den Budgetverhandlungen. Dabei ist Eile geboten. Gleich zehn Profiverträge laufen aus, acht weitere im Jahr darauf. Damit muss die Zukunft (und im Fußball bedeutet das: das Gehalt) bei 18 von 29 Fußballern geklärt werden. „Noch sind wir voll im Plan. Im Winter wollen wir die Gespräche forcieren“, hatte Todt noch vor der Sitzung bei Kühne und Nagel abgewiegelt.
Millionenhilfe von Kühne wird gebraucht
Todts Winterfahrplan dürfte sich nunmehr kaum realisieren lassen. Mehr denn je scheint klar: Ohne eine erneute Millionenhilfe von Kühne dürften dem Manager vorerst die Hände gebunden sein. Dies gilt besonders für die längst ausverhandelte Verlängerung von Nicolai Müller, für die der Sportchef die Zustimmung des neuen Aufsichtsrats – und wohl auch eine erneute Geldspritze von Kühne – braucht.
Um 20.30 Uhr, nach dem von Bruchhagen erwarteten langen Tag, war nur eines klar: Nichts ist klar. Nur auf dem grünen Rasen geht es tatsächlich weiter. Am Sonntag. Gegen Schalke. Ganz ohne Aufsichtsräte.