Hamburg. Kaum ein Hamburger ist so sehr im Fokus wie Markus Gisdol. Doch wie der HSV-Trainer wirklich ist, weiß kaum jemand. Eine Annäherung.
Am Donnerstag war es wieder so weit: 13 Uhr, die Tür geht auf, HSV-Trainer Markus Gisdol kommt rein. Drei Schritte, eine Treppenstufe, hinsetzen. Mit der einen Hand nach der Wasserflasche greifen, mit der anderen Hand das Mikrofon richten. Spieltagspressekonferenz. Wer ist verletzt? Wie will man an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) den 1. FC Köln knacken? Meistens sind es die gleichen Fragen, oft sind es die gleichen Antworten: „Wir haben gut trainiert“, „Wir freuen uns“, „Unsere Fans werden uns helfen“.
21-mal saß Gisdol vor einer Partie auf dem gleichen Platz, 20-mal ließ sich Gisdol nach der Partie befragen. Das 41. Mal am Donnerstag ist oberflächlich betrachtet wie die 40 vorangegangenen Male. Und doch gibt es einen Unterschied: Gisdol lacht. Nicht einmal, nicht zweimal und auch nicht viele Male. Er lacht immer. Die ganze Zeit. Und als die Pressekonferenz nach 17 Minuten und elf Sekunden vorbei ist, lacht der Schwabe noch immer und fragt einen Schülerpraktikanten in der ersten Reihe: „Du hast ja gar keine Frage gestellt?“ Der 13 Jahre alte Bub lächelt schüchtern. „Nächstes Mal“, sagt Gisdol – und verschwindet durch die Seitentür.
Ein Klischee ärgert ihn besonders
Es gibt kaum ein Klischee, das Gisdol so ärgert wie das Vorurteil, dass der Fußballlehrer zum Lachen in den Keller gehe. Vermutlich deswegen, weil es einfach nicht stimmt – schon gar nicht im ersten Stock des Volksparkstadions. „Der Markus ist ein richtig lustiger Kerl. Er lacht viel und gerne, wenn er sich wohl fühlt“, sagt einer, der ihn gut kennt. Das Problem ist nur: kaum einer kennt diesen Markus wirklich gut.
„Markus Gisdol ist ein eher introvertierter Mensch, der nicht die große Bühne sucht“, sagt HSV-Sportchef Jens Todt. „Markus ist kein Umarmer. Er kennt die Spielregeln des Zirkus Profifußball, aber er muss nicht unbedingt im Rampenlicht der Manege stehen.“
Gisdol im Rampenlicht
Dabei steht kaum ein Hamburger derart im Rampenlicht wie Gisdol, der in der vergangenen Woche seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert hat. Bürgermeister Olaf Scholz natürlich. Und sonst? Udo Lindenberg? Uwe Seeler? Ina Müller? Man hat das Gefühl, dass man die Olafs, Udos, Uwes und Inas bestens kennt. Es sind nicht nur bekannte Gesichter, sondern Vertraute. Wie der nette Nachbar. Doch wie Gisdol wirklich tickt, weiß kaum jemand – auch nicht nach fast auf den Tag einem halben Jahr im Amt als HSV-Trainer.
„Markus braucht eine Weile, um Vertrauen aufzubauen“, sagt Todt. „Aber wenn er jemanden vertraut, dann vertraut er ihm auch ganz und gar.“ Und Todt und Gisdol vertrauen sich. „Bei uns hat es von Anfang an klick gemacht“, sagt Gisdol selbst.
Gisdol gerne in der Beobachterrolle
Für den Schwaben aus Geislingen an der Steige ist so ein schneller Klick-Moment ungewöhnlich. Gisdol ist ein Mensch, der sich zunächst alles ganz genau anschaut, ehe er sich eine Meinung bildet. Wie beim Training, wo er den Großteil der Einheiten seine vertrauten Assistenten Frank und Frank (Fröhling und Kaspari) leiten lässt und bevorzugt die Beobachterrolle übernimmt.
