Der Mäzen über HSV-Fehler, seine Forderung, der Club solle sich weiter für private Geldgeber öffnen und einen Flirtversuch von Werder.
Als Treffpunkt für das Gespräch mit dem Abendblatt hat Klaus-Michael Kühne das Kaminzimmer im Grand Hotel Elysée vorgeschlagen. Und der 79-Jährige, der am Freitag seinen runden Geburtstag in seiner Geburtsstadt feiern wird, übernimmt gleich die Gastgeberrolle und ordert per telefonischem Service selbst den Kaffee.
Herr Kühne, als Uwe Seeler im November seinen runden Geburtstag feierte, versuchte er es locker zu nehmen und scherzte: Die Acht, die lacht ...
Klaus-Michael Kühne: Naja, diese Zahl ist wie eine Mauer, vor der man steht. Ich fühle mich ja nicht wie 80, eher wie 50 oder 60, treibe viel Sport und fühle mich fit. Ich sehe dem Ereignis gefasst entgegen. Am nächsten Tag beginnt genauso ein Tag wie am Tag davor. Damit kann man sich auf gewisse Weise trösten.
Was wünschen Sie sich persönlich zum Geburtstag? Dass Ihr Hotel an der Alster pünktlich fertig wird?
Ach, das Hotel. Geplant war, dort schon die Eröffnung der Elbphilharmonie zu feiern oder meinen runden Geburtstag. Wir hätten auch gerne einige Gäste vom G20-Gipfel willkommen geheißen. Trump hatte bei uns angefragt. Das ist alles leider schlecht gelaufen. Man hat mir viele Streiche gespielt vonseiten der Baubeteiligten. Immerhin, jetzt wird es bald fertig sein, darauf freue ich mich in der Tat sehr. Nein, ich habe keine ausgeprägten privaten Wünsche außer der Gesundheit und einem Leben, das möglichst harmonisch und friedfertig verläuft.
Hegen Sie nicht einen HSV-Wunsch?
Dass sie nicht abgestiegen sind, genügt mir schon als Geschenk (lacht). Selbstverständlich wünsche ich mir eine ständige Aufwärtsentwicklung und kein Zittern mehr. Wenn Sie schon fragen: Ich würde es gerne noch erleben, dass der HSV eine Trophäe gewinnt. Dass dies kurzfristig unrealistisch ist, weiß ich. Aber warum nicht in drei Jahren?
Kehren wir kurz zum 34. Spieltag zurück: Wie muss man sich den Fan Klaus-Michael Kühne vorstellen, als Luca Waldschmidt das entscheidende Tor zum Klassenerhalt gegen Wolfsburg gelang?
Das Spiel habe ich in meinem Haus auf Mallorca gesehen. In dem Moment war ich eher cool und wartete ab, ob der Schiedsrichter den Treffer anerkennt. Die Leidenszeit begann erst danach, das Warten auf den Schlusspfiff empfand ich als schlimm. In solchen Momenten kann ich mich wahnsinnig aufregen und Richtung Fernseher schreien: Weg, Weg! Oder: Ran! Aber meine Frau ist mindestens so engagiert wie ich, sie lebt und leidet noch mehr mit. (lacht)
Haben Sie noch an die Rettung geglaubt?
Ehrlich gesagt nein, ich hielt die Relegation für die wahrscheinlichere Variante. Das Glück hatte sich der HSV aber auch verdient bei all den Anstrengungen, vor allem vonseiten des Trainers.
Wie intensiv war Ihr Kontakt zum Club in diesen Tagen?
Ich habe Markus Gisdol sofort per Mail gratuliert, später haben wir telefoniert. Ich schätze seine sympathische, aber auch zielstrebige Art. Herrn Todt kenne ich nur flüchtig, Herrn Bruchhagen habe ich nur selten getroffen. Meistens kommuniziere ich mit dem Finanzchef, Frank Wettstein.
Hätte es Sie nicht gereizt, das Spiel live im Volksparkstadion zu verfolgen?
