Hamburg. Eine Woche vor der Partie des HSV in Mainz bat das Abendblatt Hamburgs früheren Torhüter und seinen Bruder zum Geschwistergespräch.
Vier Jahre liegen zwischen Fußballprofi René Adler (32) und seinem Bruder Rico (28). Genau eine Woche vor dem ersten Spiel von Neu-Mainz-Torhüter René gegen seinen Ex-Club HSV (Sa, 14.10., 15.30 Uhr) haben die beiden Brüder über ihre „spezielle Geschwisterbeziehung“ gesprochen. Auch die beiden Abendblatt-Redakteure wissen übrigens, worüber sie sprachen: Bruder und Schwester sind fast auf die Minute viereinhalb Jahre auseinander.
Rico, am kommenden Wochenende empfängt Mainz 05 mit Ihrem Bruder René den HSV. Werden Sie im Stadion dabei sein?
Rico Adler: Leider nein. Ich kann mir das Spiel nur im Fernsehen anschauen.
René Adler: Aber wir haben uns gerade in der Länderspielpause in Hamburg getroffen. Ich war für drei Tage zu Hause, da habe ich natürlich auch dem kleinen Bruder einen Besuch abgestattet.
Sehen Sie sich trotz der Distanz zwischen Mainz und Hamburg regelmäßig?
René: Ich würde tippen: ungefähr einmal im Monat.
Rico: Aber wir telefonieren sehr regelmäßig miteinander, fast jeden Tag. Besonders vor und nach Renés Spielen tauscht man sich natürlich aus.
Was glauben Sie: Was genau macht eine enge Geschwisterbeziehung aus?
Rico: Ich kann das nur für uns beantworten, weil wir schon eine sehr spezielle Beziehung haben. Unsere Geschwisterbeziehung hatte ja eine siebenjährige Lücke, als ich noch mit den Eltern in Leipzig gewohnt habe und René schon sehr früh nach Leverkusen gegangen ist. René war 15, ich war elf Jahre alt. Das ist natürlich eine Zeit, die einen sehr prägt. Und obwohl vier Jahre zwischen uns lagen, hatten wir eigentlich immer eine sehr gute Kleiner-Bruder-großer-Bruder-Beziehung. Der große Bruder bleibt natürlich immer das Vorbild. Ich habe ja auch sportlich versucht, René ein bisschen nachzueifern, was dann aber nur bedingt geklappt hat.
Hat sich Ihre Beziehung verändert, als René damals nach Leverkusen gegangen ist?
Rico: Ich würde sagen, dass sich unser Geschwisterverhältnis sogar intensiviert hat. Wenn plötzlich 500 Kilometer zwischen einem liegen, dann stärkt das eher die Verbindung.
Und stimmen Sie zu: Kleiner Bruder bleibt immer kleiner Bruder ...?
René: Genau so ist es!
Rico: Ich bin genauso groß wie du! (beide lachen)
René: Als großer Bruder hat man ja auch ein gewisses Verantwortungsgefühl. Da ist es egal, ob mittlerweile beide erwachsen sind oder ob man noch ein Kind ist. Wobei die Rollen zwischen kleiner und großer Bruder im Alter durchaus auch wechseln können. Mein kleiner Bruder hat mittlerweile zwei Studiengänge abgeschlossen, da hat er mir auch einiges voraus. Ich bin eigentlich nur in einem einzigen Bereich ein kleines bisschen erfolgreicher als er: im Sport. Ansonsten muss ich gestehen, dass ich mir auch gern mal den Rat vom kleinen Bruder hole, da bricht mir kein Zacken aus der Krone. Ganz klar: Rico ist mir in vielen Bereichen auch ein Vorbild.
Was ist der Unterschied zwischen einem sehr guten Freund und einem Bruder?
Rico: Da ist kein Filter, der über die Beziehung drübergelegt ist. Es ist ein Grundvertrauen da. Keiner muss irgendetwas maskieren, weil das auch gar nichts bringen würde.
René: Wir suchen und geben uns schon sehr viel natürlicher Rat, als das mit einem guten Freund möglich wäre. Dabei gibt es bei uns auch nicht diese festgelegte Rollenverteilung, dass der Ältere alles besser weiß. Ganz im Gegenteil.
Haben Sie ein Beispiel?
René: Ich musste ja gerade meine Bachelor-Abschlussarbeit an der Fernuni schreiben, da habe ich natürlich meinen Bruder sehr, sehr häufig um Rat gebeten. Und ich wäre ja auch schön doof, wenn ich ihn nicht fragen würde, immerhin hat er schon erfolgreich Abschlussarbeiten geschrieben. Bei mir ist es mehr als zehn Jahre her, dass ich die Schulbank gedrückt habe.
Und? Wie fanden Sie Renés Abschlussarbeit?
Rico: Ich habe sie natürlich gelesen und fand sie ganz gut.
Nur ganz gut?
Rico: Es muss immer Luft nach oben geben (lacht).
Zu welchen Gelegenheiten vermissen Sie Ihren Bruder?