So war es auch Ende September, als der 47 Jahre alte Fußballlehrer Nachfolger vom beliebten, aber erfolglosen Bruno Labbadia wurde. Gisdol übernahm, beobachtet, überlegte, beobachtete, hinterfragte, beobachtete, zweifelte an und beobachtete. Bis Anfang November ging das so. Dann verloren die Hamburger 0:3 gegen Frankfurt, 0:3 in Köln und 2:5 gegen Dortmund. Beobachter Gisdol hatte genug gesehen – und schlug dazwischen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: neuer Kapitän, neuer Teammanager, neues Mannschaftsgefüge, neue Kabinenregeln. „Markus wollte die Zahl der Einflussnehmer auf die Mannschaft reduzieren“, sagt Todt. Während es früher normal war, dass auch mal Mitarbeiter aus dem Marketing im Kabinentrakt aufkreuzten, durfte ab sofort nur noch der „Inner Circle“ dabei sein.
HSV Pressekonferenz vor Spiel gegen FC Köln:
Dieser kleine Kreis ist Gisdol heilig. Doch der Grat zwischen drin und draußen kann schmal sein. Alen Halilovic war schnell draußen. Nicht, weil er in der Defensive zu wenig nach hinten arbeitete. Sondern, weil er Anordnungen aus dem Trainerteam wie ein kleiner Bengel missachtete. Auch Emir Spahic war bald draußen. Nicht, weil er mit seinen 36 Jahren nicht mehr der Schnellste ist. Sondern, weil er nicht förderlich für das Kabinenklima gewesen sein soll. Und Johan Djourou? Der kritisierte Gisdol offen wie kein anderer. Und durfte trotzdem bleiben. Weil er sich entschuldigte und trotz allem wichtig für den „Inner Circle“ bleibt.
Gisdol weiß, dass auch das Geschehen außerhalb dieses „Inner Circles“ zum großen Ganzen gehört. Doch es widerstrebt ihm. Das Kleingedruckte im Vertrag? Regelt Anwalt Stefan Seitz. Die Interview-Anfragen? Regelt Medienberater Holger Tromp. Der dürfte auch erkannt haben, dass Gisdol kaum etwas Privates preisgibt. Und an dieser Stelle muss das nächste Klischee folgen, das den zweifachen Familienvater fast genauso ärgern soll wie das Vorurteil des Im-Keller-Lachens. Der Unterschied: Das Klischee des Fußballlehrers, der nur extrem ungern über sein Leben außerhalb des Fußballs spricht, ist wohl wahr.
Er spricht ungern über sein Privatleben
Ganz selten springt Gisdol mal über seinen eigenen Schatten, um sich direkt wieder hinter selbigen zu verstecken. Er sei gerne in der Natur, sagte er kürzlich der „Welt am Sonntag“. Wo genau? „Verrate ich nicht.“ Beim wenig geliebten Small Talk mit Journalisten auf dem Hamburger Flughafen verriet er beim Thema Südafrika, dass er ja auch im Winter „in der Gegend“ gewesen sei. Ach wirklich? Und wo? Schweigen. Lächeln. Kein Lachen und keine Antwort.
Doch was für den „Inner Circle“ galt, gilt auch für den „Outer Circle“: die Zeit des Beobachtens ist vorbei. In Gesprächsrunden wirkt Gisdol nicht mehr so steif. Hamburg ist anders als Hoffenheim. Das hat Gisdol erkannt – und es gefällt ihm. Im Sommer wolle er seine Familie nach Hamburg nachholen, sagte er kürzlich. Ungefragt. Und der Mann, der nie über das Privatleben spricht, berichtete offen über die Familiendebatten zum bevorstehenden Umzug. Eine Schule für den Sohn müsse man suchen, erzählte Gisdol. Und lachte.
Die Familie kommt also bald. Gisdol ist bereits angekommen.
Bruchhagen vor dem Spiel gegen Köln: