Hamburg. Vereinstreue: Gabriele Haas arbeitet 30 Jahre für den Bundesliga-Club – als Assistentin der Vorsitzenden.

„Da muss ich erst meinen Chef fragen.“ Gabriele Haas klingt skeptisch, als die Anfrage kommt. Ein Interview mit einer Zeitung? Hat sie erfolgreich verhindern können, seit sie beim HSV angefangen hat. Also geht sie zu Heribert Bruchhagen. Als der heutige Vorstandschef 1992 in Hamburg als Manager anheuerte, hatte Haas schon ihr fünfjähriges Jubiläum hinter sich.

Drei Tage später sitzen wir in einer Loge des Stadions, wo ein bisschen Zigarettenqualm niemanden stört. „Der Heribert hat zu mir gesagt: Du machst das jetzt!“ Also fügt sie sich. Ausnahmsweise. Aber dazu später mehr.

HSV schnappte der Mopo Haas weg

Dass Haas beim HSV gelandet ist, war Zufall – oder Schicksal. Die Liebe ließ die gelernte Kauffrau aus dem rheinland-pfälzischen Lahnstein in den Norden ziehen, nach Munster in der Lüneburger Heide. Nach zehn Jahren im Büro eines Baumarkts in Soltau suchte die damals 30-Jährige eine Anstellung in Hamburg – und kaufte sich ein Abendblatt. „Die größten Anzeigen hatten die ,Hamburger Morgenpost‘ und der HSV geschaltet. Ich schrieb zwei Bewerbungen und dachte mir: Wer zuerst zusagt, bekommt den Zuschlag.“

Gesucht beim HSV wurde damals eine Assistentin für Generalsekretär Dr. Dirk Albrecht, und obwohl Haas freimütig beim Bewerbungsgespräch gestand, weder besonders viel vom Fußball zu verstehen noch sich sonderlich dafür zu interessieren, meldete sich Albrecht an einem Sonnabendmorgen bei ihr. Der Anruf der „Morgenpost“ kam eine Stunde zu spät.

Haas war beim HSV Mädchen für alles

Als Haas am 1. Juli 1987 zu ihrem ersten Arbeitstag erschien, lag der 3:1-Erfolg im DFB-Pokalfinale gegen die Stuttgarter Kickers gerade elf Tage zurück. Große Namen wie Uli Stein, Manfred Kaltz, Ditmar Jakobs oder Dietmar Beiersdorfer und Thomas von Heesen fanden sich im Siegerteam, Ernst Happel saß noch auf der Bank. Doch in der Geschäftsstelle an der Rothenbaumchaussee hinkte die Organisation mächtig hinter den sportlichen Großtaten hinterher. „Ich erinnere mich noch sehr gut an unser Wang-Computersystem. Wenn das ausfiel, musste einer runter in den Keller und einmal dagegentreten, damit das Ding wieder lief“, erzählt sie von den Anfängen.

Manche unfreiwillige Vorlage

Zur kleinen Geschäftsstellen-Crew gehörten 15 Mitarbeiter, eine Witzzahl im Vergleich zum heutigen Verwaltungsapparat mit den rund 200 Angestellten. Kein Wunder, dass Haas als Büroleiterin und spätere Chef-Assistentin in den Jahren so ziemlich alles abwickeln musste: Personalwesen, Protokolle von Sitzungen im Vorstand (später kam der Aufsichtsrat dazu), Anstellungsverträge, sämtliche Transfers, Urlaubs- und Krankheitsdatei, Firmenautos – sogar die Prämien für die Bundesligaprofis rechnete sie aus.

„Einmal, als Pressemappen vor der neuen Saison erstellt werden sollten, haben wir alle eine Nachtschicht eingelegt. Gegenüber im Supermarkt von Bernd Enge (früher Aufsichtsrat, die Red.) hat unsere Putzfrau Brötchen geholt und geschmiert. Irgendwo stand ein Becher, in den wir 50 Pfennig pro Brötchenhälfte reingeworfen haben.“ Familiär ging es damals zu, auch lustig, weil die Spieler so manch eine unfreiwillige Vorlage lieferten – wie der damalige HSV-Profi Michael Kostner, der auf einem Personalbogen beim Rufnamen seines Sohnes „Dicker“ eintrug. „Wieso, wir nennen ihn doch immer so“, entgegnete er auf Nachfrage.

