Hamburg. 152 Bundesligaspiele hat Marcell Jansen für den HSV absolviert. In München hat er auch unter Heynckes gespielt.

Die Zeitreise durch die jüngste Bundesligahistorie beginnt im Hier und Jetzt mit Lachsbagel und einem laktosefreien Flatwhite, einem Espresso mit aufgeschäumter Milch, aber ohne Milchhäubchen. Marcell Jansen sitzt im Schanzenviertel in der Kaffeerösterei Elbgold. „Man kann sagen, was man will“, sagt Jansen. „Ich freue mich auf das Spiel gegen die Bayern.“ Der HSV, sein HSV, gegen die Bayern, seine Bayern. Die Frage, ob er an diesem Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) im Volksparkstadion dabei sei, beantwortet Jansen mit einem empörten „türlich“.

152 Bundesligaspiele hat Marcell Jansen für den HSV absolviert, in 17 Partien ist er für Bayern München aufgelaufen. „Mein Herz schlägt natürlich am Wochenende für den HSV“, sagt der Wahl-Hamburger, der nicht lange überlegen musste, als er gefragt wurde, ob er vor dem Duell sein Kopfkino noch einmal anschmeißen wollen würde.

Heynckes hat Jansen vor Knieschaden bewahrt

Doch bevor Jansen auf die Bayern, den HSV, einen herausragenden Sieg, viele bittere Pleiten und ein durch und durch ungewolltes Grillfest zu sprechen kommt, spult der Fußballer a. D. noch ein bisschen weiter zurück. „Der Jupp ist eine Legende“, sagt Jansen, und bestellt noch eine Mangoschorle zum Flatwhite dazu. „Ich finde es klasse, dass er die Bayern noch einmal übernommen hat. Für mich war es überragend, dass er mal mein Trainer war.“

Elf Jahre liegt das kleine, aber feine Kapitel mit Heynckes und Jansen bei Borussia Mönchengladbach zurück. „Am Anfang hatten Jupp und ich gar kein gutes Verhältnis – ich wusste allerdings gar nicht so genau, warum“, erinnert sich Jansen. „Wir haben das bei einem Gespräch im Winter dann ausgeräumt. Da habe ich ihm gesagt: ‚Trainer, ich fand Sie schon immer gut.‘“

Besonderer Platz in Jansens Herzen

Bis heute hat Heynckes einen besonderen Platz in Jansens großem Herzen, das der Rheinländer auf der Zunge trägt. „Der Jupp hat mir sozusagen die Karriere gerettet“, sagt Jansen und erzählt von einer Grätsche in Bremen mit Folgen. „Ich hatte mir den Meniskus im Knie gerissen. Die Ärzte sagten: OP, vier Wochen Pause und weiter. Jupp sagte: ‚Du bist jung, das muss richtig ausheilen.‘ Er riet mir, den Meniskus annähen zu lassen und länger zu pausieren. Das habe ich gemacht und hatte nie wieder Probleme.“ Als Jansen wieder fit war, war Heynckes nach zwei Spielen ohne Sieg zum Rückrundenauftakt der Saison 2006/07 bereits zurückgetreten. „Ich war richtig traurig, dass der Jupp plötzlich weg war.“

Jetzt aber zum HSV und den Bayern. „Halt, stopp“, sagt Jansen. Eine Heynckes-Anekdote müsse er noch erzählen. Kurz nach dessen Rücktritt habe der Trainer ihn angerufen. „Am Telefon sagte er: ‚Wir müssen einen Kaffee trinke‘“, erinnert sich Jansen. Er sei dann zu Heynckes nach Hause gefahren. Der habe gerade mit seinem mittlerweile berühmt gewordenen Schäferhund Cando („damals war der noch ein Welpe“) gespielt. „Dann machte der Jupp uns eine Kanne Kaffee und sagte mir, dass Real Madrid angerufen habe. ‚Die wollen dich haben‘, sagte Heynckes.“

