Vor der Bundestagswahl baten wir HSV-Sportchef Todt, der früher für den „Spiegel“ über die NPD geschrieben hat, zum Politik-Gespräch.

Hamburg. Jens Todt ist verschnupft. Der HSV-Sportchef bestellt einen Kräuter-Ingwer-Tee („aber bitte ohne Ingwer“) und lässt sich in seinen Sessel in der Lobby des Elysée-Hotels fallen. Schon vor einer ganzen Weile hatte das Abendblatt den früheren „Spiegel“-Redakteur gefragt, ob er sich vorstellen könnte, vor der Bundestagswahl mal ausnahmsweise nicht über Neuzugänge, den Transfermarkt und den aktuellen Verletzungsstand zu sprechen.

Und trotz der drei Niederlagen in Folge hat sich der Fußballmanager bereit erklärt, vor dem wichtigen Auswärtsspiel in Leverkusen (Sonntag, 18 Uhr/Sky und im Liveticker von abendblatt.de) über die Große Koalition, die AfD und eine frühere Wahlparty mit dem Motto „Kohl muss weg“ zu sprechen. Aber warum redet Todt mit uns über Politik? „Ganz einfach“, antwortet er. „Weil Politik wichtig ist.“

Hamburger Abendblatt: Herr Todt, am Sonntag spielt der HSV in Leverkusen. Hatten Sie rechtzeitig Briefwahl beantragt?

Jens Todt: Rechtzeitig beantragt und bereits vor knapp zwei Wochen gewählt.

Verraten Sie uns, was Sie gewählt haben?

Todt (überlegt lange): Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mit der Zweitstimme die CDU gewählt. Der Hauptgrund ist, dass ich es beeindruckend fand, wie die Bundeskanzlerin mit der Flüchtlingskrise vor zwei Jahren umgegangen ist. Für solche Situationen gibt es ja keine Handbücher.

Fußballer und Fußballfunktionäre sprechen sehr ungern öffentlich über Politik. Warum haben Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt?

Todt: Sollten wir jetzt in Leverkusen verlieren, dann würde sicherlich der eine oder andere sagen, dass der Todt nicht über die politische Großwetterlage reden, sondern sich auf seinen Job konzentrieren soll. Das mag ja auch im Großen und Ganzen stimmen, aber in diesem besonderen Fall mache ich eine Ausnahme. Weil ich Politik wichtig und interessant finde. Auch kann ich Ihnen versichern, dass unter diesem Interview mein Einsatz für den HSV nicht leiden wird. Generell habe ich den Eindruck, dass das Äußern der eigenen politischen Überzeugung in Deutschland stärker tabuisiert wird als anderswo. Warum auch immer, aber man spricht hier nur ungern öffentlich darüber, was und warum man eigentlich wählt. Ich glaube, dass es sogar viele Ehepaare gibt, bei denen der Partner nicht weiß, was der andere gewählt hat.

Wissen Sie, was Ihre Frau wählt?

Todt: Klar weiß ich das. Aber ihre Partei werde ich an dieser Stelle dann doch nicht verraten.

Würden Sie sich selbst als politisch interessierten Menschen bezeichnen?

Todt: Schon. Ich gehe zwar sicher nicht in die letzte Tiefe der einzelnen Wahlprogramme, aber lese mehrere Tageszeitungen, bin online ein Nachrichtenjunkie und schaue mir auch die eine oder andere politische Debatte im Fernsehen an. Das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz habe ich natürlich auch gesehen.

Der Wahlkampf wurde als langweilig bewertet. Haben Sie sich auch gelangweilt?

Todt: Der Wahlkampf war nicht spannend, aber ich finde das nicht verwerflich. Wir haben Gott sei Dank momentan keine Krisenzeit. Uns geht es grundsätzlich gut, deswegen gibt es auch keine großen sozialen Debatten. Zudem konnten sich CDU und SPD als Koalitionspartner nur schwer voneinander abgrenzen. Außerdem spricht es für eine gewisse politische Kultur in Deutschland, dass sich unsere Politiker hier – anders als beispielsweise in der Ukraine – glücklicherweise nicht buchstäblich an die Gurgel gehen. Gerade erst habe ich einen sehr interessanten Kommentar auf „Spiegel online“ gelesen, in dem die angebliche Langeweile unseres Wahlkampfes gelobt wurde. Der wenig polarisierende Wahlkampf könne ja auch für die Stabilität unseres Landes sprechen. Das fand ich einleuchtend.

