Hamburg. Der HSV bereitet sich in Rotenburg auf das Saisonfinale vor. Ein bewährtes Mittel, um die angeschlagene Psyche wiederaufzurichten.

Pause. Nach etwa 45 Minuten unterbrach Markus Gisdol das Training am Mittwoch und holte sich seine Profis zusammen. Ein Kreis, intensive Ansprache, alle hörten zu. Jedenfalls sah es so aus. Ein Vorgeschmack auf das, was die Spieler von diesem Donnerstag an bis Sonnabend in Rotenburg (Wümme) erwartet: viele Gespräche. Und etwas Fußball.

Nun ist es also wieder so weit. Mit einem Kurztrainingslager will der HSV vor den drei letzten Spielen der Saison 2016/17 den Abwärtstrend stoppen. „Wir wollen alles andere ausblenden“, begründete Sportchef Jens Todt die Maßnahme. Die Partie gegen den direkten Kontrahenten Mainz 05 am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) hat Endspielcharakter.

Klassenerhalts-Camps sind Klassiker

Dass es nun Rotenburg wurde, war zwar auch der Belegung der Sportschulen in Barsinghausen und Malente geschuldet, kann aber durchaus als gutes Omen gewertet werden. Vor zwei Jahren begann der damals neue Trainer Bruno Labbadia genau hier seine am Ende doch noch erfolgreiche „Mission impossible“ der HSV-Rettung.

Außerplanmäßige Trainingslager in schwieriger Zeit gehören zum Standardrepertoire der Trainer. Vor ziemlich genau 20 Jahren zog der HSV erstmals in ein Klassenerhalts-Camp ein. Interimscoach Ralf Schehr fuhr mit dem Team nach Schneverdingen, die Rettung glückte durch einen 2:1-Sieg gegen Borussia Dortmund, das sich mental und körperlich bereits auf das anstehende Champions-League-Finale vorbereitete.

Ähnlich lief es 2001 nach der Entlassung von Frank Pagelsdorf. Übergangstrainer Holger Hieronymus suchte die Idylle in einem bayerischen Kurort. Mit dem „Geist von Bad Gögging“ holte seine Mannschaft anschließend immerhin ein 0:0 in Nürnberg. Auch Klaus Toppmöller und Thomas Doll wählten in ihrer Zeit als HSV-Trainer die Maßnahme eines Krisencamps. Unter Toppmöller bereitete sich die Mannschaft im November 2003 in Niederkassel-Uckendorf auf das 1:0 beim 1. FC Köln vor.

„Es ist auf jeden Fall richtig, jetzt wieder in ein Trainingslager zu gehen“, sagt Toppmöller im Gespräch mit dem Abendblatt, „du hast viel mehr Zeit, dich mit der Mannschaft zu beschäftigen.“ Dabei meint der erfahrene Coach nicht in erster Linie die Arbeit auf dem Platz. „Da kann man nicht mehr viel machen, nur noch Feinarbeit. Es ist wichtig, das Team von der Psyche her wieder zusammenzubauen, einen engen Zusammenhalt herzustellen“, sagt er.

„Druck rausnehmen"

Holger Stanislawski sieht es ähnlich. „Wichtig ist, den Druck rauszunehmen. In Hamburg gibt es ja kein anderes Gesprächsthema mehr“, meint der ehemalige St.-Pauli-Trainer. „Du führst mehr Gespräche mit den Jungs, musst versuchen, sie aus dem Negativtal rauszuziehen. Eventuell auch abends beim Bier.“ Und auch „Stani“, der seinen Trainerlehrgang als Klassenbester abgeschlossen hat, ist der Meinung: „Man macht vielleicht noch ein bisschen Feinabstimmung auf den nächsten Gegner, aber eigentlich wissen die Jungs, was sie zu tun haben.“

Nur mit dem Können, dem Umsetzen ist es so eine Sache. „Ernst Happel hat gesagt: ,Fußball ist zu 80 Prozent Kopfsache‘“, sagt Stanislawski: „In einem Spiel öffnet sich für eine Sekunde ein Passfenster. Wenn der Kopf dann nicht mitspielt, ist das Fenster schon wieder zu.“

Matz ab nach Debakel gegen Augsburg:

Matz ab nach dem HSV-Debakel gegen Augsburg

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    Und die Spieler? Wie sehen die den spontanen Ausflug? „Musst du ja machen, das gehört zum Job“, erinnert sich der ehemalige HSV-Kapitän Sergej Barbarez: „Aber wahrscheinlich wollen einige Spieler lieber zu Hause bleiben, weil sie sich da besser verstecken können.“ Der Bosnier räumt aus seiner Erfahrung aber auch ein, „dass eine andere Umgebung helfen kann. Wenn du nicht jeden Morgen beim Bäcker über Fußball reden musst.“

    So sieht es auch Stanislawski, der ja auch als Spieler diese Situation kennt: „Entscheidend ist, dass die Spieler sich auch mit sich selbst beschäftigen, miteinander reden, zusammenfinden, das passiert sonst weniger.“

    Fans haben beim Training keinen Zutritt

    In Rotenburg hat Platzwart Thomas Wölfer den Rasen im Ahe-Stadion bereits einen Zentimeter kürzer gemäht als normalerweise, die Sicherheitsmaßnahmen sind abgesprochen. Donnerstagnachmittag wird einmal trainiert und auch am Freitag und Sonnabend je einmal. Wie in Hamburg haben die Fans an diesen Tagen aber keinen Zutritt. Am Sonnabend geht es zurück nach Hamburg.

    „Ob das Trainingslager die richtige Entscheidung ist“, sagt Sergej Barbarez, „das weißt du erst hinterher. Entscheidend ist nur der Sieg.“