Hamburg. Nach Müller fällt mit Kostic der zweite Flügelflitzer langfristig aus. Schon jetzt rächt sich, dass der HSV den kleinsten Kader hat.
Am späten Sonnabend durfte sich Markus Gisdol doch wieder als echtes Glückskind fühlen. Rechtzeitig zum Beginn des Konzerts der Rolling Stones im Stadtpark riss der Himmel über Hamburg auf und zeigte sich von seiner schönsten Seite. So lauschte Gisdol, der drei Innenraumkarten für den Spottpreis von je 103 Euro ergattert hatte, um Punkt 20.30 Uhr „Sympathy For The Devil“, dann war „It’s Only Rock ’n’ Roll (But I Like It)“ an der Reihe. Und spätestens beim siebten Song („Play With Fire“) dürfte der HSV-Trainer den Ärger und die Sorgen dieses bis dahin für ihn unglücklich verlaufenen Wochenendes kurzzeitig vergessen haben.
Dabei war es ausgerechnet das von den Rolling Stones besungene „Spiel mit dem Feuer“, das den Fußballlehrer am Tag nach dem 0:2 gegen RB schwer zu schaffen machte. Die Heimniederlage gegen die „saustarken Leipziger“ hatte Gisdol schnell abgehakt. Die neuen Personalsorgen, die seinen ohnehin schon kleinsten Kader der Liga weiter schrumpfen lassen, ganz und gar nicht. „Mit Müller, Kostic und Hahn haben wir nominell drei Außenbahnspieler, die ein entsprechendes Niveau haben“, sagte der Schwabe nach dem morgendlichen Auslaufen am Mittag. „Wenn der Filip dann aber auch noch ausfällt, dann ist das alles ein bisschen eng.“
Vier Stunden später stand fest: Der Filip fällt aus. Mindestens vier Wochen, vielleicht auch länger. Kostic habe im Spiel gegen Leipzig „einen ausgeprägten Muskelfaserriss im linken Oberschenkel“ erlitten, so kommunizierte es der Club zwischen auslaufenden Spielern am Morgen und rollenden Steinen am Abend. Ob man nach den Verletzungen von Kostic und seinem Pendant Nicolai Müller, der sich am ersten Spieltag einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, nun noch mal reagieren und einen vertragslosen Profi verpflichten müsse, wurde Gisdol in weiser Voraussicht im Bauch des Volksparkstadions gefragt. Seine Antwort: „Fragen Sie den Jens.“
Todt: HSV sondiert den Markt
Und der Jens? „Wir haben nun leider eine neue Situation und müssen den Markt sondieren“, gibt Sportchef Jens Todt am Sonntag auf Abendblatt-Nachfrage zu. Immerhin 250 vertragslose Fußballer finden sich auf dem Fachportal transfermarkt.de, darunter mehr oder weniger bekannte Namen wie der frühere Berliner Patrick Ebert (30), der Ex-Hamburger Änis Ben-Hatira (29) oder der einstige 20-Millionen-Euro-Mann José Antonio Reyes (34).
Auch Mittelstürmer Claudio Pizarro (38), der nach eigenen Angaben im Sommer eine ernsthafte Anfrage des HSV hatte, ist noch ohne Job. Doch ein tatsächlicher Transfer eines noch immer vertraglosen und damit ablösefreien Spielers bleibt nach Abendblatt-Informationen trotz des plötzlichen Verletzungspechs äußerst unwahrscheinlich.
Kommentar: HSV muss jetzt auf die Jugend setzen
Dabei hat der HSV mit 20 Feldspielern ohnehin schon den kleinsten Kader der Bundesliga. Mit Müller und Kostic fallen nun zwei Offensiv-Leistungsträger langfristig aus, zudem soll Aaron Hunt (Muskelfaserriss) erst in drei Spielen wieder zur Verfügung stehen. Damit aber nicht genug: In der Defensive muss Gisdol am Freitag in Hannover neben Bjarne Tholke (Innenbandriss im Knie) vermutlich auch auf den 18 Jahre alten Rick van Drongelen (Zerrung) verzichten. „Der HSV geht schon am Stock“, titelte die „Mopo“ bereits am Sonntag.
Gisdol analysiert den Kader vor Todt
Zwei Tage zuvor, direkt nach der Partie gegen Leipzig, wurde Gisdol ein erstes Mal auf der Pressekonferenz um eine Stellungnahme gebeten. Wie oft nach Spielen hatte sich auch diesmal Manager Todt („Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Transferperiode“) unter die fragenden Journalisten im ersten Stock der Arena gemischt. Gisdol schaute also zu Todt, dann antwortete er: „Wir haben nicht viele Spieler im Kader, das ist bekannt.“ Einatmen, ausatmen, und weiter: „Und es ist auch bekannt, dass wir das eigentlich anders lösen wollten.“ Noch ein schneller Blick zu Todt. „Das ist uns aber nicht gelungen.“ Pause. „Und auch das ist bekannt.“
Bilder vom Spiel gegen Leipzig
HSV vs. Leipzig: Elfmeter nach Videobeweis zurückgenommen
In der Tat ist es bekannt, dass der HSV am Ende der Transferfrist gerne noch einen oder zwei Spieler verpflichtet hätte – dazu aber offensichtlich nicht mehr ausreichend Mittel zur Verfügung hatte. „Wir haben einen kleinen Kader, dafür haben wir uns nun einmal entschieden“, sagt Todt, der die Betonung auf das Wörtchen „wir“ legt.
Aus „wir“ kann im Profifußball aber auch schnell mal „du“ oder „er“ werden. Die Tatsache, dass der HSV weder den lange gesuchten Linksverteidiger noch einen potenziellen Müller-Ersatz im Transfermarkt-Endspurt bekommen konnte, hatte bei Trainer Gisdol jedenfalls keine Glückshormone freigesetzt. „Das eigene System steht und fällt immer mit den Spielern, die man zur Verfügung hat“, sagt der Rolling-Stones-Fan, der nur zu gut weiß, dass bei Misserfolgen als Trainer am Ende des Tages immer er selbst den Kopf hinhalten muss.
Waldschmidt mit Startelf-Chancen
Dabei darf man es als Laune des Schicksals bezeichnen, dass der HSV ausgerechnet auf den beiden Positionen Sorgen hat, für die den gesamten Sommer über nach Verstärkungen gesucht wurde. „Wir müssen mal schauen, wie wir das nun kompensieren“, sagt Gisdol.
Als Linksverteidiger kommen gegen die noch immer unbesiegten Aufsteiger aus Hannover am Freitag nun nur noch der einstige Verkaufskandidat Douglas Santos und der formschwache Gotoku Sakai infrage. Und für die offensive Dreierreihe bewerben sich neben dem gesetzten André Hahn noch Lewis Holtby, Luca Waldschmidt und Bakery Jatta um die beiden vakanten Positionen.
„Mit der Situation müssen wir einfach leben“, sagt Gisdol, der mit „der Situation“ aber alles andere als zufrieden ist. Oder wie es Mick Jagger am Sonnabend im letzten Song vor der Zugabe formulierte: „I can’t get no satisfaction.“