Hamburg. Trotz des Lobs – die Meinungen über den neuen Hamburger Sportchef teilen sich. Wie sieht die bisherige Bilanz des 47-Jährigen aus?
Es wird noch einmal gemütlich für die Profis des HSV. Zumindest für einen kurzen Moment, wenn sich die Mannschaft an diesem Dienstagmorgen im Volkspark zum Frühstück trifft. Mit der Gemütlichkeit ist es dann aber auch schnell wieder vorbei. Direkt im Anschluss schickt Trainer Markus Gisdol das Team um den ersten Neuzugang, Verteidiger Mergim Mavraj, zum Laktattest, ehe die Vorbereitung nach der Winterpause so richtig beginnt.
Auf den zweiten Neuzugang, den Sportdirektor Jens Todt, müssen die HSV-Fans dagegen noch etwas warten. Der 46-Jährige soll noch in dieser Woche seinen Dienst bei seinem neuen Arbeitgeber antreten. Nach der Einigung mit dem Karlsruher SC, der Todt Ende November freigestellt hatte, war der Vertrag am Montagabend allerdings noch nicht final fixiert. Und so nutzt Todt die letzten freien Tage, um mit seiner Familie durch Asien zu reisen – bei 30 Grad in Singapur und Thailand.
Gebremste Begeisterung in der Fanszene
Am Donnerstag ist es dann auch für Todt vorbei mit der Gemütlichkeit, wenn er an seinem 47. Geburtstag direkt ins Trainingslager des HSV nach Dubai fliegt. Bis dahin will der neue Clubchef Heribert Bruchhagen den Transfer des neuen Sportchefs auch offiziell vollzogen haben. „Ich bin mir sicher, dass er gut zu mir und der Mannschaft passen wird“, ließ der Vorstandsvorsitzende am Montag bei NDR 90,3 ausrichten. Mit Gisdol, Bruchhagen und Todt ist die sportliche Führungstroika des HSV nach langer Suche nun komplett.
Die Begeisterung in der Fanszene fiel allerdings bescheiden aus, nachdem der bevorstehende Wechsel am Sonntag bekannt wurde. Dass der HSV einen Manager verpflichtet, der in den vergangenen dreieinhalb Jahren bei zwei Zweitligisten beurlaubt wurde, stößt nicht bei allen auf Verständnis. Über die Leistungen des Sportchefs Todt bei seinen bisherigen Stationen, dem VfL Bochum und dem Karlsruher SC, gehen die Meinungen auseinander.
Kauczinski lobt Todts Weitsicht und Netz
Mit welchem Profil der Europameister von 1996 zum HSV kommt, zeigt ein Blick in seine Transferbilanz. Todt gilt als seriös wirtschaftender Manager, der immer in den finanziellen Möglichkeiten seiner Clubs gehandelt hat. In zehn Transferperioden erzielte Todt ein Transferplus von 12,925 Millionen Euro. Während die Verantwortlichen in Bochum nicht immer zufrieden waren mit Todts Einkaufspolitik und ihn im April 2013 nach nicht einmal zwei Jahren gemeinsam mit Trainer Karsten Neitzel entließen, wird sein Wirken beim KSC deutlich positiver bewertet.
An der Seite von Trainer Markus Kauczinski formte Todt ab 2013 aus dem Aufsteiger eine Mannschaft, die zwei Jahre später nur um wenige Sekunden den Relegationssieg gegen den HSV verpasste. Ein Jahr später ging Kauczinski nach Ingolstadt – es war auch für Todt das vorläufige Ende in Karlsruhe, nachdem sein enger Vertrauter weg war. „Die Zusammenarbeit mit Jens war perfekt“, sagte Kauczinski am Montag im Gespräch mit dem Abendblatt. „Er ist zuverlässig, weitsichtig, hat immer einen Plan und verfügt über ein großes Netzwerk.“ Kauczinski lobt zudem die menschliche Seite des Hamburger Neuzugangs. „Er war immer sehr nah an der Mannschaft. Für mich als Trainer war er ein angenehmer Gesprächspartner, der auch über den Tellerrand schaut.“
Todt steht erstmals Geld zur Verfügung
Kauczinski meint damit auch die Aktivitäten des Managers auf dem asiatischen Transfermarkt. Nachdem Todt 2009 als Nachwuchschef des HSV zurücktrat, reiste er häufig nach Japan, um dort den Fußball zu beobachten und sich ein Netzwerk aufzubauen. Sowohl in Bochum als auch in Karlsruhe profitierte er davon. Zum VfL holte er 2011 Takashi Inui für 500.000 Euro aus Osaka. Ein Jahr später verkaufte er den Japaner für die dreifache Summe nach Frankfurt. Zum KSC lotste er 2014 den japanischen Spielmacher Hiroki Yamada für schlanke 400.000 Euro.
In höheren Größenordnungen konnte sich Todt in der Zweiten Liga nur ganz selten bewegen. Beim HSV wird sich das ändern. In der Theorie hat der Club aktuell zwar rund 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten und müsste dringend sparen. In der Praxis hat der Club an seiner Seite Investor Klaus-Michael Kühne, der dem HSV helfen würde, zwei weitere Defensivspieler zu finanzieren, um die Liga zu halten.
Berühmte Worte nach der Relegation
Kauczinski traut Todt zu, im komplexen HSV-System die richtigen Entscheidungen zu treffen. „Natürlich ist Hamburg eine andere Hausnummer, aber Jens weiß, wie der Hase läuft. Der HSV hat eine sehr gute Wahl getroffen.“ Wer mit Kauczinski über Todt spricht, der merkt schnell, dass die gemeinsamen Erfolge und die Erlebnisse in der Relegation die beiden zusammengeschweißt haben. „Obwohl der HSV letztlich die Klasse gehalten hat, war das eine geile Zeit“, sagt Kauczinski.
Todt sagte damals nach dem umstrittenen Freistoßpfiff vor dem 1:1 und der Niederlage nach Verlängerung die oft zitierten Worte: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.“ Nun soll ausgerechnet Todt dazu beitragen, dass dem HSV der Klassenerhalt auch ohne Relegation gelingt.