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    Jansen schiebt sich den letzten Bissen vom Lacksbagel in den Mund. „Kurioserweise war ich zu dem Zeitpunkt drauf und dran, zum FC Barcelona zu wechseln. Mein Berater war zweimal in Barcelona, dann flog Frank Rijkaard.“ Der Wechsel nach Barcelona platzte, auch ein Transfer zu Real Madrid zerschlug sich. „Und dann bin ich eben nach München gewechselt.“ Wirklich lange dauerte die Affäre zwischen Jansen und dem FCB nicht. Unter Ottmar Hitzfeld („auch ein Klassetrainer“) spielte der gebürtige Gladbacher viel und oft. Dann kam Jürgen Klinsmann – und Jansen ging. „Mein Berater sagte mir, dass der HSV mich unbedingt wollte. Und der HSV, das muss man heute wissen, war damals gar nicht so weit weg von den Bayern. Deswegen bin ich dann nach Hamburg gegangen.“

    Und bereits beim ersten Wiedersehen schien für Jansen klar, dass er alles richtig gemacht hatte. „Wir spielten im Januar gegen die Bayern. Rückrundenauftakt, ein Freitagsspiel, Flutlicht. Ich war natürlich heiß.“ Das Ende der Geschichte ist bekannt: ein Kullerschuss von David Jarolim, ein Abpraller, ein Kopfball von Mladen Petric – und Tor. Gerade einmal sechs Pünktchen trennten damals die Bayern und den HSV – heute sind es Welten. „Wir waren fast auf Augenhöhe“, erinnert sich Jansen. „Es war alles wie ein Traum.“ Aus dem HSV-Bayern-Traum wurde zunehmend ein Albtraum. Acht Nord-Süd-Gipfel sollten für Jansen noch folgen, zweimal schaffte der HSV ein Unentschieden, sechsmal setzte es bei einem Torverhältnis von 2:31 Pleiten.

    Beim Stand von 0:8 zog sich Jansen Faserriss zu

    Unvergessen war ein 2:9-Debakel im März 2013, bei dem Jansen aber gar nicht dabei war. „Fünf Gelbe Karten“, sagt der frühere Linksverteidiger wie aus der Pistole geschossen. Beim Auslaufen am nächsten Tag war er dann allerdings wieder dabei – als die Wiedergutmachung in Form eines Grillfestes bereits feststand. „Ich dachte mir nur: Was für ein Blödsinn“, erinnert sich Jansen. „Was machen wir denn beim nächsten Mal? Fahren wir bei der nächsten Bayernklatsche zusammen mit den Fans in den Urlaub?“ Jansen schüttelt den Kopf. „Ich war dafür, dass wir den Fans die nächsten Auswärtskarten spendieren sollten oder Ähnliches machen.“ Aber da war das Kind bereits in den Brunnen gefahren.

    Es wurde gegrillt – und fortan fast in jeder Saison aufs Neue gefragt, ob der HSV nun schon wieder ein Grillfest veranstalten müsste. „Plötzlich waren wir in so einer Phase drin, wo es nicht mehr darum ging, ob wir vielleicht einen oder drei Punkte in München holen, sondern nur noch darum, wie hoch wir in München verlieren.“

    0:6, 0:5, 1:3 und schließlich ein 0:8. „In Hamburg konnten wir oft einigermaßen dagegenhalten. In München war es grausam“, sagt Jansen, der das 0:8 am liebsten ganz aus seinem Gedächtnis streichen würde. „Wer war da noch einmal Trainer?“, fragt er. „Ach, der Zinnbauer. Der wollte mich ja eigentlich schon im Winter loswerden und noch nicht mal mehr ins Trainingslager mitnehmen.“ Jansen nimmt noch einen Schluck Mangoschorle. „Am Schlimmsten für mich war, dass ich mir beim Stand von 0:8 bei einem völlig unnötigen Sprint noch einen Muskelfaserriss zugezogen habe. Da war ich dann endgültig bedient.“

    Das 0:8 war Jansens letzter Nord-Süd-Gipfel. „In Hamburg ist so eine Blamage aber nicht zu befürchten“, sagt der 31-Jährige. „Ich hoffe, dass man sich auf ein geiles Spiel freuen kann. Auf einen echten Kampf“, sagt Jansen. „Und selbstverständlich auf den Jupp.“