Hamburg. Zwei Dutzend Berater melden sich bei HSV-Sportchef Jens Todt, doch Nicolai Müller könnte auch intern ersetzt werden.

Erik Meijer ist offenbar kein Mensch, der allzu viel Zeit mit dem berühmten Blick zurück verschwendet. „Gute Besserung, Nicolai“, twitterte der frühere HSV-Stürmer am frühen Montagmorgen, um im nächsten Satz mit der Empathie einer Kreissäge direkt nach vorne zu schauen: Nun habe der HSV noch zehn Tage Zeit, um „neue Füße, die Tore machen“, zu finden.

Fußball ist ein Geschäft. Das wissen auch HSV-Sportchef Jens Todt und Trainer Markus Gisdol. Nach einem Tag der Schockstarre müssen die beiden nun der meijerschen Aufforderung nachkommen und „neue Füße, die Tore machen“, suchen und finden. „Wir werden das in Ruhe anschauen und überlegen, ob es Sinn macht, noch einmal tätig zu werden“, relativiert Gisdol, ehe er die neue Lage der Situation entsprechend bewertet: „Wir müssen nicht immer alle Dinge über das Knie brechen ...“

Müller-OP am Mittwoch in Köln

Müllers „Knie der Nation“ soll bereits an diesem Mittwoch operiert werden. Nicht in Augsburg, wo Kniespezialist Dr. Ulrich Boenisch gerade im Urlaub ist. Sondern in Köln bei Dr. Peter Schäferhoff. „Man braucht gar nicht drum herumzureden. Wenn ein wichtiger Leistungsträger wegbricht, dann ist das für jede Mannschaft in der Bundesliga ein schwerer Schlag“, sagt Gisdol, der trotzdem zunächst in den eigenen Reihen nach einem Ersatz fahnden will und mit Aaron Hunt und Lewis Holtby zwei Kandidaten ausgemacht hat: „Natürlich sind Aaron und Lewis die Anwärter auf Nicolais Position.“

Das mag auf den ersten Blick überraschen, da sich Müller traditionell auf der rechten Außenbahn heimisch fühlt, während Hunt und Holtby eher im Zentrum zu finden sind. Doch oft lohnt ja auch ein zweiter Blick: Und tatsächlich plante Gisdol in dieser Saison eher mit Neuzugang André Hahn auf der rechten Seite, während Müller im Zen­trum wirbeln sollte. Und hier sind nun Hunt und Holtby die Topkandidaten.

Ausgerechnet Hunt. Und ausgerechnet Holtby, muss es an dieser Stelle wohl heißen. Denn sowohl der eine als auch der andere galten zuletzt als veritable Verkaufskandidaten. Das hatte allerdings primär finanzielle und nicht wirklich sportliche Gründe. Hunt bekommt pro Jahr mehr als drei Millionen Euro, Holtby verdient (inklusive Prämien) sogar mehr als vier Millionen Euro. Der erhoffte Verkauf zum Ende der Transferfrist, um den Gehaltsetat zu entlasten, dürfte sich nach dem Müller-Schock nun ohnehin erledigt haben.

Bilder vom HSV-Sieg gegen Augsburg:

HSV kämpft Augsburg nieder: die besten Bilder

Neuzugang Rick van Drongelen begeisterte mit seiner kompromisslosen Art zu verteidigen
Neuzugang Rick van Drongelen begeisterte mit seiner kompromisslosen Art zu verteidigen © WITTERS | TimGroothuis
Was für ein Auftakt: In Minute acht erzielt Nicolai Müller das 1:0 nach einem Pass von Walace und jubelt mit van Drongelen
Was für ein Auftakt: In Minute acht erzielt Nicolai Müller das 1:0 nach einem Pass von Walace und jubelt mit van Drongelen © WITTERS | ValeriaWitters
Lange währt die Freude jedoch nicht: Ausgerechnet beim Jubel über die Führung stürzt Müller über die Eckfahne und muss verletzt vom Platz
Lange währt die Freude jedoch nicht: Ausgerechnet beim Jubel über die Führung stürzt Müller über die Eckfahne und muss verletzt vom Platz © WITTERS | ValeriaWitters
Rick van Drongelen hatte als 18-Jähriger ein gelungenes Debüt
Rick van Drongelen hatte als 18-Jähriger ein gelungenes Debüt © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Kyriakos Papadopoulos und Dennis Diekmeier jubeln über den Auftaktsieg
Kyriakos Papadopoulos und Dennis Diekmeier jubeln über den Auftaktsieg © WITTERS | TimGroothuis
Torwart Christian Mathenia sieht sich selbst als Adrenalin-Junkie
Torwart Christian Mathenia sieht sich selbst als Adrenalin-Junkie © WITTERS | TimGroothuis
Kapitän Gotoku Sakai saß unerwartet auf der Bank
Kapitän Gotoku Sakai saß unerwartet auf der Bank © WITTERS | TimGroothuis
André Hahn (l.) konnte vor allem in der Schlussphase seine größte Stärke, die Schnelligkeit, ausspielen
André Hahn (l.) konnte vor allem in der Schlussphase seine größte Stärke, die Schnelligkeit, ausspielen © dpa | Daniel Bockwoldt
Ex-HSVer Michael Gregoritsch nähert sich mit dem Ball dem Tor und wird von Kyriakos Papadopoulos (l.) angegangen. Gregoritsch lässt sich fallen und kassiert Gelb für seine Schwalbe
Ex-HSVer Michael Gregoritsch nähert sich mit dem Ball dem Tor und wird von Kyriakos Papadopoulos (l.) angegangen. Gregoritsch lässt sich fallen und kassiert Gelb für seine Schwalbe © Witters | Tim Groothuis
Neuzugang Rick van Drongelen (l.) zeigte vollen Einsatz
Neuzugang Rick van Drongelen (l.) zeigte vollen Einsatz © WITTERS | TimGroothuis
Walace (l.) machte gegen Augsburg eine gute Figur
Walace (l.) machte gegen Augsburg eine gute Figur © WITTERS | TimGroothuis
Breites Grinsen nach dem Sieg: Markus Gisdol kann wieder lachen
Breites Grinsen nach dem Sieg: Markus Gisdol kann wieder lachen © WITTERS | TimGroothuis
1/12

