Der Superstar stand in Hamburg, Madrid und London unter Vertrag. Jetzt spielt er beim FC Midtjylland. Ein Ortsbesuch.

Es dauert eine ganze Weile, nachdem man die Bundesstraße 18 verlassen hat, ehe die Dørslundvej zur Thomas-Poulsens-Allè wird und man schließlich das kleine Ortsschild Ikast passiert. Der Himmel ist grau, die wenigen Häuschen, an denen man vorbeikommt, sind rot. Es regnet. In den Vorgärten fliegen dänische Flaggen im starken Wind hin und her. Hier, wo selbst die Krähen umdrehen, wie ein lokales Sprichwort sagt, ist also die neue Heimat von Dänemarks größtem und teuerstem Fußballimport aller Zeiten.

„Willkommen im Nichts“, sagt Rafael van der Vaart, als das Vormittagstraining des FC Midtjylland vorbei ist. Der Niederländer, der die Mütze mit der Rückennummer acht tief ins Gesicht gezogen hat, grinst. „Das ist hier schon eine andere Welt, oder?“

Mit 17 Jahren Europas Talent des Jahres

Mit 17 Jahren wurde Rafael van der Vaart zu Europas Talent des Jahres gewählt. Der Mittelfeldmann mit dem linken Zauberfüßchen verzückte die Fans des HSV, bestieg den Fußballthron von Real Madrid und begeisterte die Anhänger von Tottenham Hotspur. Holland, Deutschland, Spanien, England. Und nun also Dänemark. Mit 34 Jahren. „Ich wollte einfach wieder Fußball spielen“, sagt er. „Fußball ist am Ende immer Fußball. Egal, wo man spielt.“

Die VDV-Karriere

Es ist bereits ein Dreivierteljahr her, als in dem 15.000-Einwohner-Städtchen Ikast erstmals das Gerücht die Runde machte, dass möglicherweise Rafael van der Vaart von Betis Sevilla in die dänische Provinz wechseln würde. „Es gab da plötzlich diese Möglichkeit, ihn zu holen – und die haben wir ergriffen“, sagt Jess Thorup. Der baumlange Trainer des Tabellendritten der Superliga steht noch immer auf dem regenaufgeweichten Kunstrasenplatz, nachdem sich van der Vaart und die anderen zum Duschen verabschiedet haben. „Diese Möglichkeit“, von der Thorup im fließenden Deutsch spricht, heißt Estavana Polman und ist seit gut einem Jahr van der Vaarts Freundin.

Für das Abendblatt
öffnete der FC Midtjylland
die Kabinentür
und zeigte Rafael
van der Vaarts
Platz. Sein Trikot
mit der Nummer
acht ist im Sonderangebot
für 350
Kronen (47 Euro) im
Fanshop zu haben
Für das Abendblatt öffnete der FC Midtjylland die Kabinentür und zeigte Rafael van der Vaarts Platz. Sein Trikot mit der Nummer acht ist im Sonderangebot für 350 Kronen (47 Euro) im Fanshop zu haben © HA | Roland Magunia

Polman, bildhübsch und gleichzeitig in ihrer Art ganz natürlich, ist Handballerin. Die niederländische Nationalspielerin spielt im nahe gelegenen Team Esbjerg und ist im fünften Monat schwanger. „Ein Mädchen“, verrät der wenig später frisch geduschte van der Vaart. „Man muss immer ein wenig aufpassen, was man öffentlich sagt“, sagt der baldige Doppel-Papa. „Aber natürlich war ein Hauptgrund für meinen Wechsel hierher, dass Estavana in Esbjerg spielt und wir von dort auch relativ schnell bei meinem Sohn Damian in Hamburg sind.“

Früher haben die großen Clubs des Weltfußballs um ihn geworben. Der FC Bayern hatte Interesse, der FC Valencia wollte ihn unbedingt und die Königlichen von Real Madrid natürlich sowieso. Diesmal war es umgekehrt. Diesmal musste van der Vaart um den Club werben.

„Das Leben hier gefällt mir“

„Die Leute konnten erst gar nicht glauben, dass es van der Vaart ernst meint“, sagt Martin Dons. Der junge Mann mit dem Sechs-Tage-Bart und der Strubbelfrisur koordiniert die Medientermine des FC Midtjylland. „Früher gab es gar nichts zu koordinieren. Doch als van der Vaart zu uns wechselte, gab es plötzlich einen echten Hype“, sagt er. Kamerateams aus Deutschland, England und den Niederlanden kamen vorbei. Und sie alle wollten mit eigenen Augen sehen, was zuvor kaum einer glauben konnte: den Weltstar in der Provinz.

