2009 gelang der letzte Heimsieg über den deutschen Rekordmeister – in Hamburg fehlen Visionen. Todt und Gisdol müssen sich beweisen.

Diskutieren Sie im Familien- oder Freundeskreis fleißig über die Höhe der Packung für den HSV am Sonnabend? 0:8, 2:9 oder zur Abwechslung zweistellig? Okay, das war wieder böse, schließlich fällt die Bilanz gegen die Bayern im Volksparkstadion gar nicht so miserabel aus. Seit dem letzten Sieg gegen den deutschen Rekordmeister im September 2009 (1:0) ergatterten die Hamburger immerhin drei Unentschieden.

Doch selbst wenn dem HSV auf irgendeine mysteriöse Art und Weise vielleicht ja doch ein Punktgewinn gelingt, so schwingt bei den früher so glanzvollen Nord-Süd-Duellen heute stets etwas Deprimierendes mit, weil eindrucksvoll vorgeführt wird, wie weit die Rothosen hinter dem Branchenführer zurückgefallen sind.

Seit dem letzten Sieg gegen Bayern ging’s steil bergab

Ein schneller Blick auf die Marktwerte beider Teams zeigt die gegensätzlich verlaufene Entwicklung: Als Mladen Petric 2009 für den HSV das Siegtor erzielte, betrug der Marktwert des Teams laut „Transfermarkt.de“ noch 145,9 Millionen Euro, was ligaweit immerhin Platz drei bedeutete. Auf Platz eins: die Bayern mit 283,25 Millionen Euro.

Innerhalb von nur acht Spielzeiten hat sich dieses Verhältnis dramatisch verschoben. Während die Münchner ihren Wert mit 598 Millionen Euro fast verdoppelt haben (weiter Platz eins), ist der HSV-Wert mit nur noch 73,6 Millionen Euro (Platz 14) halbiert. Den HSV und Bayern trennen nicht nur Welten, sondern Galaxien.

Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt
Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt © HA | Andreas Laible

Diesen Rückstand auch nur ansatzweise mittel- und langfristig aufzuholen ist wahnsinnig schwer. Alleine in der nationalen TV-Vermarktung nehmen die Bayern jede Saison 55 Millionen Euro mehr ein als der HSV, von den Einnahmen in der Champions League ganz zu schweigen (vergangene Saison mehr als 70 Millionen Euro).

Aber selbst wenn die HSV-Fans ihre Ansprüche drastisch herunterschrauben – auch in dieser noch jungen Saison verfestigt sich der Eindruck: Nichts wird besser. Was fehlt, sind Rettungsanker für Not leidende Fans, sprich: Visionen.

Todt und Gisdol müssen sich noch beweisen

Die Strukturänderung zur AG bewies im Prinzip nur eindrucksvoll, dass es am Ende immer auf die handelnden Personen ankommt. Und da ist es beim HSV in der Vergangenheit nicht gelungen, auf entscheidenden Positionen die perfekte Lösung zu finden, an erster Stelle betrifft das den Job des Sportchefs.

Ob Jens Todt der richtige Mann für die Zukunft ist, muss er erst noch beweisen. Beweisen muss sich auch Trainer Markus Gisdol. Als der HSV das letzte Heimspiel im September 2016 gegen die Bayern achtbar mit 0:1 verloren hatte, feuerte Dietmar Beiersdorfer Bruno Labbadia. Nun steht Gisdol zwar aktuell nicht vor einer Entlassung, der Druck auf ihn, Fortschritte bei der Entwicklung der Mannschaft vorzuweisen, wächst dennoch. Wer auf Sicht Spieler billiger ein- als verkaufen will, damit es sowohl sportlich als auch finanziell aufwärtsgeht, muss dafür sorgen, dass die Fußballer besser werden und sie entsprechend trainieren.

Wetten, Arp wechselt im Sommer?

Womöglich denken Sie jetzt an die Jugend, an die Talente wie Fiete Arp, der gerade bei der U-17-WM auftrumpft. Es sei aber an dieser Stelle davor gewarnt, zu große Hoffnungen mit seinem Namen zu verbinden. Wollen wir wetten? Entweder wird der Stürmer den HSV im Sommer für vier, fünf Millionen Euro verlassen oder nach Vertragsende 2019 ablösefrei wechseln.

Keine Frage, im gnadenlosen Überlebenskampf strategisch zu handeln ist von außen leicht einzufordern. Aber der HSV macht es sich selbst schwer. Wechsel auf wichtigen Positionen (inklusive Aufsichtsrat) stehen früher oder später weiter auf der Agenda. Dass Heribert Bruchhagen mit seinen 69 Jahren kein Vorstand für die kommenden zehn Jahre ist, weiß er selbst. Es ist zwar eine Binse, stimmt aber dennoch: Wo keine Kontinuität herrscht, sinkt die Wahrscheinlichkeit für Erfolg.

Damit es nicht zu deprimierend wird, sei am Ende auf ein positives Beispiel verwiesen: 2009/10 betrug der Marktwert von Borussia Dortmund nur 80 Millionen Euro (Platz neun), heute liegt er bei 439 Millionen Euro (Rang zwei). Es kann also künftig auch für den HSV wieder in die andere Richtung gehen. Theoretisch.