Hamburg. Nach Jarchow übt auch HSVPlus-Initiator Otto Rieckhoff harte Kritik – Aufsichtsrat vor Führungswechsel.
Als Otto Rieckhoff am Freitag das Abendblatt-Interview mit dem früheren HSV-Vorsitzenden Carl Jarchow las, musste er sofort an den Sommer 2015 denken. „Mit großem Entsetzen hatte ich bereits ein Jahr nach der Ausgliederung während der Mitgliederversammlung mein Missfallen über die ganz bewusste Nicht-Umsetzung von HSVPlus ausgedrückt und den Verrat daran stark kritisiert.“
Was Rieckhoff besonders störte war, dass sich die HSV-Verantwortlichen selbst in die Zwangslage versetzt hätten, „zum falschen Zeitpunkt und zu einem völlig inakzeptablen Kurs eine Umwandlung von Darlehen in Eigenkapital vornehmen zu müssen. Ein solcher Schritt war ausschließlich zur unverzichtbaren Entschuldung geschaffen worden, nicht zur weiteren Verschuldung mit damit verbundener Zwangsumwandlung.“
Nachdem Jarchow die Perspektivlosigkeit des Clubs und die zunehmende Abhängigkeit von Investor Klaus-Michael Kühne angeprangert hatte, fällt auch Rieckhoff eine vernichtende Bilanz: „Leider ist mein Appell ungehört verhallt. Im Gegenteil feiert sich der Vorstand dafür, das Vorgehen als Instrument zur Erfüllung der Lizenzvoraussetzungen genutzt zu haben. Dabei ist es in Wahrheit das Ergebnis einer eklatanten Misswirtschaft.“
Rickhoff fordert Konsequenzen
Kein Wunder also, dass Rieckhoff die diesjährige Wahl zum Aufsichtsrat als „extrem richtungsweisend“ einstuft und eine Neubesetzung fordert: „Es geht darum, ob der HSV e. V. als Hauptanteilseigner der AG weiterhin die Negativentwicklung auf so vielen Ebenen und den Verzicht auf Selbstbestimmung bei Finanzen und Transfers duldet. Oder ob dem endlich ein Ende gesetzt wird.“ So hätte Aufsichtsrat Karl Gernandt selbst gefordert, man solle ihn an Taten messen.
Wie der künftige Aufsichtsrat aussehen wird, ist noch völlig offen. Beim Auswahlverfahren kommt erstmals seit der Ausgliederung im Mai 2014 die neue Konstruktion zum Tragen, wonach die Hauptversammlung der HSV Fußball AG die fünf der sechs Mitglieder des Aufsichtsrats bestellt (siehe Grafik). Der Präsident des e. V., derzeit Jens Meier, ist automatisch Mitglied des Kontrollgremiums.
Da der HSV e. V. 79 Prozent der Clubanteile hält, hat Meier letztlich mit seinen Präsidiumskollegen Henning Kinkhorst und Ralph Hartmann auf dieser Hauptversammlung der HSV-Aktionäre die Entscheidungsgewalt – mit einer kleinen, aber wichtigen Einschränkung.
HSV-Beirat gibt sich gelassen
Vor einer Bestellung muss der 2014 neu gegründete HSV-Beirat seine Zustimmung geben. Dieser setzt sich zusammen aus dem Vorsitzenden des Ehrenrats (Kai Esselgroth) und je einem Delegierten der Amateure (Jan Wendt) und Förderer (Patrick Ehlers). Diese drei Mitglieder kooptierten in einem zweiten Schritt Frank Mackerodt und Oliver Voigt, die beide Träger der Goldenen Nadel sind.
Beirats-Vorsitzender Jan Wendt erklärte auf Abendblatt-Anfrage: „Wir arbeiten eng mit dem Präsidium zusammen, diskutieren sehr offen. Das Präsidium hat bisher einen sehr guten Job gemacht.“ Zugleich betonte er: „Kandidaten zu finden oder Kandidatengespräche zu führen, ist nicht unsere Aufgabe.“ Natürlich habe man gewisse Vorstellungen, lasse das aber sehr gelassen auf sich zukommen, da die Entscheidung voraussichtlich erst im Oktober/November anstehe.
Natürlich laufen aber längst im Hintergrund die Gespräche. Naheliegend, dass sich der HSV-Präsident Jens Meier äußert bedeckt hielt, wie die künftige Besetzung aussehen soll. Man werde mit der Aufgabe sehr verantwortungsbewusst umgehen, so Meier am Freitag, und weiter: „Natürlich betrachtet man auch die Ergebnisse der Vergangenheit. Wir werden uns im Präsidium in enger Abstimmung mit dem Beirat aber vor allem intensiv damit beschäftigen, wie wir die HSV-AG in Zukunft weiterentwickeln möchten.“
Posten des Aufsichtsrats-Chefs steht zur Disposition
Die wichtigste Frage wird in diesem Prozess lauten: Wer führt den Aufsichtsrat künftig an? Nachdem in der Vergangenheit immer mal wieder die Forderung aufgenommen war, der Präsident des e. V. solle automatisch auch den Vorsitz bei den Kontrolleuren übernehmen, stellte Meier auf Nachfrage noch einmal klar: „Ich habe schon früher betont, dass ich für das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht zur Verfügung stehe. Von dieser Position werde ich nicht abrücken.“
Die Leitung der Räte hat nach dem Teilrückzug von Karl Gernandt (machte als einfaches Mitglied weiter) im Dezember 2016 Andreas Peters inne (zuvor Ehrenratsvorsitzender). Dass der Anwalt angesichts seiner beruflichen Verpflichtungen in Zukunft für den Vorsitz zur Verfügung steht, ist sehr unwahrscheinlich. Denn dieser Posten kostet vor allem eines: Zeit.
Die Königsaufgabe von Meier & Co. wird deshalb lauten, jemanden zu finden, der nicht nur wirtschaftlich kompetent ist, sondern idealerweise auch im Fußball vernetzt ist, Kritik verträgt (die gibt’s für Räte traditionell gratis dazu) und noch Spaß daran hat, das alles als intensives, aber unbezahltes Hobby zu betreiben.