„Das Leben hier gefällt mir“, sagt van der Vaart. Zwölf Spiele hat er in der Liga gemacht, keines über 90 Minuten. Doch allzu kritisch fragt „in the middle of nowhere“ auch niemand nach.

Fußball-Globetrotter van der Vaart

Nach dem Mittagessen, Fleischklopse mit Kartoffelsalat, macht es sich der Fußball-Globetrotter in der Lounge der Profis gemütlich. Es gibt einen Kicker, eine Spielecke für die Kinder und einen Fernseher, auf dem gerade die Wiederholung von Real Madrid gegen Neapel läuft. „Ich kann hier ganz normal über die Straße gehen, ohne dass 50 Fans mit mir ein Selfie machen wollen.“ Anders als in Deutschland, Spanien und England sind alle Trainingseinheiten für die Anhänger offen. Doch es kommen einfach keine Fans. „Natürlich habe ich die Aufmerksamkeit der Leute auch immer genossen. Aber nach all den Jahren genieße ich die Ruhe hier sehr.“

Mit Estavana wohnt van der Vaart in dem kleinen aber feinen Esbjerg an der Nordseeküste. „Ich bin da eher 'der Mann von‘ “, sagt van der Vaart, der natürlich untertreibt. Besonders bei den jüngeren Nachbarn ist der Fußballer ein gern gesehener Gast, seitdem es sich herumgesprochen hat, dass van der Vaart gerne mit seinem Sohn Damian und anderen Kids aus Esbjerg im Park kicken geht. „Esbjerg ist nicht Hamburg oder Madrid, aber es ist ein Okay-Örtchen“ sagt der Familienmensch, der jeden Tag die 90 Kilometer Landstraße zwischen Esbjerg und Ikast pendelt. „Mittlerweile kenne ich auch die Blitzer auf dem langen Weg sehr genau“, scherzt van der Vaart. „Die Dänen sind teuer.“

Verdienst auch in Dänemark siebenstellig

Arm wird van der Vaart aber auch im teuren Jütland nicht. Der 109-fache Nationalspieler, der in Hamburg ein Fixgehalt von drei Millionen Euro bezog, bekommt nun das dänische Rekordgehalt von rund acht Millionen Kronen, umgerechnet 1,1 Millionen Euro. Der FC Midtjylland muss davon allerdings lediglich 200.000 Euro bezahlen, den Rest teilen sich Sponsoren und van der Vaarts Ex-Club Betis Sevilla.

„Privat habe ich mich vorher sehr wohl in Sevilla gefühlt“, sagt van der Vaart. „Aber am Ende wollte ich nur noch weg.“ Der entscheidende Moment, als ihm klar wurde, dass es bei Betis kein Zurück mehr gab, passierte bei einem Auswärtsspiel in San Sebastian. „Wir waren mit 19 Mann zum Spiel gefahren“, berichtet van der Vaart. „Doch als ich in die Kabine kam, fehlte mein Trikot.“ Der Niederländer war aus dem Kader gestrichen worden, ohne dass ihm jemand Bescheid gesagt hatte. „Das war brutal – und auch sehr respektlos“, sagt van der Vaart. „Das sagt aber auch etwas über Menschen und über einen Verein aus. Es war einer der schlimmsten Momente meiner Karriere. Ich bin immer positiv. Aber in Sevilla wurde mir der Spaß genommen.“

Trainer: „Rafa ist ein Supertyp“

In Midtjylland hat er ihn wiedergefunden. Das Trikot mit der Rückennummer acht hängt auch an diesem verregneten Mittwoch auf einem Bügel in der Kabine der MCH Arena im nahe gelegenen Herning. Nur auf die 23 musste van der Vaart verzichten, weil die Rückennummer nach dem Karriereende von Midtjylland-Legende Frank Kristensen nicht mehr vergeben wird.

Doch auch diese Hürde war für van der Vaart nicht zu hoch. „Rafa ist ein Supertyp“, sagt Trainer Thorup, der einst in Uerdingen spielte. „Rafa will nur Fußball spielen. Er ist ein Weltstar, aber bei uns ist er ein ganz normaler Typ. Er will keine Sonderbehandlung.“

In Midtjylland gelten die Leute als eigen

In Midtjylland gelten die Leute als ein wenig eigen, gleichzeitig aber innovativ und vor allem als strebsam. Nur so konnte sich die eher karge Gegend zum Zentrum der dänischen Textilindustrie entwickeln. Auch die Unterhosen, für die Cristiano Ronaldo wirbt, sollen aus Midtjylland kommen. Früher saß van der Vaart in der Real-Kabine neben Ronaldo in Unterhosen, heute ist er direkt an der Quelle. Auch so kann man van der Vaarts Geschichte natürlich sehen.

