München. 1992 kam “Brazzo“ als 15-jähriger Flüchtling nach Hamburg. Damals wurde ihm wenig bis nichts zugetraut. Ähnlich verhält es sich jetzt.
Normalerweise werden die ersten Bilanzen erst nach 100 Tagen gezogen, jedenfalls bei Kanzlern oder Regierungen. Hasan Salihamidzic hat am Montag erst seinen 78. Tag als Sportdirektor des FC Bayern erlebt. Doch der Eindruck, den der 40-Jährige bisher in seiner neuen Rolle hinterlassen hat, wird auch bis zum üblichen Stichtag in drei Wochen kaum zu revidieren sein.
Mit „Der Azubi“ überschrieb das Fachblatt „Kicker“ nun eine erste Bestandsaufnahme, die untertitelt war mit „fleißig, motiviert, bemüht“. Es war jene Einschätzung, die schon nach den ersten Auftritten von Salihamidzic getroffen worden war. So ähnlich hatte sich dieser sogar selbst eingeführt. „Jeder weiß, wie ich als Spieler war. Ich habe immer 100 Prozent gegeben. Genauso werde ich meine Aufgabe als Sportdirektor anpacken“, sagte er bei seiner Präsentation am 31. Juli. Das Image des Bürschchens, das der Bedeutung seines Spitznamens „Brazzo“ entspricht, hat der Bosnier seither noch nicht abstreifen können. Manche zweifeln schon jetzt, dass ihm dies bis zu seinem Vertragsende 2020 gelingen kann.
Salihamidzic wird pflichtschuldig befragt
Wie ein Beleg dafür, dass Salihamidzic noch deutlich mehr als Bürschchen denn als Direktor wahrgenommen wird, kam die Präsentation des zurückgekehrten Trainers Jupp Heynckes am Montag vor einer Woche daher. Nur eine Frage war dem ehemaligen Profi dabei gestellt worden, als dieser mit Heynckes, dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge und Präsident Uli Hoeneß auf dem Podium saß. Bezeichnenderweise nicht von den zahlreichen Journalisten, sondern eher pflichtschuldig vom Moderator Dieter Nickles aus der Medienabteilung des FC Bayern, nachdem sich die anderen Protagonisten schon geäußert hatten. Nur gut eine Minute betrug die Redezeit von Salihamidzic während der fast einstündigen Veranstaltung. Die volle Aufmerksamkeit gehörte Heynckes, Rummenigge und Hoeneß.
Letzterer sagte dabei immerhin kurz etwas über Salihamidzic: „Mit Jupp Heynckes haben wir einen Trainer, der uns für die nächsten acht Monate Ruhe geben wird. Auch für Hasan wird es nun eine relativ einfache Einarbeitungszeit sein. Er ist der ganz große Gewinner.“ Weil dieser, so ließ sich das deuten, vorerst nicht mehr so akut gefordert sein wird. Salihamidzic werde sich nun noch mehr im neuen Nachwuchsleistungszentrum einbringen, nachdem Hermann Gerland seinen dort im Sommer angetretenen Job bis zum Saisonende ruhen lässt, da er neben Peter Hermann wieder als Assistent von Heynckes tätig ist. Zudem werde Salihamidzic mit Rummenigge „den Trainermarkt sondieren“, ehe er, Hoeneß, als Aufsichtsratschef in die finale Entscheidungsfindung eingebunden werde. Es war ein weiterer Versuch, den Sportdirektor zu stärken. Zugleich klang es etwas unglaubwürdig, dass Hoeneß nicht vorher mitredet bei der Trainerfindung.
Hat "Brazzo" die Herausforderung unterschätzt?
Es wäre vermutlich auch für einen anderen Sportdirektor eine schwierige Aufgabe geworden, zwischen den beiden Alphatieren Rummenigge und Hoeneß zu bestehen und sofort als vollwertiger Mitentscheider wahrgenommen zu werden. Vor allem in einer Phase wie der zurückliegenden, in der es sportlich und intern, auch zwischen Rummenigge und Hoeneß, kriselte und der bisherige Cheftrainer Carlo Ancelotti beurlaubt wurde. Die vorherigen Kandidaten Philipp Lahm und Max Eberl erkannten dieses Risiko – und sagten ab.
Hoeneß, begründete Lahm damals seine Absage, sei „noch zu tatkräftig“. Salihamidzic dagegen gab schnell und freudig sein Jawort, was den Eindruck nährte, er unterschätze die Herausforderung. Hinzu kamen seine rhetorisch wenig überzeugenden Auftritte: Er wirkte oft unruhig und wenig souverän in seinen Äußerungen.
Eine Reise in die Hamburger Vergangenheit
Nach dem Spiel gegen Celtic Glasgow in der Champions League an diesem Mittwoch steht am Sonnabend die Ligapartie beim Hamburger SV für den FC Bayern und Salihamidzic an. Für den neuen Sportdirektor wird es eine Reise in die Vergangenheit an jenen Ort, wo seine Karriere in Deutschland begann. Mit 15 Jahren kam er 1992 als Flüchtlingskind an, erhielt 1995 seinen ersten Profivertrag, wechselte drei Jahre später nach München und blieb für neun Jahre.
„Ein Mann, der von ganz unten kam, der als kleiner Bub nach Hamburg gekommen ist, ohne Eltern, sich durchgebissen hat beim HSV, dann beim FC Bayern. Keiner hat ihm das zugetraut“, erinnerte Hoeneß, als Salihamidzic in seiner neuen Rolle vorgestellt wurde. Nun kehrt das Bürschchen von einst zum HSV als Sportdirektor der Münchner zurück, was ihm auch kaum einer zugetraut hat. Vermutlich werden sie ihn bei seinem alten Verein weiterhin vor allem als „Brazzo“ begrüßen.