Hamburg. Coach nimmt sich nach Streit zwischen Hunt und Gregoritsch in die Pflicht. Matthäus und andere Experten haben eine eindeutige Meinung.

Sein Mantra nach dem Spiel hatte Aaron Hunt zielsicherer gefunden als die freie Ecke beim Elfmeter. "Das nehme ich auf meine Kappe", wiederholte der Unglücksrabe in jedes Mikrofon, das ihm nach dem Schlusspfiff gegen Freiburg (2:2) unter die Nase gehalten wurde. Gemeint war natürlich die Szene aus der 88. Minute, in der Hunt zum späten Hamburger Helden des wie üblich als Bundesliga-Topspiel deklarierten Sonnabendabendspiels hätte werden können.

Fotobeweis: Gregoritsch und Hunt hatten beide je einen Ball unterm Arm
Fotobeweis: Gregoritsch und Hunt hatten beide je einen Ball unterm Arm © Imago/Oliver Ruhnke

Erst drehte sich der 30-Jährige an der Strafraumgrenze derart geschickt in Gegenspieler Marc Torrejon, dass Schiedsrichter Christian Dingert nach Hinweis seines Assistenten mit einiger Verzögerung auf den Punkt zeigte. Anschließend behauptete sich Hunt im Gerangel um die Ausführung des Strafstoßes gegen Michael Gregoritsch. "Michi wollte auch schießen, ich habe mich durchgesetzt“, beschrieb der Routinier die kuriose Situation, als plötzlich beide Spieler mit einem Ball unterm Arm im Strafraum aufkreuzten.

HSV spielt Unentschieden gegen Freiburg

Schneller Anschlusstreffer: Freiburgs Maximilian Philipp drescht das Leder aus 13 Metern ins linke Eck
Schneller Anschlusstreffer: Freiburgs Maximilian Philipp drescht das Leder aus 13 Metern ins linke Eck © dpa | Daniel Reinhardt
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Vorwurfsvoller Blick in Richtung Hunt

Gegen Freiburgs Schlussmann Alexander Schwolow blieb Hunt mit seinem halbherzigen Versuch dann allerdings zweiter Sieger. "Ich hatte mich sicher gefühlt, habe in der Bundesliga schon einige Elfmeter verwandelt. Der war schlecht heute, das muss ich mir ankreiden", sagte Hunt bei "Sky" über seinen erst dritten Fehlschuss im 13. Anlauf. Gregoritsch versuchte zwar noch, den Nachschuss reinzugrätschen, kam aber zu spät. Stattdessen richtete er einen kurzen vorwurfsvollen Blick in Richtung des ausführenden Kollegen.

Markus Gisdol indes wollte Hunt später keinen Vorwurf machen, ging dafür letztlich sogar auch mit sich selbst ins Gericht. "Das war vielleicht mein Fehler", sagte der HSV-Trainer zu den aus seiner Sicht unschönen Diskussionen vor dem Elfmeter. "Es tut der Mannschaft gut, wenn wir die Schützen klar durchnumerieren", meinte Gisdol, der sich zuvor offenbar zu sehr auf Bobby Wood verlassen hatte. "Er ist eigentlich als Schütze eingeteilt", sagte der Trainer. Da sich Wood jedoch kurz vor dem Anpfiff beim Aufwärmen verletzte, war die Hierarchie plötzlich wieder offen.

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Und so musste kurz vor dem Schlusspfiff eine schnelle Entscheidung her. Kapitän Gotoku Sakai lief deshalb extra zu Gisdol an die Seitenlinie. "Er hat mich nochmal gefragt: Michi oder Hunt? Und ich habe gesagt: Hunt", gab Gisdol zu Protokoll. Also eilte Sakai zu den Duellanten, überbrachte ihnen die Entscheidung und tätschelte dabei erst Gregoritsch und dann Hunt. Während Gregoritsch den überflüssig gewordenen Ball ins Toraus schoss, wandte sich Sakai dem 22-Jährigen noch einmal besorgt mit "Michi, Michi"-Rufen zu.