Stafylidis soll in dieser Woche kommen

Linksverteidiger Konstantinos Stafylidis soll das Augsburger gegen das Hamburger Trikot eintauschen
Linksverteidiger Konstantinos Stafylidis soll das Augsburger gegen das Hamburger Trikot eintauschen © Imago/Krieger

Dennoch sehen die HSV-Verantwortlichen dem Ende der Transferfrist nach dem müllerschen Ausfall mit erhöhter Spannung entgegen. „Manchmal passieren dann ja auch Dinge, die sich vorher gar nicht abgezeichnet oder angebahnt haben“, sagt Trainer Gisdol, der bereits mit Sportchef Todt die theoretischen Möglichkeiten abgeklopft hat. „Wir fühlen uns nicht getrieben, können uns aber vorstellen, noch etwas zu machen“, sagt der Manager, der zuversichtlich ist, neben der in dieser Woche geplanten Verpflichtung von Augsburgs Linksverteidiger Konstantinos Stafylidis noch genügend finanzielle Mittel für einen potenziellen Müller-Nachfolger generieren zu können. Kurios: Durch dessen schwere Verletzung spart der HSV, der Müllers Gehalt nur noch sechs Wochen lang zahlen muss, voraussichtlich mehr als 1,4 Millionen Euro.

Und auch an potenziellen Ersatz-Kandidaten mangelt es nicht. Noch bevor Meijer „neue Füße, die Tore machen“, fordern konnte, erhielt Sportchef Todt bereits zwei Dutzend Anrufe von Beratern, die ihre Mandanten feilboten. Unter den Perlen aus ganz Europa auch der Deutschtürke Sinan Gümüs, der im schönen Pfullendorf geboren und aufgewachsen ist und sein Geld derzeit noch bei Galatasaray Istanbul verdient. Und obwohl sein Wikipedia-Lebenslauf durchaus lesenswert ist, wird beim HSV ein kolportierter Wechsel des gebürtigen Schwaben ausgeschlossen.

Todt sucht Gespräch mit Müllers Berater

Alles andere als ausgeschlossen ist die noch vor diesem Wochenende als ausgeschlossen titulierte Vertragsverlängerung Müllers. „Wir sind nach wie vor sehr interessiert, den auslaufenden Vertrag von Nicolai zu verlängern, und sind deswegen auch weiter in Gesprächen mit seinem Berater“, bestätigt Todt, der nicht darauf warten will, ob Müller nach der erhofften Genesung im kommenden Frühjahr wieder in Form kommt: Anders als früher sei ein Kreuzbandriss kein Beinbruch mehr, so Todt.

Das sieht Erik Meijers ehemaliger Liverpooler Mannschaftskollege Dietmar Hamann – zumindest im übertragenen Sinn – anders: Der Sky-Experte, der schon öfter durch sein besonderes Interesse am HSV (und durch sein besonderes Interesse am HSV-Bashing) auffiel, macht keinen Hehl daraus, dass Todt doch lieber heute als morgen auf den Ausfall reagieren müsste: „Es ist besonders bitter für den HSV, weil Müller einer der wenigen Spieler im Kader ist, der Tore macht. Man muss jetzt wohl einen Neuen holen.“

Und Todt? „Müssen müssen wir gar nichts“, sagt der Sportchef, der sich ein Beispiel an Minister Graf Schulenburg nimmt und Ruhe zur ersten Bürgerpflicht erklärt: „Wir müssen jetzt nicht in Panik verfallen. Wir sind vorne sehr ordentlich besetzt – auch numerisch.“ Nun gelte es erst einmal, den Blick nach vorne zu richten. Sagt nicht Müller. Auch nicht Meijer. Und nicht mal ein Schulze. Sondern Todt. Jens Todt.