Hamburg. Krisenstimmung schon vor dem ersten Spieltag. Gisdol droht Spielern mit der Tribüne und drängt auf schnelle Personalentscheidungen.
Er kam alleine, und er ging alleine. Seine blaue Schirmmütze hatte Markus Gisdol am Montagmorgen tief ins Gesicht gezogen, als er sich auf den Weg zum Training der Ersatzspieler machte. Nach rund einer Stunde verließ er den Platz mit zügigen Schritten. Der Chefcoach des HSV war mächtig angefressen auf seine Spieler, die sich zur selben Zeit mit Laufschuhen oder Fahrrädern durch den Volkspark bewegten. Am Nachmittag zuvor hatten die Profis nicht nur den Club und sich selbst, sondern auch ihren Trainer blamiert.
Die 1:3-Niederlage im DFB-Pokal beim Drittligisten VfL Osnabrück trotz 72-minütiger Überzahl wollte sich Gisdol nicht gefallen lassen. Bereits vor der morgendlichen Einheit machte der 47-Jährige in einer Videoanalyse deutlich, was er von dem Auftritt an der Bremer Brücke gehalten hatte. „Der Trainer hat ganz, ganz klare Worte gefunden“, sagte Sportchef Jens Todt, der nach einer unruhigen Nacht von einer „indiskutablen Leistung“ sprach.
Nachlässiges Verhalten
Gisdol bemängelte insbesondere das nachlässige Verhalten und die Einstellung seiner Mannschaft nach dem frühen Platzverweis für Osnabrücks Marcel Appiah. Anschließend kassierte der HSV drei Gegentore. „Ich kann diese Niederlage nicht sofort abhaken. Darüber werde ich mit den einzelnen Spielern reden. Ich gehe nicht sofort zur Tagesordnung über“, sagte Gisdol mit gläsernen Augen. Der Trainer wurde deutlich, als es um die vielen ungeklärten Personalfragen in seinem Kader ging und kündigte Konsequenzen an. „Wenn ein Spieler nicht zu 100 Prozent bei der Sache ist, dann werde ich ihn auch nicht aufstellen und auch nicht in den Kader nehmen.“
Zwischenruf: Wenn du aus Hamburg kommst
Am Sonnabend (15.30 Uhr) startet der HSV mit einem Heimspiel gegen den FC Augsburg in die neue Bundesligasaison. Doch schon vor dem ersten Spieltag herrscht in Hamburg Krisenstimmung. Zehn Kamerateams waren am Montag in den Volkspark gekommen. Auf so ein breites Interesse stieß der HSV in der jüngeren Clubgeschichte eigentlich nur, wenn mal wieder ein Trainer entlassen wurde.
Die Erstrunden-Pleiten des HSV im DFB-Pokal
Gisdol kennt sich mit Krisen in Hamburg nach zehn Monaten gut aus – insbesondere nach dem 0:8 in München oder dem 0:4 in Augsburg war die Stimmung beim HSV am Tiefpunkt. Der Trainer ist bekannt dafür, klare Maßnahmen einzuleiten und unangenehme Entscheidungen zu treffen.
So suspendierte er in der vergangenen Saison die Routiniers Emir Spahic und Johan Djourou, als er spürte, dass sie dem Mannschaftsgefüge schaden. Und so könnte es auch in dieser Woche Maßnahmen geben. „Unsere Personalsituation muss schnellstens geklärt werden. Das Thema werde ich deutlich überdenken.“
Gisdol ist genervt von Wechselabsichten
Gisdol ist genervt von den Wechselabsichten, die seine Spieler über ihre Berater ausrichten ließen. Das gilt insbesondere für die beiden Brasilianer Walace und Douglas Santos sowie Nicolai Müller. Während der HSV-Trainer bei Müller ein klares Veto für einen Wechsel zum VfL Wolfsburg eingelegt hatte, ist die Situation bei Walace und Santos komplexer. Gisdol gilt nicht gerade als großer Fan der Brasilianer, kann Stand jetzt aber aufgrund der Verletzung von Albin Ekdal sowie dem noch fehlenden neuen Linksverteidiger nicht auf die beiden verzichten.
Die peinliche Pokalpleite dürfte nun Bewegung in die beiden Personalien bringen. Insbesondere im Fall Santos könnte es schnell gehen. Der 23-Jährige ist sich mit dem PSV Eindhoven über einen Wechsel einig. Es geht nach Abendblatt-Informationen um eine Ausleihe mit anschließender Kaufoption.
Stafylidis sorgt in Augsburg für Wirbel
Die Kaufsumme wäre höher als die 7,5 Millionen Euro, die der HSV vor einem Jahr an Atlético Mineiro überwiesen hatte. Mit Konstantinos Stafylidis vom FC Augsburg hat sich der HSV bereits einen Nachfolger ausgeguckt. Weil der HSV aber in diesem Sommer noch keine Einnahmen durch Santos in den Stafylidis-Transfer investieren kann, müssen die Hamburger mit Investor Klaus-Michael Kühne sprechen. Die Ablöse könnte zwischen sieben und zehn Millionen Euro liegen.
Stafylidis hatte am Wochenende für Wirbel gesorgt. Der griechische Nationalspieler fehlte Augsburg im DFB-Pokal am Sonntag in Magdeburg offiziell wegen einer Verletzung. Auf seiner Instagram-Seite schrieb der 23-Jährige dagegen, er sei gesund. Augsburg wollte sich nach dem Pokal-Aus dazu nicht äußern. Dass der Transfer zum HSV noch vor dem direkten Duell am Sonnabend realisiert wird, erscheint jedoch unwahrscheinlich.
Es bleiben viele Fragezeichen in der Kaderplanung des HSV. Auch der mögliche Wechsel von Pierre-Michel Lasogga zum englischen Zweitligisten Leeds United gilt noch nicht als sicher. Für Gisdol wird die tägliche Trainingsarbeit dadurch nicht leichter. „Ich brauche keine neuen Argumente zu nennen“, sagte er am Montag. „Die wirtschaftliche Lage ist bekannt, die muss ich akzeptieren als Trainer. Wir arbeiten dann mit den Spielern, die wir haben.“
Verständnis will Gisdol seinen Spielern mit ungewisser Zukunft nicht entgegenbringen. „Sie haben hier einen Vertrag, sie werden jeden Tag bezahlt. Da erwarte ich hundertprozentigen Einsatz.“ Der Trainer hatte vor dem Spiel in Osnabrück noch davon gesprochen, mit einer Mannschaft in die Saison gehen zu wollen, die eine „Strahlkraft“ habe. Der man immer anmerke, dass sie alles gebe. Im Pokal war davon nichts zu merken. Mit André Hahn stand allerdings auch nur ein echter Neuzugang in der Startelf.
Keine hektischen Reaktionen auf Transfermarkt
Gegen die ebenfalls schon vor dem Saisonstart angeschlagenen Augsburger wird Gisdol seine Startelf wohl spürbar verändern. Hektische Reaktionen auf dem Transfermarkt will der HSV dagegen vermeiden. „Wir verfallen jetzt nicht in Panik“, sagte Jens Todt. „Auch wenn wir nichts mehr machen, gehe ich optimistisch in die neue Saison.“ Ein Gefühl, mit dem der Sportchef am Montag im Volkspark ziemlich allein dastand.