Die erste Prognose dürfte es am Sonntag zeitgleich mit dem Anpfiff in Leverkusen geben. Werden Sie sich einen kurzen Blick auf Ihr Smartphone erlauben?

Todt (lacht): Das ist eine Fangfrage. Aber im Ernst: Eigentlich rechnet doch niemand mehr mit einer großen Sensation.

Damit hat auch niemand in den USA vor nicht allzu langer Zeit gerechnet.

Todt: Stimmt. Aber unsere Ausgangslage ist natürlich eine andere. Auch wenn die Regierung in der Flüchtlingskrise sicher nicht alles richtig gemacht hat – wir haben sie dennoch vorerst gemeistert.

Mit Krisen kennt man sich beim HSV ja bestens aus. Können Sie in dieser Hinsicht von Bundeskanzlerin Merkel vielleicht sogar noch lernen?

Todt: Um Gottes willen! Ich will das Schicksal von Menschen nicht mit Problemen beim Fußball vergleichen. Allerdings ist es sicher so, dass es nicht immer das 100%ig Richtige und das 100%ig Falsche gibt, wenn man Entscheidungen treffen muss.

Sie loben die Kanzlerin, haben aber eingangs gesagt, dass Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben überhaupt die CDU wählen. Wie passt das zusammen?

Todt: Ich komme aus einem klassischen SPD-Haushalt. Meine Eltern haben immer die SPD gewählt, da gab es keine zwei Meinungen. Und vor 20 Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen können, irgendwann mal konservativer zu wählen. Aber wir alle werden ja irgendwann mal älter. Wie lautet noch einmal das angebliche Churchill-Zitat: „Wer mit 20 Jahren kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 Jahren immer noch ist, hat keinen Verstand.“ (lacht)

Die meisten Fußballprofis sind weit unter 40 Jahre alt. Wie ist Ihr Eindruck: Ist die Bundestagswahl in der Kabine ein Thema?

Todt: Es wird nicht das Hauptthema sein, aber sicher sprechen die Jungs untereinander auch mal über solche Inhalte. Mich über-40-Jährigen haben sie bislang aber noch nicht in ihre politischen Diskussionen einbezogen. (lacht)

Früher haben sich Spieler wie Ewald Lienen oder Paul Breitner sehr offensiv politisch geäußert. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es heute keine Überzeugungstäter im Profifußball mehr gibt?

Todt: Früher war ja bekanntermaßen alles besser. (lacht) Aber ich glaube, dass der Eindruck täuscht. Auch früher gab es nur sehr wenige Fußballer, die gerne öffentlich über Politik sprachen. Ewald Lienen wird da tatsächlich immer wieder genannt. Bei Paul Breitner bin ich mir gar nicht so sicher, wie politisch er war. Er wurde einst ja vor einem Poster von Che Guevara fotografiert und hatte damit ein gewisses Image.

Der HSV als Club versucht, eine neutrale Position einzunehmen. Hätten Sie als Sportchef ein Problem damit, wenn einer Ihrer Spieler öffentlich erklärt, dass er die CDU oder die SPD wählt?

Todt: Überhaupt nicht. Solange sich der Spieler für eine Partei ausspricht, die das Grundgesetz respektiert, darf jeder bei uns sagen, was er möchte.

Hätten Sie ein Problem damit, wenn einer Ihrer Spieler öffentlich erklärt, dass er die AfD wählt?

Todt (überlegt lange): Puh. Das würde ich schon problematisch finden. Aber da selbst eine Partei wie die AfD demokratisch legitimiert ist, müsste man diese Meinung wohl aushalten.

Sie selbst haben drei Jahre lang als Journalist beim „Spiegel“ gearbeitet, haben sich unter anderem mit der NPD beschäftigt. Fühlten Sie sich in den vergangenen Wochen bisweilen an die Ewiggestrigen zurückerinnert?

