Hamburg. Der erstarkte Angreifer setzt auf die Hilfe der Psychologie – und spricht über Aktionen von Fans, die Profis ins Lächerliche ziehen.
Die Emotionen kochten für einen kurzen Moment hoch. Nicolai Müller und Aaron Hunt gerieten im Training des HSV am Mittwoch aneinander. Ein Zweikampf, ein Wortgefecht. Und schließlich die Versöhnung. Positive Worte. Positive Energie. Nach vorne gucken. „Wir helfen uns gegenseitig. Wir müssen jetzt zusammen positiv denken“, sagte Müller eine Stunde nach dem Streit. Auch wenn ihm die Sichtweise nicht leichtfällt. Kein Club hat in den vergangenen Wochen und Monaten mehr Negatives produziert als der HSV.
Mit der Frage, wie der Tabellenletzte mit Krisen auf allen Ebenen überhaupt noch zu retten ist, wollen sich die Spieler nicht beschäftigen. Ihr Ansatz: den Glauben in die eigene Stärke fördern. Dafür hat Trainer Markus Gisdol vor drei Wochen den Sportpsychologen Christian Spreckels in sein Team geholt. Der Mentalcoach von Deepvelop, einem Institut für Sport und Psychologie aus Hamburg, soll die Spieler stärken. Die Idee von Deepvelop: Fühlt der Mensch sich wohl, ist er im Einklang und motiviert, gute Leistungen zu zeigen.
Effenbergs HSV-Analyse (ab 6:10 Minuten)
Bei Nicolai Müller hat die Methode zuletzt bereits gefruchtet. Bei der 2:5-Niederlage gegen Dortmund schoss der Rechtsaußen beide Tore. Daran hatte auch Mentaltrainer Spreckels seinen Anteil. „Wir haben jetzt ein paarmal mit ihm gearbeitet, und das ist gut“, sagte Müller. Wenn er spricht, spürt man den Einfluss des Sportpsychologen. „Ich bin von uns überzeugt“, sagt der HSV-Profi. „Wir schaffen das.“ Oder auch: „Ich glaube an uns.“ Kurze, positiv konnotierte Sätze. Szenarien, der HSV werde ins Bodenlose abstürzen, schiebt Müller von sich. „Wovor soll ich Angst haben? Schlimmer als jetzt kann es nicht werden. Ich habe keine Angst.“
Rückhalt der Fans zurückgewinnen
Müller ist so etwas wie das Sinnbild für die Entwicklung des HSV. Vor zwei Jahren kam er für vier Millionen Euro aus Mainz. Als es für ihn zunächst nicht lief, lief auch beim HSV nichts. Erst mit seinem entscheidenden Relegationstor von Karlsruhe drehte sich sein Selbstvertrauen. Seine neun Tore und fünf Vorlagen sorgten in der vergangenen Saison dafür, dass der HSV ein vergleichsweise ruhiges Jahr erlebte. In dieser Spielzeit steckte Müller im Formtief – genau wie der HSV. Mit seinen Toren gegen den BVB schaffte er seine persönliche Wende. Nun ist Müller die Hoffnung eines ganzen Vereins.
Doch auch die Reaktion auf diese Zuschreibung zeigt, dass Müller sich mit Psychologie beschäftigt hat. „Es geht nicht um Hoffnung“, sagt der 29-Jährige, „es geht um den Glauben an uns.“ Und Müller glaubt an den ersten Sieg der Saison am Sonntag ausgerechnet bei den ungeschlagenen Hoffenheimern. „Wenn wir unser Spiel über 90 Minuten durchdrücken, dann bin ich mir sicher, dass wir das Spiel gewinnen.“
Hoffnung hat Müller, dass seine Mannschaft den Rückhalt der Fans zurückgewinnt. Zuletzt wurde der HSV gegen Dortmund von den Fans mit Häme begleitet. „Es ist schade, wenn es ins Lächerliche geht. Das ist für einen Spieler nicht angenehm“, sagt Müller. Als Psychologie-Schüler weiß er aber auch mit dieser Situation richtig umzugehen. „Das ist vergessen. Wir versuchen das Gute zu sehen. Es sind noch sehr viele Punkte zu holen.“ Die Hoffnung stirbt eben auch bei Müller zuletzt.