Ich gebe zu, dass ich zuletzt auf Stadionbesuche verzichtet habe, weil ich mich nicht zu sehr ärgern und die Niederlagen nicht unmittelbar erleben wollte. Im Hinterkopf habe ich auch noch die Partie gegen Dortmund, die ich mir vor eineinhalb Jahren angesehen habe. Damals wurde ich in übler Form angepöbelt. Da fragen sie sich schon: Warum soll ich mir das antun?
Das klingt, als ob Sie sich missverstanden fühlen.
Manchmal ist es sehr ungerecht oder auch schlicht unwahr, was kolportiert wird. Und natürlich freue ich mich nicht darüber, wenn behauptet wird: Der Kühne ist schuld, dass die Mannschaft schlecht spielt. Aber im Fußball geht es generell turbulent zu, das muss man aushalten können. Und ich habe ein dickes Fell. Wenn sich die Qualität der HSV-Spieler verbessert, würde ich bei Gelegenheit wieder ein Spiel auf der Tribüne verfolgen.
Wird die Qualität denn besser in der kommenden Saison?
Diese Frage kann ich noch nicht beantworten. Die Anstrengungen, den Kader zu verstärken, waren selten von Erfolg gekrönt. Ich frage Sie: Welcher ehrgeizige Topspieler will derzeit zum HSV kommen? Die müssen Sie schon mit der Kneifzange holen. Wer zudem so lange gegen den Abstieg kämpft, kann erst spät mit den Planungen beginnen. Das ist ein weiteres Handicap. Gisdol muss jetzt sagen, was er braucht, und Todt muss sich bemühen, fündig zu werden.
Früher haben Sie unternehmerischen Mut gefordert, um schnell in die Europacup-Plätze vorzustoßen. Was sagen Sie heute?
Dass der HSV kleinere Brötchen backen muss. Auch wenn ich keine tieferen Einblicke habe, weiß ich wie Sie, dass die finanzielle Situation alles andere als rosig ist. Herr Bruchhagen ist sicher der Exponent einer Sparpolitik. Stars für hohe Ablösen und Gehälter zu verpflichten, wird nicht möglich sein – und es wäre vielleicht auch der falsche Weg. Ich kann ja nicht auch noch die laufenden Gehälter bezahlen, das muss der Verein schon selbst stemmen. Und schön wäre, wenn es gelänge, einige Talente einzubauen und zu fördern. Ich habe gehört, Fiete Arp wäre so einer.
Werden wir Sie im neuen Transferfenster wieder in einer Hauptrolle antreffen? In dieser Woche war die Rede von einem bevorstehenden Gipfel.
Gipfel ist für mich der falsche Begriff. Es gibt Kontakte und einen offenen Dialog. Natürlich bin ich neugierig, weil mein Herz dem Verein gehört. Ich habe Herrn Gisdol und Finanzchef Wettstein mitgeteilt: Jawoll, wenn überzeugende Vorschläge kommen, würde ich noch mal helfen.
Vergangene Saison haben Sie mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt ...
... ich habe meine Buchhaltung nicht bei mir ... Die Zahl ist zu hoch, aber es waren erhebliche Beträge.
Könnten Sie sich ein Ähnliches erneut vorstellen, wenn das Konzept stimmt?
Ich hoffe nicht. Im Detail geht es ja auch darum, ob Transfermaßnahmen eher flankierender oder zentraler Natur sind. Bei Papadopoulos wird man einen stattlichen Betrag ausgeben müssen.
Bei ihm wären Sie dabei?
Bisher haben wir nicht gesprochen. Aber das wäre sicher ein wünschenswerter Deal, bei dem man allerdings versuchen sollte, ihn so einzukaufen, dass das Gesundheitsrisiko nicht nur beim HSV liegt. Man sollte es nicht um jeden Preis machen.
Zeigt sich an diesem Beispiel nicht das Dilemma? Mit Ihrer Hilfsbereitschaft drohen Sie die Preise hochzutreiben.
Das kann ich nicht verneinen. Aber man muss sich auch Grenzen setzen.