Rico: Wir haben in den vergangenen Jahren eigentlich immer zusammen- oder nah beieinandergewohnt – ob in Köln oder zuletzt in Hamburg. Und jetzt ist es das erste Mal seit langer Zeit, dass wir wieder weit voneinander entfernt wohnen. Da vermisst man eigentlich am meisten, sich einfach mal spontan kurz zu treffen und zu quatschen. Das haben wir immer und oft gemacht, und das geht gerade nicht.
René: Als Brüder braucht man keine Aufwärmphase. Diese ungezwungenen Treffen sind es, die ich am meisten vermisse. Mal eben schnell auf einen Kaffee oder auf ein Bier oder mit den Hunden in den Stadtpark. Manchmal reichen auch zehn Minuten, kurz Hallo sagen, „wie geht es dir?“ fragen.
Rico: Mal abgesehen von dem „normalen“ Miteinander hat man natürlich auch manchmal ganz konkreten Redebedarf: eine wichtige Lebensentscheidung, Zukunftsängste, so etwas.
Die KeeperCademy der Adler-Brüder
Holen Sie sich beide eher voneinander Rat als zum Beispiel von den Eltern?
Rico: (zögert) Hm ...
René: (unterbricht) Doch, auf jeden Fall.
Rico: Kann sein. In gewisser Weise schon …
René (unterbricht noch einmal): Ich würde das ganz klar bejahen. Mein Bruder ist definitiv ein wichtigerer Ratgeber als meine Eltern.
Rico: Doch, das stimmt schon. Wobei wir ja auch in festen Partnerschaften leben und da auch gute Ratgeber haben.
René: In diesem Bereich habe ich auch ein bisschen mehr Erfahrung. Ich habe dieses Jahr geheiratet, Rico zieht bald nach.
Werden Sie sein Trauzeuge sein?
René: Das weiß ich nicht, er hat mich noch nicht gefragt.
Rico: Natürlich ist René der Trauzeuge!
René (lacht): Ist das so?
Rico: Ich habe das selbstverständlich vorausgesetzt. Also: Du bist offiziell Trauzeuge, by the way (beide lachen).
Gut, dass wir das geklärt haben. Andere Frage: Welche Rolle spielen Neid und Geld in einer Geschwisterbeziehung?
Rico: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Als derjenige, der weniger bis gar nicht in der Öffentlichkeit steht, musste ich natürlich erst einmal lernen, damit umzugehen, dass mein Bruder immer und überall in der Öffentlichkeit steht. Aber ich hatte ja auch ein paar Jährchen Zeit. (Fragt René) Wie lange bist du Profi? Elf, zwölf Jahre?
René: 15 Jahre!
Rico: Okay, 15. Und natürlich gibt es unglaublich viele positive Effekte, wenn der eigene Bruder ein Celebrity ist. Man hat Einblicke in eine Welt, die anderen verschlossen bleibt. Man hat den Zugang zu ganz anderen Netzwerken. Ganz praktisch bekommt man natürlich auch mal Karten für Spiele. Aber mir war auch immer wichtig, dass ich mich nicht einfach nur an René ranhänge. Und was die Neid-Frage betrifft: Natürlich gab es ab und an den Gedanken, dass ich schon gerne mal die Rollen getauscht hätte. Umgekehrt gab es auch genügend Momente, in denen ich extrem froh war, nicht in Renés Haut zu stecken.
René: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Es gibt tatsächlich viele Momente, in denen ich gerne mal getauscht hätte.
Nämlich?
René: Ich kann mich erinnern, dass Rico nach dem Studium einfach mal für ein paar Wochen durch Kuba gereist ist, während ich mich mit dem HSV im Trainingslager auf den nächsten Abstiegskampf vorbereitet habe. Aber es ist ja menschlich, dass man irgendwie immer das will, was man gerade nicht hat. Und was das Ranhängen betrifft: Rico hat sich nie aufgedrängt. Aber natürlich kann ich als Profifußballer und Bruder ihm die eine oder andere Tür öffnen. Durchgehen muss er selbst.
Rico, in welchen Momenten hat es genervt, der kleine Bruder von René Adler zu sein?
Rico: Ich gehe ungern damit hausieren. Wenn man neue Leute kennenlernt und die einen direkt auf den Fußballprofibruder reduzieren, ist das natürlich erst einmal nervig. Wenn man mich aber direkt fragt, würde ich trotzdem nie verneinen, dass René mein Bruder ist. Ich bin ja stolz auf ihn – und anders als für andere ist es für mich normal, der Bruder von René Adler zu sein. Diese Sichtweise musste ich aber auch erst einmal lernen.
Haben Sie mal überlegt, wie weit Sie es im Fußball gebracht hätten, wenn Sie nicht aufgehört hätten?
Rico: Wenn ich nicht aufgehört hätte, dann wäre René in Mainz heute wahrscheinlich die Nummer zwei (beide lachen).