Todt: Es geht so. Ich habe das Gefühl, dass die mediale Aufregung sehr viel größer ist als dann nach den Wahlen die Aufregung im Parlament. Harald Schmidt hat mal einen schönen Satz gesagt: „Diese neuen Parteien zerlegen sich im parlamentarischen Alltag schon dadurch von allein, dass sie gar nicht erst den Sitzungssaal finden.“ Will sagen: Der Einfluss auf die deutsche Politik dürfte auch bei einem Einzug der AfD in den Bundestag überschaubar bleiben. Und im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ist unser rechter Rand ohnehin sehr viel kleiner.

Na ja, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg steht eine Rechtspartei vor dem Einzug in den Bundestag – und das auch noch mit voraussichtlich Pi mal Daumen zehn Prozent.

Todt: Das stimmt. Aber wir reden über zehn und nicht über 30 Prozent. Ich denke schon, dass so etwas unser Land auch einfach mal aushalten muss und sicher wird.

2006 haben Sie für den „Spiegel“ das Dorf Postlow in Mecklenburg-Vorpommern besucht, wo die NPD bei Landtagswahlen auf 38,2 Prozent der Stimmen kam. Können Sie sich noch an Ihren Besuch erinnern?

Todt: Klar. Postlow war damals ein ganz trister Ort in Ostdeutschland: weitgehend entvölkert, die Leistungsträger weggegangen, die Infrastruktur zusammengebrochen, die Kneipen und Geschäfte geschlossen und am Ende blieb nur der Frust. Die Jugendlichen, die dort blieben, hatten wenig Perspektive. Und wenn man keine Perspektive hat, dann wählt man leider oft Protest. So werden leichte Antworten für komplizierte Fragen gesucht. Ich kann mich noch gut erinnern, dass der Treffpunkt für die Jugendlichen in dem Ort eine Bushaltestelle war. Viel mehr gab es in Postlow nicht. Ausländer im Übrigen auch nicht.

Sie haben drei Kinder im Alter zwischen neun und 18 Jahren. Sprechen Sie zu Hause am Frühstückstisch über Politik?

Todt: Das machen wir schon ab und an. Meine Tochter Lotta hat beispielsweise die Flüchtlingshilfe in Babelsberg mitbegründet. Darauf sind wir als Eltern natürlich unglaublich stolz. Sie darf dieses Jahr zum ersten Mal wählen, und da ist Politik am Frühstückstisch natürlich ein Thema.

Lässt sich Ihre Tochter von Ihnen politisch beeinflussen?

Todt: Vielleicht ein klein wenig, aber sie hat schon ihren eigenen Kopf. Sie wird sicherlich etwas anderes wählen, als ich es getan habe. Und damit habe ich auch überhaupt kein Problem. Ich glaube ohnehin, dass das im Vergleich zu früher anders ist. Früher hat man sehr viel eher so gewählt, wie einen das Elternhaus geprägt hat. Heute sind die Wähler offenbar später entschieden und sprunghafter in ihren Entscheidungen.

Haben Sie den Wahl-O-Mat ausprobiert?

Todt: Ja, das tue ich seit Jahren. Und ich wurde noch einmal zusätzlich in meiner Wahl bestätigt. Da brauchte es nicht mal Christoph Ploß, den Winterhude-Kandidaten der CDU, der letztens an meiner Haustür geklingelt und um meine Erststimme geworben hat.

Was haben Sie ihm gesagt?

Todt: Dass er sich leider die Mühe umsonst gemacht hat, weil mein Wahlkreis in Potsdam ist.

1998, als Sie bei Werder Bremen unter Vertrag standen, haben Sie noch eine Wahlparty unter dem Motto „Kohl muss weg“ geschmissen ...

Todt (lacht): Lang ist’s her, und das war natürlich auch spaßig gemeint. Wir haben damals im linksliberalen Ostertorviertel gewohnt. Das ist vielleicht ein bisschen vergleichbar mit dem Schanzenviertel. Dort wurde Grün gewählt – und dort habe ich mich damals auch politisch sehr wohl gefühlt. Auf der Party, auf der auch ein paar Mitspieler wie Marco Bode oder Christian Brand waren, haben wir dann auch noch mal die Gäste wählen lassen.

Und?

Todt: Auf unserer Party hat Grün die absolute Mehrheit geholt.

Welches Partymotto würden Sie an diesem Wochenende vorgeben?

Todt: Ich würde als Motto vorschlagen: Endlich wieder in Leverkusen gepunktet!?