Welche Veränderungen in der Mannschaft erhoffen Sie sich?
Wichtig wäre, das Spielerische zu verbessern. Die Abspielfehler sind ja eklatant sichtbar. Es gibt doch in Dortmund und Hoffenheim diesen Footbonaut ...
... das Trainingsgerät zur technischen Ballschulung.
Richtig. Ich hatte ein solches Gerät Dietmar Beiersdorfer mehrfach empfohlen, weil es dem HSV helfen könnte. Er hat das damals abgelehnt. Sollte man mich heute wieder ansprechen, würde ich antworten: Jetzt machen wir das, auch wenn dieses Gerät mit einer Million Euro irre teuer ist. Das können Sie ruhig schreiben. Der HSV war in diesen Dingen in der Vergangenheit nicht clever genug.
Sie meinen, er hat nicht auf Sie gehört.
Es wird ja immer wieder behauptet, der HSV wäre abhängig von mir und ich würde mich zu sehr einmischen. Ich möchte an dieser Stelle einmal betonen, dass ich nie durchgesetzt habe, einen bestimmten Spieler zu holen, so weit reicht mein Einfluss nicht, das will ich auch gar nicht. Ich bin doch nicht so vermessen zu glauben, dass ich es besser weiß als die Experten. Die Clubführung braucht Qualität auf allen Ebenen. Da gab es viele, zu viele verschiedene Amtsträger in der Vergangenheit. Sie schreiben ja beim Abendblatt gerade eine Serie, was alles falsch gemacht worden ist.
Was muss besser laufen?
Wenn das Management stimmt, dort alle Personen gut aufeinander abgestimmt sind, als Team mit frischen Ideen, Mut und Entschlossenheit auftreten, kann man viel bewegen. Fußball ist auch Glückssache, aber Qualität setzt sich am Ende durch, und diese muss entwickelt werden. Ist dies der Fall, stehe ich zur Verfügung und bin bereit, einen maßgeblichen Beitrag zu leisten. Das erwarte ich allerdings auch von anderen.
Haben Sie deshalb nicht alle restlichen verfügbaren AG-Anteile übernommen?
Auch ich möchte mit meinen Mitteln haushalten. Mein jüngstes Engagement (im Zuge einer Kapitalerhöhung stieg sein Anteil auf 17 Prozent, d. Red.) war das Ergebnis vielfältiger Überlegungen und Berechnungen. Das schließt nicht aus, dass man noch weiter erhöht. Aber es stimmt, ich hoffe auf weitere Investoren. Der Verein sollte meiner Meinung nach die Möglichkeiten für Privatinvestoren erweitern und nicht an seinem 75,1-prozentigen Anteil festhalten, sondern mindestens 49 Prozent zulassen. Das ist aber ein weiter Weg und hängt mit der 50+1-Regel zusammen, die sicher irgendwann fallen wird.
Ist sie nicht bei Beispielen wie Leipzig und Wolfsburg längst gefallen?
Das sind für mich Beispiele einer groben Verzerrung, die mich furchtbar ärgern. Grundsätzlich bin ich für ein freies Spiel der Kräfte. Um aber Ihre Frage vorwegzunehmen: Nein, ich will kein zweiter Abramowitsch werden. Träger des Vereins zu sein, war nie mein Ehrgeiz. Ich fand die Vorstellung immer gut, wenn der HSV von mehreren Personen oder Unternehmen getragen wird. Es ist schon enttäuschend, dass dies in einer wohlhabenden Stadt wie Hamburg mit so vielen gesunden Unternehmen nicht möglich sein soll. Das ginge übrigens auch im Kleinen. Warum sollte nicht jedes HSV-Mitglied oder jeder Fan im Rahmen seiner Möglichkeiten einen, wenn auch kleinen, Beitrag leisten? Ich wünschte mir mehr Kreativität und Anstöße in solchen Prozessen für eine gemeinsame Bewegung.
Dem Kontrollgremium gehört derzeit noch Ihr Vertrauter Karl Gernandt an.
