Hamburg. Der Hamburger SV trifft nicht mehr. Experten erklären das Problem der Mannschaft: weniger Pressing, miserable Passquote.
Tatsuya Ito und André Hahn ballerten in Extraschichten nach dem Training aufs Tor. Die verbliebenen HSV-Stürmer arbeiteten in dieser wegen Länderspielen arg reduzierten Trainingswoche zusätzlich an ihren Abschlüssen. Gut so. Denn die nackten Zahlen sind ernüchternd: fünf Spiele, exakt 450 Minuten (ohne Nachspielzeit) torlos. Was ist da schon wieder los?
Der Online-Blog „Spielverlagerung.de“ analysiert seit sechs Jahren die Bundesliga aus taktischer Sicht und hat sich damit einen guten Ruf erworben. In der Spitze klicken schon mal 100.000 Fußballfans auf die Seite. Sogar das ZDF hat für sein Sportstudio bereits mit „Spielverlagerung“ zusammengearbeitet, das von bis zu zehn jungen Fußballexperten betrieben wird, die zum Teil auch als Trainer arbeiten. Also – was bitte ist da beim HSV schon wieder los?
Größerer Zusammenhang
„Man muss die Torflaute beim HSV in einen größeren Zusammenhang setzen“, erklärt Tim Rieke (23), der zuletzt das HSV-Spiel gegen Werder Bremen analysiert hat. „In der letzten Saison unter Markus Gisdol hat der HSV einen ganz klaren Stil entwickelt. Die Mannschaft wollte beim Gegner Chaos mit langen Bällen und aggressivem Pressing hervorrufen. Sie wollte den Gegner damit aus dem Konzept bringen“, erklärt Rieke, „Gisdol versucht offenbar in dieser Saison, seine Strategie zu ändern.“
Das hat den HSV aber ganz offenbar eine seiner fundamentalen Stärken der Rückrunde gekostet. Damals konnte er laut Analyse von Tobias Escher von „Spielverlagerung“ die durchschnittliche Passquote seiner Gegner um sechs Prozent drücken. In diesem Jahr sinkt die Genauigkeit auf der Gegenseite bislang nur um 0,9 Prozent. Das bedeutet fünf Prozentpunkte weniger Chance auf Balleroberung und schnelle Gegenstöße. „Wir wollen uns fußballerisch weiterentwickeln und taktisch variabler sein“, hatte der Trainer vor der Spielzeit als eines seiner Ziele angegeben, „auf unser Pressingsystem aufbauend wollen wir uns im Spiel gegen eine organisierte Mannschaft entwickeln und mehr Lösungen finden.“
Eindrücke vom HSV-Training am Mittwoch:
Eindrücke vom HSV-Training am Mittwoch
„Gisdol will ruhiges Spiel und Ballzirkulation entwickeln, es sollen mehr spielerische Elemente eingebracht werden“, hat Rieke analysiert. Das aber funktioniert nicht gut genug, was entscheidend mit dem Ausfall von Nicolai Müller zu tun hat: „Das ist der wichtigste Offensivspieler, weil er neben seinem Tempo auch spielerische Elemente beherrscht. Er läuft auch klug in den Rücken der Abwehr und bleibt nicht nur auf dem Flügel“, sagt der Taktik-Experte, „Müller würde dem HSV beim Versuch, klüger zu spielen sehr helfen.“
Die Hoffnung auf kreative Ansätze liegt nun vor allem auf Aaron Hunt. Rieke sieht bei dem 31-Jährigen dafür aber Probleme: „Er ist kein Taktgeber, keiner, der entscheidende Pässe aus dem Nichts spielt. Hunts beste Zeit war mit anderen Kreativspielern wie Diego und Mesut Özil an seiner Seite. Dadurch ergaben sich für ihn selbst Möglichkeiten. Gegen Bremen gab es mit Ito links Ansätze, als der Japaner Räume schaffte.“
Kontrolliertes Spiel aufzuziehen ist schwierig
Auch die Innenverteidiger Gideon Jung, Mergim Mavraj und Kyriakos Papadopoulos sind Teil des Problems bei der Umstellung auf spielerische Lösungen. „Wichtig sind Defensivspieler, die sich am Spielaufbau beteiligen können. Da ist der HSV eher unterdurchschnittlich besetzt. Ein kontrolliertes Spiel aufzuziehen ist schwierig.“ Die offenbar fehlende spielerische Qualität der HSV-Spieler dokumentiert sich auch an der miserablen Passquote in dieser Saison. Nur 67,1 Prozent der Bälle landen beim eigenen Mann, der HSV ist damit das schlechteste Team der Liga.
Der HSV siegte auf der Trainingsanlage gegen Rugenbergen 13:1 (Testspiel). HSV-Tore: Hahn (5), Schipplock (5), Holtby, Hunt, Stark.