Haas durchlebte alle HSV-Krisen

Man hielt zusammen und versuchte für jede noch so schwere Aufgabe eine Lösung zu finden. Allerdings nicht immer mit Erfolg. „Einmal rief Didi Beiersdorfer, damals noch Manager, an und bat mich, beim Flughafen anzurufen. Er käme etwas später an, der Flieger solle noch warten ...“ Die Chefs wussten ihren Erfahrungsschatz und ihr Wissen zu nutzen. „Unter Jürgen Hunke hatten meine Kollegin Renate und ich je eine halbe Stimme bei kniffligen Entscheidungen im Präsidium.“

13 Präsidenten und Vorstandsvorsitzende, angefangen bei Wolfgang Klein, hat Haas beim HSV kommen und gehen sehen. Sie hat alle Erfolge und Krisen hautnah erlebt. Würde sie ein Buch schreiben, müssten einige Herren wohl zittern – aber dafür ist sie viel zu loyal und diskret. Nur während der Ära von Bernd Hoffmann musste sie das Vorstandsvorzimmer räumen. „Ich habe mit allen gut zusammengearbeitet“, vermeidet Haas es, einen persönlichen Favoriten zu nennen. Manchmal brauchte es auch Anlaufzeit, wie bei Werner Hackmann („Mit dem hat es ein bisschen gerumst“).

Für Haas ist der Fußball eine Männerwelt

Was alle diese Menschen eint, die den Verein führen durften? Haas überlegt, spricht dann vom gewaltigen Druck, dem jeder Chef ausgesetzt ist, weil er sich in der Öffentlichkeit bewegt. Sie berichtet von der großen Nervosität der Vorstände vor Spielen. Dem Eingeschränktsein im Privaten, dem Engagement gerade von ehrenamtlichen Präsidenten, die zum Teil schon morgens um sieben Uhr am Schreibtisch saßen und Rechnungen kontrollierten.

Über die Jahre hat sie ein Gespür entwickelt, wann sie ihre Meinung besser für sich behält – „oder was ich sagen muss, um das herauszukriegen, was ich wissen will“. Und noch eine Regel: „Der Chef muss immer das Gefühl haben, dass er die Entscheidung getroffen hat.“ Sie lacht. Aber wer die klare Stimme dieser eher schmächtigen Frau hört, kann sich gut vorstellen, dass sie sich in dieser Kunst sehr gut versteht.

Mit Frauenfußball kann sie nichts anfangen

Fußball sei eine Männerwelt, sagt Haas, und das meint sie genau so. Mit Frauenfußball kann sie nichts anfangen. Und wie sieht es heute mit dem Interesse für Fußball aus? Komplett gedreht. „Nach einer Niederlage ist das Wochenende für mich verhagelt.“ Der Sport bestimmt ihr Leben – nur nicht nach Feierabend. „Wenn ich mit Freunden essen gehe, sage ich: Sorry, ich rede die ganze Woche über Fußball, ich habe jetzt Wochenende.“ Ganz schlimm seien die Relegationsspiele gewesen. „Das will ich auf keinen Fall noch mal erleben!“ Ihr Spiel, an das sie am liebsten zurückdenkt? „Das 4:4 gegen Juventus Turin in der Champions League. Das war WAHNSINN!“

Ab und zu hat sie mit ihrer Kollegin Jutta Harm, die Bruchhagen 1992 eingestellt hat und mit der sie in einem Büro sitzt, schon darüber sinniert, ob sie nicht noch mal den Arbeitgeber wechseln sollten. Aber nein, eine Alternative ist ernsthaft nicht denkbar, auch wenn heute alles beim HSV professioneller, aber im Vergleich zur Rothenbaumchaussee anonymer geworden ist. Schließlich würde sie eine Sache noch zu gerne miterleben: „Auf dem Rathausbalkon haben die Spieler leider nie gestanden.“ Eine Feier dieser Art hat sie ja 1987 um ein paar Tage verpasst.