In Ihrem Satz klingt schon wieder versuchte Einflussnahme durch. Für mich ist es eine Beruhigung, ihn im Gremium zu haben, ohne davon einseitig zu profitieren.
Sie wissen aber, dass noch in diesem Jahr eine Neubesetzung im Rat ansteht.
Darüber bin ich oberflächlich informiert. Ich weiß auch, dass HSV-Präsident Jens Meier dabei ein entscheidendes Wort mitzusprechen hat, da der e. V. die große Mehrheit der AG-Anteile hält. Dennoch würde ich mir wünschen, dass die Investoren bei der Besetzung von Aufsichtsräten ein Mitspracherecht haben, schon alleine um zu demonstrieren, dass der Verein von mehreren Parteien getragen wird. Ich habe bisher nicht daran gedacht, aber vielleicht habe ich bei einer 17-prozentigen Beteiligung ein moralisches Recht, einen Aufsichtsrat bestellen zu dürfen. Jedenfalls hoffe ich, dass Karl Gernandt dabei bleibt.
Wo wir dabei sind: Wie fällt Ihre persönliche Bilanz der Ausgliederung aus nach drei Jahren?
Die Idee fand und finde ich gut. Man sollte den Profifußball vom Allroundverein trennen, ihm eine eigene Identität geben mit Leuten, die dort Verantwortung tragen. Richtig funktioniert hat es nicht. Was allerdings nicht an der Konstruktion von HSVPlus lag, sondern an unglücklichen Personalentscheidungen, auch im Aufsichtsrat. Man hat Dietmar Beiersdorfer keinen Gefallen getan, ihn zum Vorstandsvorsitzenden zu berufen. Das lag ihm nicht. Er ist ein sehr guter Sportdirektor gewesen, sympathisch und sehr engagiert. Aber er war in seiner Rolle überfordert. Das war einer der wesentlichen Gründe, warum es nicht funktioniert hat. Für mich war die Rivalität zwischen Beiersdorfer und Bruno Labbadia im vergangenen Sommer auch früh erkennbar. Ich hatte vorgeschlagen, kurzen Prozess zu machen.
Aber?
Man wollte nicht schon wieder einen neuen Trainer. Daran sehen Sie, dass ich keinen Einfluss habe. Erst hinterher ist mir bewusst geworden, wie sehr dieses Gezerre den Club gelähmt hat.
Wie ist der Vorstand jetzt aufgestellt?
Frank Wettstein ist ein guter Finanzchef, Jens Todt ist neu, muss sich bewähren. Heribert Bruchhagen ist wohl eine Übergangslösung, aber unter den gegebenen Umständen nach Beiersdorfer eine vernünftige Wahl. Er hat Ruhe in den Verein gebracht und es geschafft, das sportliche Elend gerade noch zu vermeiden. Der HSV befindet sich im Übergang.
Jetzt haben wir sehr viel über den HSV gesprochen. Wie sieht es denn mit Ihrer Liebe zum FC St. Pauli aus?
St. Pauli ist sehr originell, ich wünsche ihnen alles Gute. Aber Liebe? Nein.
Waren Sie jemals im Millerntor-Stadion bei einem Spiel des FC St. Pauli?
Zweimal. Aber ich habe mich schon als Kind, als ich die Spiele am Rothenbaum gesehen habe, für den etwas nobleren Verein entschieden, und dabei bleibt’s. Übrigens wollte auch Werder Bremen von mir gefördert werden.
Wie meinen Sie das?
Da mein Vater aus Bremen stammt und damit auch unsere Firma, wurde ich vor einigen Jahren ins Weserstadion eingeladen. Die dortigen Banken fragten mich: Wie können Sie nur den HSV unterstützen und nicht auch Werder? Denen habe ich gesagt: Sorry, aber ich bin Hamburger.
Und so wurde der HSV die teuerste Liebe Ihres Lebens.
Wenn Sie so wollen – ja.
Der nächste Teil der HSV-Serie „Schluss mit Abstiegskampf“ am Freitag:
Beiersdorfers zweites Aus