Gregoritschs unschönes Déjà-vu

"Micha hat es wohl auch so empfangen, dass er schießen könnte", sagte Gisdol, der bei der Ausführung durch Hunt schließlich vor lauter Aufregung den Kopf wegdrehte. "Ich gucke nie hin. Ich kann da nicht hingucken“, sagte der Coach am Sonntag. "Ich habe da einen Fehler. Es nervt mich selbst“, entschuldigte sich Gisdol für seine Elfmeter-Phobie.

"Ich bin Stürmer und wollte mir den Ball schnappen", sagte Gregoritsch selbst, der seinem erfahreneren Mitspieler aber zumindest öffentlich nichts vorwerfen wollte. "Hunt hat schon viele geschossen", sagte der Österreicher, der damit auch beim zweiten Hamburger Elfmeter in dieser Saison in die Röhre schauen musste.

Denn auch schon beim 2:1-Sieg gegen Schalke wollte Gregoritsch eigentlich schießen. Stattdessen trat Ex-Kapitän Johan Djourou an – und verschoss. Nach der erneuten Zurückweisung flüchtete sich Gregoritsch schließlich in einer wohl nicht ganz ernst gemeinten Trotrzreaktion: "Aller guten Dinge sind drei, den nächsten mache ich." Der neue Hamburger Abwehrchef nahm den Elfer-Streit derweil gelassen. "Ist doch ein gutes Zeichen, wenn zwei Leute schießen wollen", sagte Mergim Mavraj.

Matthäus & Co. geißeln Diskussion

Die Experten waren sich derweil einig, dass die Diskussionen Hunts Konzentration nicht gerade zuträglich waren. "Es gehen dir als Schütze ja viele Sachen durch den Kopf. Die Diskussionen stören einen", urteilte Lothar Matthäus bei "Sky". Auch sein Kollege Christoph Metzelder stufte das Gerangel als "unnötig" ein. "Ich kenne das so, dass vor dem Spiel eine klare Reihenfolge festgelegt wird", sagte der Ex-Profi. "Das muss schon früher in der Kabine festgelegt werden", befand auch Rodolfo Cardoso bei "Matz ab".

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Matz ab nach dem Remis gegen Freiburg

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    "Die Nerven spielen in so einer Phase eine ganz wichtige Rolle", sagte der früherer HSV-Profi. Dennoch sei die Art und Weise, wie Hunt den Elfmeter anging, "ein bisschen zu wenig" gewesen: "So, wie er geschossen hat, habe ich mich geärgert." Eigentlich sei Hunt "bombensicher", sagte Gisdol über den Schützen, "normalerweise macht er ihn rein". Durch die Blume wurde Hamburgs Coach schließlich auch von Lothar Matthäus kritisiert. "Als Trainer hätte ich vielleicht noch versucht, Einfluss zu nehmen von außen", sagte der Weltmeister von 1990, der im damaligen Finale von sich aus Andreas Brehme den Vortritt gelassen hatte.

    Er habe während seiner Karriere stets selbst bestimmt, wenn jemand anderes hätte schießen dürfen, verriet Matthäus. Dass beim HSV in der Elfmeter-Debatte nun eine Grundsatzentscheidung ansteht, gestand sich letztlich auch Markus Gisdol ein. "Man lernt schon dazu", sagte der Trainer, der mit dem vergebenen Strafstoß dennoch nicht lange hadern möchte. "Auch, wenn es schade ist, wenn man die Siegchance durch den Elfmeter hat, können wir mit dem Punkt auch mal leben." Bei Strafstößen für die eigene Mannschaft will Gisdol künftig übrigens mutiger sein. "Wahrscheinlich muss ich mal hingucken“, sagte der 47-Jährige am Sonntag.