Hamburg. Am 34. Spieltag sichert sich der HSV durch einen 2:1-Sieg gegen Wolfsburg die Klasse. Jetzt plant der Club den großen Schnitt.
Am späten Sonntagabend war das Fußballwochenende für Markus Gisdol offiziell beendet. Im NDR-„Sportclub“ hatte der HSV-Trainer in aufgeräumter Art noch einmal zurückgeblickt auf die Ereignisse seines Clubs in den vergangenen acht Monaten. Auf eine Saison, die am Sonnabend um 17.17 Uhr im Volkspark mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Manuel Gräfe offiziell geendet hatte und der besiegelte, dass der HSV auch an der 55. Spielzeit der Fußball-Bundesliga als offizielles Mitglied teilnehmen darf.
Es war der Moment nach dem 2:1 (1:1)-Sieg gegen den VfL Wolfsburg, in dem der sonst so aufgeräumte und kontrollierte Markus Gisdol die Kontrolle aufgab. Er machte zunächst unkoordinierte Luftsprünge und lag dann begraben unter Co-Trainer Frank Fröhling und Sportchef Jens Todt auf dem Rasen der Arena. Nach einer ersten Bierdusche in den Katakomben stieg der klitschnasse Gisdol auf eine Empore und jubelte den Fans zu, die nach dem Spiel den Platz gestürmt hatten. Es waren filmreife Szenen, die den Eindruck vermittelten, als hätte der HSV die erste Meisterschaft seit 34 Jahren gewonnen.
Das Trainerteam feierte mit der Mannschaft auf St. Pauli
Tatsächlich hatte der HSV mal wieder nur den Klassenerhalt geschafft. Wie viel Energie insbesondere den Trainer das Erreichen dieses Ziels gekostet hatte, verdeutlichte eine Szene wenige Minuten nach den Jubelarien. Da stand Gisdol in der Buseinfahrt des Stadions bei seinen Kindern Louis und Lea sowie Ehefrau Sylvia. Alle lagen sich in den Armen. Und wer den HSV-Trainer in diesem Moment beobachtete, der konnte erahnen, wie sich Gisdol nach acht Monaten Abstiegskampf gefühlt hat.
Unabsteigbar: Der HSV feiert die Rettung
„Ich bin ausgepresst wie eine Zitrone“, sagte der 47-Jährige einige Minuten später im Presseraum. Die Stimme müde, die Augen glasig. „Ich bin leer“, sagte Gisdol. „Schlafen will ich heute trotzdem nicht.“ Und er tat es auch nicht. Nachdem er sich mit seinem Trainerteam, Sportchef Jens Todt und Clubchef Heribert Bruchhagen am Abend zunächst im Zwick am Mittelweg traf, feierten sie anschließend noch zusammen mit der Mannschaft um Siegtorschütze Luca Waldschmidt und einigen Promis wie Scooter im Gaga auf St. Pauli bis in den Morgen.
Wie geht es nach der erneuten Last-minute-Rettung weiter?
Doch schon am Sonntagnachmittag ging es beim HSV um die Fragen danach. Wie geht es mit den Hamburgern nach der erneuten Last-minute-Rettung weiter? „Sicherlich werden wir morgen damit beginnen, die Saison zu analysieren“, sagte Clubchef Heribert Bruchhagen am Vortag. „Wir werden über unsere positiven Eigenschaften sprechen wie die Willenskraft und den Spirit“, sagte Bruchhagen. „Aber auch die Dinge, die wir zu beklagen haben, kommen auf den Tisch.“
Kommentar: HSV steht vor Herausforderungen
Was Bruchhagen damit meinte, offenbarten die 94 Minuten gegen Wolfsburg in aller Deutlichkeit. Der HSV hatte es mit Kampf, Wille und Glück geschafft, die nötigen Punkte für den direkten Klassenerhalt zu sichern. Mit Fußball hatte die Partie gegen die Wölfe allerdings mal wieder sehr wenig zu tun. Nur sechs Torschüsse, nur zwei herausgespielte Torchancen, mangelhafter Spielaufbau, viele lange Bälle. Allein über die Zweikämpfe kam der HSV nach dem frühen 0:1 zurück ins Spiel.
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Es war ein körperlicher Kraftakt bis zur letzten Sekunde. Der HSV musste wie so häufig in der Rückrunde an und über die Grenze gehen, um erfolgreich zu sein und dem Druck standhalten zu können. „Noch so ein Jahr schaffe ich nicht. Damit muss jetzt Schluss sein“, sagte Gisdol, der sein Seelenleben nach dem Spiel so offen wie nie zuvor legte.
