Hamburg. Am Freitag trifft der frühere Chaosclub auf den HSV. Doch der 1. FC Köln ist mehr als nur ein Karnevalsverein.
Seit zweieinhalb Jahren ist es offiziell: Der 1. FC Köln ist ein Karnevalsverein. Den förmlichen Antrag hatten Präsident Werner Spinner, die Vizepräsidenten Toni Schumacher und Markus Ritterbach sowie die Geschäftsführer Jörg Schmadtke und Alexander Wehrle im Januar 2015 unterschrieben – und das Kölner Festkomitee brauchte nicht lange, dem Ansinnen des Fußball-Bundesligaclubs zuzustimmen. Seitdem heißt es bei den spaßigen Jecken ganz im Ernst: „Da simmer dabei, dat ist prima – viva Colonia.“
Gut dabei sind die Kölner auch seit einer ganzen Weile in ihrem eigentlichen Kerngeschäft: „Der FC hat in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht. Ich erinnere mich noch an sehr turbulente Zeiten in Köln, mittlerweile ist es vorbildhaft, wie dort gearbeitet wird“, lobt HSV-Trainer Markus Gisdol, der sich mit seiner Mannschaft erst heute Vormittag per Charterflieger auf den Weg in die Karnevals- und eben auch Fußballhochburg macht.
Köln hat sich den Status „Vorzeigeclub“ erarbeitet
Am Abend (20.30 Uhr/live im Eurosport-Player und im Liveticker bei abendblatt.de) empfängt der einstige Chaosclub den Irgendwie-immer-noch-Chaosclub. Die Momentaufnahme will es aber so, dass ausgerechnet die zuletzt so viel gelobten Kölner nach der 0:1-Auftaktniederlage im Rheinderby gegen Mönchengladbach einen waschechten Fehlstart verhindern müssen. Die dauergescholtenen Hamburger können dagegen nach dem schmeichelhaften 1:0-Startsieg gegen Augsburg erstmals seit 2009 die Tabellenspitze erklimmen.
Langfristig, da sind sich alle mutmaßlichen und auch vermeintlichen Experten einig, hat sich der Kölner Karnevalsclub aber den Status „Vorzeigeclub“ erarbeitet – und könnte damit auch dem HSV als Vorbild dienen. „Die Voraussetzungen in Köln und Hamburg sind ja eigentlich ähnlich“, sagt HSV-Sportchef Jens Todt. Traditionsvereine, Gründungsmitglieder, Medienstädte. Immer großer Anspruch, oft kleine Wirklichkeit. Ein lautes Umfeld mit vielen Experten, bei denen man nicht die Vorsilbe „Ex-„ vergessen sollte: Ex-Star, Ex-Manager, Ex-Vorstand.
Kölns Voraussetzungen ähnlich wie beim HSV
Auch Kölns Ex-Trainer Holger Stanislawski kennt die besondere FC-Welt, die seiner Meinung nach tatsächlich sehr gut mit dem HSV-Umfeld zu vergleichen ist. Oder besser: zu vergleichen war. „Wenn jeder mitreden will, dann ist es für die handelnden Personen immer schwierig“, sagt der Hamburger, der im Abendblatt-Gespräch einen ganz simplen Erklärungsansatz dafür hat, warum es seit vielen Jahren in Köln läuft – und beim HSV eben nicht: „Man kann die Strukturen so ändern, wie man möchte. Am Ende kommt es aber immer auf die drei entscheidenden Persönlichkeiten im Club an: Trainer, Sportchef, Clubchef. Wenn man auf diesen Positionen gut aufgestellt ist, dann läuft es.“
Der 1. FC Köln ist gut – und vor allem beständig – aufgestellt. Seit Sommer 2013 haben mit Präsident Spinner, Manager Schmadtke und Trainer Peter Stöger die drei immer gleichen Persönlichkeiten beim FC das Sagen. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum versuchten sich beim HSV sieben Trainer, vier Sportchefs sowie drei Vorstandsvorsitzende (siehe Grafik) und gaben dabei fast 70 Millionen Euro mehr aus, als sie einnahmen. Der Marktwert des HSV-Kaders reduzierte sich trotz der in der Bundesliga einzigartigen Personalrochade von 111 auf 71 Millionen Euro. Kölns Sportchef Schmadtke nahm dagegen in der gleichen Zeit drei Millionen Euro mehr ein, als er ausgab, und schaffte trotzdem noch das Kunststück, den Marktwert seines Kaders von 24 auf 106 Millionen Euro zu vervierfachen.
Stanislawski:Kölns Entwicklung „eine besondere Geschichte“
„Jörg Schmadtke ist ein herausragender Manager, der auch genau weiß, wie er den Trainer unterstützen kann. Für mich kam er leider einen Tick zu spät“, sagt Stanislawski, der den FC nur wenige Wochen vor Schmadtkes Verpflichtung auf eigenen Wunsch verließ. Dabei hätte alles auch ganz anders kommen können: Kurz zuvor ließ der damalige HSV-Aufsichtsrat Schmadtke und Oliver Kreuzer zum Manager-Casting im Hotel Radisson Blu am Hamburger Flughafen einfliegen. „Nach diesem Gespräch war relativ schnell klar, dass wir keine gemeinsame Beziehung eingehen werden“, sagte der gebürtige Düsseldorfer später, ehe er nur wenige Wochen danach in Köln unterschrieb.
„Es ist schon eine besondere Geschichte, wie sich der FC seitdem entwickelt hat“, lobt Stanislawski. „In Köln weiß man auch genau, wann man was zu sagen hat. Das ist in Hamburg ein wenig anders“, sagt der Bramfelder, der an die vergangene Klaus-Michael-Kühne-Festspiel-Woche erinnert. Für Stanislawskis Geschmack habe sich manch ein HSV-Verantwortlicher zunächst zu viel auf das mediale Pingpongspiel vor dem Saisonstart eingelassen, ehe es nach Kühnes despektierlichen Aussagen gegenüber Pierre-Michel Lasogga („Lusche“, „Flop des Jahrhunderts“) zu lange zu ruhig geblieben wäre. „Wenn mein eigener Spieler öffentlich gedemütigt wird, dann muss ich diesen wie eine Löwenmutter schützen“, sagt der frühere Trainer vom FC St. Pauli.
Erst einmal in Plauderstimmung hat Stanislawski noch einen weiteren, etwas unpopulären Erklärungsansatz für den FC-Aufschwung parat: „Vielleicht hat es den Kölnern tatsächlich auch gut getan, dass ihre aus Tradition extrem hohen Ansprüche in der Zweiten Liga auf ein normales Niveau zurecht gestutzt wurden“, sagt der ZDF-Experte, der in diesem Fall allerdings einen Vergleich zum HSV scheut: „Auch Stuttgart und Hannover scheint der Abstieg gut getan zu haben. Aber das kann man natürlich nicht pauschalisieren. Und als Hamburger wünscht man sich selbstverständlich alles andere als einen HSV-Abstieg.“ Zum Beispiel an diesem Freitag ganz bescheiden die Tabellenführung. Man gönnt sich ja sonst nichts.
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