„Natürlich fragen die jungen Spieler noch immer nach Ronaldo“, sagt van der Vaart, der zwischen den Trainingseinheiten sehr gern den Märchenonkel gibt. „Ich habe viel erlebt – und ich erzähle gern davon.“ Van der Vaart hat aufgegessen, schenkt sich einen Kaffee mit Sahne ein. „Für jeden jungen Dänen ist es das Ziel, nach Deutschland zu kommen. Ich bin aus Deutschland nach Dänemark gekommen.“

FC Midtjylland ist der etwas andere Club

Van der Vaarts etwas anderer Weg passte gut zum FC Midtjylland, dem etwas anderen Club. „Es stimmt, dass wir die Dinge oft ein wenig anders machen als andere Vereine“, sagt Trainer Thorup. „Wir probieren gern Neues aus.“

Völlig neu war zum Beispiel die Idee des englischen Clubbesitzers Matthew Benham, den Kader mithilfe von Computern und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zusammenzustellen. Das Magazin „11Freunde“ nannte den FC Midtjy­lland deshalb vor drei Jahren „das aufregendste Experiment des europäischen Fußballs“. Midtjyllands Vorbild: Das US-Baseballteam Oakland Athletics, das Spielstatistiken so radikal in die Planungen mit einbezog wie kein Team jemals zuvor und damit – genau wie der FC Midtjylland – große Erfolge feierte. Sogar Hollywood hatte aus dem Sportmärchen einen Film mit Brad Pitt in der Hauptrolle gemacht: „Moneyball“.

Eckentreten konnte er schon immer

„Wir versuchen noch immer den ,Moneyball‘-Ansatz zu verfolgen, wobei die Verpflichtung von Rafa nicht in das ,Moneyball‘-Konzept passt“, sagt Thorup. „Rafa ist kein ,Moneyball‘-Spieler. Er war einfach eine einmalige Chance.“

Die einmalige Chance hat seinen Kaffee ausgetrunken. Natürlich habe auch er den Hollywood-Streifen mit Brad Pitt gesehen. „Ein toller Film“, sagt van der Vaart. „Aber von diesem ganzen ,Moneyball‘-Konzept habe ich hier noch nicht so viel mitbekommen.“ So würden sie zwar mehr Standardsituationen als in Madrid oder Hamburg trainieren, um der Statistik einen Strich durch die Rechnung zu machen. „Am Ende ist aber eine gut getretene Ecke eben eine gut getretene Ecke“, sagt van der Vaart. Und Eckentreten, das kann er. Das konnte er schon immer.

Natürlich will er wissen, wie es in Hamburg läuft

Zum Schluss des Gesprächs hat van der Vaart selbst noch eine Frage: „Wie läuft es so in Hamburg?“, fragt er, obwohl er die Antwort natürlich kennt. Gerade erst kürzlich war der frühere HSV-Kapitän mit Klaus-Michael Kühnes rechter Hand Karl Gernandt beim Pokalspiel gegen Gladbach zu Gast. „Die erste Halbzeit hat mir gefallen“, sagt er.

Früher, als er noch beim HSV gespielt hat, da hat ihm Kühne nach guten oder schlechten Spielen schon mal direkt eine SMS geschickt. „Wir haben noch immer hier und da Kontakt“, sagt van der Vaart. „Ich habe bis heute nicht verstanden, warum Herr Kühne immer so kritisch gesehen wird. Der Typ ist mit Herz und Seele HSV- und Fußballfan.“

Er vermisst große Arenen

Das hat Kühne mit ihm selbst gemeinsam. „Als ich gegen Gladbach im Stadion war, da habe ich schon gemerkt, wie sehr ich es vermisse, in so große und voll besetzte Arenen einzulaufen.“ 53.249 Zuschauer waren beim Pokalspiel im Volkspark. Beim letzten Heimspiel im nahe gelegenen Herning kamen nicht mal 5000 Fans.

„Vor 50.000 Zuschauern ist man von ganz allein motiviert“, sagt van der Vaart. „Wenn man vor einer Handvoll Fans spielt, dann muss man den Fußball so sehr lieben, dass man auch dann noch motiviert ist.“

Vertrag läuft bis Sommer 2018

Noch ist er selbst bei 1200 Zuschauern motiviert. Doch dass das Karriereende naht, das weiß auch van der Vaart. Natürlich habe er sich schon ein paar Gedanken gemacht, aber noch nichts Spruchreifes. „Ich werde aber sicherlich im Fußball bleiben. Fußball ist das, was ich am besten kann.“

Sein Vertrag läuft bis Sommer 2018. Ob dann möglicherweise schon Schluss ist. Van der Vaart zuckt mit den Schultern. „Aufhören kann man immer“, sagt er, und steht auf. „Nur anfangen kann man dann nicht wieder. Ich will spielen, solange mich meine Füße tragen.“