Der HSV-Trainer plant hinter den Kulissen den großen Schnitt
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch einmal so eine Saison durchmachen würde“, sagte Gisdol, der das Traineramt Ende September nach dem fünften Spieltag übernommen hatte und in den ersten sieben Spielen sieglos blieb. „Ich war da ein bisschen gutgläubig, das zu machen. Aber was man angefangen hat, sollte man durchziehen. Wir müssen kluge Schlüsse aus dieser Saison ziehen. Aber das ist nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen“, sagte er am Sonnabend.
Darüber nachgedacht hat Gisdol schon seit Wochen. Der HSV-Trainer plant hinter den Kulissen den großen Schnitt. Bislang wurden die Gespräche mit den Spielern über die Zukunft mit Verweis auf die ungewisse Ligazugehörigkeit auf die Zeit nach der Saison verschoben. Die Zeit hat seit Sonntag begonnen. Fast alle Spieler im Kader stehen auf dem Prüfstand. Gisdol will im Team ein neues Gewinnergen entwickeln. Und dafür will sich der HSV von einigen Spielern trennen, die seit Jahren nur Abstiegskampf erlebt haben.
Pierre-Michel Lasogga will der HSV unbedingt verkaufen
Die wichtigste Personalie, um die Gisdol eine neue Mannschaft aufbauen will, ist Kyriakos Papadopoulos. Der Grieche, der im Winter ausgeliehen wurde, gehört noch bis 2020 Bayer Leverkusen. Während man beim Werksclub offenbar nicht mehr auf Papadopoulos baut, will Gisdol den Innenverteidiger unbedingt fest verpflichten. „Ich würde gerne bleiben“, sagte Papadopoulos nach dem Sieg gegen Wolfsburg, bei dem er Nationalstürmer Mario Gomez aus dem Spiel genommen hatte.
Gisdol weiß zwar um das Risiko aufgrund der Verletzungsanfälligkeit des Abwehrspielers. Der Trainer weiß aber auch um die fehlenden Führungsspieler im Team. Für die sportliche Clubführung wird es daher die große Aufgabe des Sommers sein, den Kader ausgewogener zusammenzustellen, als das Ex-Clubchef Dietmar Beiersdorfer im vergangenen Sommer machte.
Pierre-Michel Lasogga will der HSV unbedingt verkaufen, auch Aaron Hunt, Albin Ekdal und Lewis Holtby würde der Club abgeben. Douglas Santos soll von seinen Beratern bereits bei anderen Clubs angeboten worden sein. René Adler und Matthias Ostrzolek, deren Verträge auslaufen, würde der HSV nur zu geringeren Bezügen behalten. Johan Djourou wird Hamburg nach vier Jahren verlassen. Der suspendierte Ex-Kapitän stand zurückgezogen im Innenraum des Stadions, während seine Noch-Kollegen in der Kabine die Rettung feierten.
Gisdol lüftet das Geheimnis seines Glücksbringers
Gisdol wird sich in dieser Woche mit Sportchef Jens Todt und Clubboss Heribert Bruchhagen zusammensetzen und den Fahrplan für den Sommer festlegen. Am Sonnabend wollte sich dazu noch keiner äußern. „Wir werden jetzt erst einmal richtig feiern, feiern, dann schlafen, schlafen – und dann besprechen wir irgendwann im Laufe der Woche, wie es weitergeht. Wir haben aber schon unseren Plan im Kopf“, sagte Todt.
Einig waren sich alle zu diesem Zeitpunkt nur über eines: Noch so ein Jahr darf und kann es nicht geben. Auch wenn Gisdol nicht müde wurde zu betonen, was der HSV in den vergangenen acht Monaten geleistet habe. „Nach dem zehnten Spieltag waren wir tot, erledigt, hatten nur zwei Punkte auf dem Konto. Wir wollten die Geschichtsbücher neu schreiben. Das haben wir geschafft“, sagte der entkräftete Coach.
Am Ende lüftete Gisdol dann noch ein Geheimnis. Ein kleiner Glücksbringer sei es gewesen, der ihn in der schweren Zeit begleitet habe. Eine Legofigur, die ihm sein Sohn Louis im Dezember vor dem Augsburg-Spiel geschenkt hatte. „Wenn ich sie in der Hosentasche hatte, haben wir nie verloren.“
Kommentar: HSV steht vor Herausforderungen
Gisdol sollte die Figur in der kommenden Saison noch häufiger bei sich haben, will der HSV irgendwann mal wieder über mehr jubeln als nur über den Nichtabstieg. „Es reicht jetzt langsam, den Klassenerhalt zu feiern“, sagte Nicolai Müller. Und noch einmal mit Nachdruck. „Mir reicht es definitiv.“