Hamburg. Trotz der Krise spürt Trainer Markus Gisdol vor dem Bayernspiel Rückenwind. Ein HSV-Blick zurück nach vorn.
Vorhang auf, Bühne frei. Mit dreiminütiger Verspätung öffnet Trainer Markus Gisdol am Donnerstagmittag die Tür zum Medienraum im ersten Stock des Volksparkstadions. Fünf schnelle Schritte und ein energischer Hüpfer auf das Podest. Ein freundliches Lächeln in die Runde, ein Nicken nach links, ein Nicken nach rechts. Der Ton läuft, Scheinwerferlicht an, die Show kann beginnen. „Moin, moin und herzlich willkommen zur Pressekonferenz vor dem neunten Spieltag der Saison“, sagt Pressesprecher Till Müller, der links neben Gisdol Platz genommen hat. „Am Sonnabend um 18.30 Uhr empfängt der HSV Bayern München. Gibt es Fragen?“
Die gibt es. 17.30 Minuten dauert die Frage-und-Antwort-Runde vor dem 105. Nord-Süd-Gipfel in der Bundesliga (Sa., 18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de). Dem HSV stehe „eine schwere Aufgabe“ bevor, sagt Gisdol, die Bayern seien unter Neu-Trainer Jupp Heynckes richtig gut drauf, sogar „herausragend gut“, und trotzdem müsse man natürlich an die eigene Stärke glauben: „Man hat immer eine Chance“, floskelt Gisdol.
Gisdol freut sich über seltenes HSV-Vertrauen
Pressekonferenzenalltag. Es wird viel geredet, aber eigentlich nichts gesagt. Die Antworten zwei Tage vor einem Spiel sind oft, die Fragen meistens die gleichen. Die übermächtigen Bayern? Hat man da Angst? Hat man Respekt? „Wir haben immer Respekt“, antwortet Gisdol, der dann aber doch noch ein paar Sätze zum Besten gibt, die man nicht jede Woche hört. „Das ist vielleicht gerade eine ungewohnte Situation in Hamburg“, sagt der Schwabe. „Das war in den vergangenen Jahren ja oft mal anders.“ Stirnrunzeln, eine Nachfrage. Welche Situation? Die Trainersituation? Ja, die Trainersituation! „Das war ja vor meiner Zeit mal anders“, erklärt Gisdol. „Da gab es sehr viel schneller mal Situationen, in denen der Club gespalten war.“
Im Hier und Jetzt seien aber natürlich alle geeint. Aber so was von. „Wir gehen geschlossen durch diese Situation“, sagt der Trainer, dessen Mannschaft sechs Spiele in Folge nicht mehr gewinnen konnte – und nun ausgerechnet die Bayern bezwingen will. Aber schwer würde es sicherlich werden, keine Frage. „Die Bayern haben noch immer die Klasse, die Champions League zu gewinnen“, sagt Gisdol.
Diese Klasse haben sie schon lange – und dummerweise meistens in den Spielen gegen den HSV. Acht Jahre ist der letzte Hamburger Sieg gegen die Bajuwaren her. Seitdem setzte es zwölf Pleiten, dreimal erkämpfte sich der HSV zumindest ein Unentschieden. Ganz knapp war es auch vor einem Jahr, als der Trainer nicht Markus Gisdol, sondern Bruno Labbadia hieß. „Ich bin komplett bei mir selbst. Ich freue mich auf das Spiel“, sagte Labbadia auf der Pressekonferenz vor der Partie, die nach einem späten Tor durch Joshua Kimmich zum 0:1 seine letzte Partie als HSV-Trainer werden sollte.
Van Marwijk vor Bayern-Spiel genervt vom HSV
Insgesamt durften sich in den 15 Partien zwischen dem HSV und Bayern seit dem Hamburger 1:0-Sieg zehn HSV-Trainer ausprobieren. Der eine im Vorfeld etwas mutiger, optimistischer und provokanter, der andere etwas zögerlicher, devoter und hoffnungsloser.
Definitiv keine Angst hatte Joe Zinnbauer. „Wir wollen in München kompakt stehen, dem Gegner keine Räume geben“, sagte der Coach am 18. Februar 2015. Am 20. Februar verlor Zinnbauers Team 0:8. Ähnlich erging es Vorgänger Mirko Slomka ein Dreivierteljahr zuvor. „Man muss den Bayern wehtun“, sagte der Berufsoptimist. „Wir müssen sie beeindrucken. Eine Überraschung können wir immer schaffen.“ Zwei Tage später setzte es eine wenig überraschende 1:4-Niederlage.
Einen bemerkenswerten Auftritt legte Slomka-Vorgänger Bert van Marwijk hin, der die eigene Mannschaft und den Verein schon vor der turnusmäßigen Pleite vernichtete. „Ich kann nicht verstehen, dass das alles von allen im Verein offenbar akzeptiert wird“, schimpfte der Niederländer auf der Pressekonferenz. „Diese Zufriedenheit hier, die fängt mich langsam an zu irritieren.“ Sprach’s – und verlor zwei Tage später mit seiner Mannschaft 1:3.
Knüppelhart erwischte es ein paar Monate vorher Thorsten Fink. „Bayern ist mit Barcelona die beste Mannschaft in Europa im Ballbesitz“, analysierte der Möglicherweise-bald-Österreich-Trainer am 28. März 2013. „Da müssen wir ausgeschlafen sein.“ Kaum hatte Fink ausgesprochen, fiel seine Mannschaft in einen kollektiven Frühlingsschlaf und kam am 30. März mit sage und schreibe 2:9 unter die Räder.
Schlimm, aber nicht ganz so schlimm war der Nord-Süd-Schlager für Michael Oenning. „Wir müssen unser Augenmerk auf die Defensive legen“, hatte der Fink-Vorgänger in der Spieltags-Pressekonferenz am Donnerstag gefordert – dies offenbar aber nicht mehr in der Mannschaftssitzung am Sonnabend wiederholt. Das Resultat: 0:5 am 20. August 2011.
Zehn Trainer probierten ihr Glück seit dem letzten Sieg
Van-Marwijk-mäßig destruktiv ging Armin Veh fünf Monate zuvor zu Werke. Bereits vier Tage vor dem Bayernspiel legte der Augsburger in einer Presserunde den kompletten Verein verbal in Schutt und Asche („Der HSV ist führungslos“), ehe zunächst ein 0:6 und wenig später Vehs nicht mehr zu verhindernde Entlassung folgten.
Sehr viel erträglicher gestaltete 2010 Labbadia seine erste Bayern-Niederlage, die – wie sechs Jahre später – gerade mal 0:1 endete. „Wir wollen da was holen“, hatte vor der Partie der Hesse gesagt, der möglicherweise bald für Werder Bremen etwas holen will. Und Labbadia war es auch, der als bislang letzter HSV-Trainer tatsächlich etwas gegen die Bayern holte: einen 1:0-Sieg. 2009. Mladen Petric sei Dank.
„Schauen wir mal“, sagt Gisdol acht Jahre später. Einen Petric habe er zwar nicht, dafür aber einen Bobby Wood. Und der sei doch viel besser, als das der eine oder andere zuletzt behauptet habe. „Bis Sonnabend …“