René: Wenn du nicht aufgehört hättest, dann hättest du jetzt eher zwei künstliche Schultern und drei künstliche Knie …
Rico: Das stimmt wahrscheinlich sogar. Tatsächlich scheint das so ein familiäres Ding zu sein, dass unsere Körper manchmal nicht so wollen wie wir. Aber unabhängig von meinen Schultern und meinen Knien hatte ich auch nicht den Kopf, um Profi zu werden. Mir fehlte nicht nur das entsprechende Talent, sondern vor allem auch der sportliche Ehrgeiz von René.
Unternehmerischen Ehrgeiz haben Sie offenbar beide. Mit der KeeperCademy starten Sie erstmals ein berufliches Bruderprojekt. Wer hatte die Idee?
René: Eher Rico als ich, da er mit seinem Start-up Ferileo.de bereits im Bereich der Ferienaktivitäten für Kinder und Jugendliche unterwegs ist. Ich fand die KeeperCademy-Idee auch super, aber mir war und ist wichtig, dass ich in erster Linie noch Fußballer bin. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass mir dieses unternehmerische Denken Spaß macht. Deswegen habe ich nebenbei ja auch das Fernstudium gemacht. Es ist eine Superabwechslung zum manchmal sehr monotonen Fußballeralltag, wenn wir über unsere Firma brainstormen. Diesen Ausgleich brauche ich.
Wer macht was bei Ihrem gemeinsamen Projekt?
Rico: Wir sind zu viert. Unser gemeinsamer Freund Daniel Schollmeyer und ich kümmern uns um den betriebswirtschaftlichen Bereich und den Markenaufbau, René und sein früherer HSV-Torwarttrainer Ronny Teuber übernehmen den sportlichen Bereich.
Haben Sie beide sich vorab darüber Gedanken gemacht, wie Sie die finanziellen Dinge der Firma regeln?
René: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Als Brüder harmonieren wir sehr gut, aber trotzdem mussten wir natürlich diese finanziellen Geschichten regeln. Rico ist eher der knallharte Geschäftsmann, ich beherrsche eher die sozialen Skills. Das passt also gut. Aber gerade weil das so gut passt, mussten wir auch die „unangenehmen“ Fragen klären. Denn ich bin nicht bereit, unser gutes Geschwisterverhältnis wegen des Geldes infrage zu stellen. Das wäre es mir nicht wert.
Wie haben Sie das Thema also geregelt?
René: Ich kenne viele Leute, die sagen, dass sie niemals Geschäfte mit guten Freunden oder Geschwistern machen würden, weil das echt gefährlich ist. Und weil wir uns dieser Gefahr bewusst waren, haben wir das Geldthema abgeräumt, noch bevor wir den Namen der Firma hatten.
Rico: Wir haben einen Gesellschaftsvertrag aufgesetzt, der ganz klar regelt, wer welche Anteile hat. Nur so geht es. Und trotzdem wird es natürlich Dinge geben, die wir im Vertrag nicht berücksichtigt haben. Dafür ist es dann wiederum gut, dass wir uns so gut kennen und vertrauen. Wir wissen ganz genau, dass wir uns auch mal fetzen können und trotzdem wieder zueinander finden.
Rico, kann man mit René denn überhaupt gut streiten?
Rico: Eigentlich haben wir uns kaum mal wirklich gestritten, oder?
René: Stimmt. Unsere Familie hat keine ausgeprägte Streitkultur. Dabei bin ich eigentlich der Auffassung, dass ein guter Streit auch förderlich sein kann. Vielleicht haben wir aber auch eine so gute Geschwisterbeziehung, weil wir die Pubertät, in der es naturgemäß am meisten Streit gibt, ausgelassen haben. Noch bevor der kleine Bruder anfangen konnte, mir auf die Nerven zu gehen, habe ich mich ja in Richtung Leverkusen davongestohlen (lacht).
Allzu lange hat Sie Ihr Bruder aber nicht alleine gelassen …
René: Das lag eher daran, dass ich unbedingt wollte, dass er zu mir nach Köln kommt. Als er mir gesagt hatte, dass er studieren will, habe ich ihm direkt vorgeschlagen, dass er in Köln studieren und dann bei mir wohnen sollte.
Rico: So war ich einer der wenigen Studenten, der eine eigene Spülmaschine hatte …
René: … und eine eigene Putzfrau …
Rico: … die nicht mal Mutti hieß.
René, in dieser Zeit mussten Sie Ihre erste große Karriereverletzung verkraften …
René: 2010, Rippenbruch vor der WM. Das war schon heftig für mich. Da hat es mir sehr geholfen, dass mein Bruder bei mir war. Rico war mein wichtigster Kummerkasten.
Rico, Sie leben nun in Hamburg – ganz ehrlich: Drücken Sie am Wochenende Mainz mit René oder dem HSV die Daumen?
Rico: Seit René nicht mehr beim HSV ist, war ich auch nicht mehr im Stadion. Ich bin eigentlich nur Fan vom FC René – drücke also Brüderchen und Mainz die Daumen.