Hamburg. 30 Jahre nach dem letzten Pokalsieg will der HSV heute das Unmögliche ein bisschen möglicher machen. Aber mit welchem Personal?

Der DFB-Pokal ist 52 Zentimeter hoch, 5,7 Kilogramm schwer, hat ein Fassungsvermögen von rund sieben Litern (egal ob mit Champagner oder Bier gefüllt) – und soll Gerüchten zufolge eine waschechte Hamburg-Abneigung haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass der HSV nun schon seit drei Dekaden nicht mehr den begehrten Wanderpokal, den 1964 der Kölner (ausgerechnet ein Kölner!) Wilhelm Nagel schuf, beheimaten konnte?

Tatsächlich jährt sich der Pokaltriumph des HSV gegen die Stuttgarter Kickers aus dem Jahr 1987 in diesem Sommer bereits zum 30. Mal. Und vor dem heutigen Achtelfinalspiel gegen den 1. FC Köln (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) fällt die HSV-Pokalbilanz seit dem letzten großen Titelgewinn mehr als dürftig aus: Dreimal war im Halbfinale Schluss (2009 gegen Bremen, 1997 gegen Stuttgart, 1988 gegen Bochum), dreimal im Viertelfinale (2014 gegen die Bayern, 2008 gegen Wolfsburg und 1989 gegen Werder) – und bescheidende 23-mal schied der HSV bereits im Achtelfinale (oder weitaus früher) aus. In England gibt es für Pokalsiege der Kleinen gegen die Großen den Begriff „Giantkiller“ – und der HSV ist ein ganz vorzügliches und sehr zuverlässiges Zwergenopfer.

Nur drei Spieler vom letzten Sieg übrig

Doch es gibt Hoffnung: Der 1. FC Köln war schon einmal im Pokal-Achtelfinale vor nicht allzu langer Zeit im Volkspark zu Gast – und verlor am Ende unglücklich mit 1:2. Auf Hamburger Seiten können sich allerdings nur Pierre-Michel Lasogga, Johan Djourou und René Adler an den Sieg vor drei Jahren erinnern, bei dem noch Bert van Marwijk als HSV-Trainer auf der Bank saß. Drei Jahre und fünf HSV-Trainer später ist es jetzt Markus Gisdol, der nun von Berlin zu träumen wagt. Und der Trainer weiß, wovon er träumt: 2011 gewann er als Schalke-Co-Trainer – gemeinsam mit Kyriakos Papadopoulos – den Pokal.

„Ein Pokalfinale ist außergewöhnlich. So ein Erlebnis vergisst man nie wieder in seinem Leben“, sagt Hamburgs Cheftrainer, der mit einem Erfolg gegen Köln nur noch zwei Siege von einer Rückkehr nach Berlin entfernt wäre: „Jede Anstrengung ist es wert, um einmal so ein Finale spielen zu dürfen.“

HSV-Trio kennt Finalgefühle

Neben Gisdol und Papadopoulos, der sich am Dienstag wieder fit meldete, wissen lediglich noch drei Hamburger, was es bedeutet, im Finale in Berlin zu stehen: René Adler, der 2009 das Endspiel mit Leverkusen 0:1 gegen Werder verlor. Gotoku Sakai, der 2013 mit Stuttgart 2:3 den Bayern unterlegen war. Und der zuletzt aussortierte Aaron Hunt, der als Ersatzspieler beim 3:1-Sieg des VfL Wolfsburg gegen Dortmund 2015 dabei war und diesmal sogar gute Chancen auf einen Einsatz in der Startelf haben soll.

Wie genau die Startelf an diesem Abend aussehen soll, bleibt aber vorerst Gisdols streng gehütetes Geheimnis. „Wir wollen unbedingt ins Viertelfinale einziehen“, sagt der Geheimniskrämer, der am Vortag des Achtelfinals nicht einmal seinen 18-Mann-Kader bekannt geben wollte. Nach dem Abschlusstraining, bei dem Lewis Holtby, Albin Ekdal und Nicolai Müller wegen muskulärer Problemchen fehlten, entschied sich Gisdol sogar dazu, den wahrscheinlich größten vorläufigen Kader aller Zeiten mit 22 (!) Profis zu benennen. Den endgültigen Kader will Gisdol erst nach einer sogenannten Aktivierungseinheit am Dienstagvormittag bekannt geben.

Überraschungen in der Startelf?

Auf die eine oder andere Überraschung – so viel scheint bei aller Geheimniskrämerei sicher zu sein – müssen sich die Gäste aus Köln definitiv einstellen. Der Pokal hat ja bekanntlich seine eigenen Gesetze, was als Erklärung ausreichen sollte, warum die zuletzt wenig, gar nicht oder noch gar nicht berücksichtigten Johan Djourou (in der Abwehr), Walace (im defensiven Mittelfeld), Hunt (im offensiven Mittelfeld), Finn Porath oder Luca Waldschmidt (auf dem rechten Flügel) nun von Beginn an auflaufen könnten. „Wir wollen natürlich das bestmögliche Team aufbieten“, sagt Pokalträumer Gisdol, der diese ziemlich allgemeine Floskel noch einmal zusätzlich floskelig umschreibt: „Wir brauchen Spieler, die uns zu 100 Prozent helfen können.“

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Neben Ruhm, Ehre und Wilhelm Nagels mit zwölf Turmalinen, zwölf Bergkristallen und achtzehn Nephriten dekorierter Wanderpokal geht es an diesem Dienstag vor allem um das liebe Geld. 1,265 Millionen Euro kassieren die acht Sieger der Achtelfinals, zudem noch einmal rund 800.000 Euro Zusatzeinnahmen – und die Aussicht auf ein großes Stück vom Kuchen im Halbfinale und ein ganz großes Stück im Endspiel.

Gisdol war schon einmal Giantkiller

Wer übrigens die auf dem ersten Blick unverfänglichen Stichwörter „Gisdol“, „DFB-Pokal“ und „HSV“ bei Google eingibt, der landet zwangsläufig bei einer echten „Giantkiller“-Geschichte: Der 1. September 1984, Geislingen, schwäbische Provinz. 0:2 verlor der große HSV gegen den kleinen SC Geislingen – und hinter der Auswechselbank vor der Tribüne mittendrin statt nur dabei: der damals 15 Jahre alte Markus. „An das Spiel kann ich mich noch sehr gut erinnern“, sagt der 47 Jahre alte Gisdol heute. „Das war eine Sensation.“

Und was die kleinen Geislinger damals im Großen schafften, will der große HSV heute im Kleinen nachmachen. Man wird doch noch träumen dürfen ...