Mönchengladbach. Dank seines Torwarts, der Moral und dem „Fußballgott“ erkämpft der HSV zu zehnt ein 0:0 in Gladbach. Ärger um Schiedsrichter Stark.

Für einen kurzfristigen Termin beim Standesamt Altona an diesem Montag war der HSV dann doch etwas zu spät dran. Markus Gisdol, 47 Jahre alt und bereits verheiratet, hatte am Sonntag eine spontane Idee. „Wir werden überlegen, ob wir jetzt jeden Montag einen Termin für ihn ansetzen“, sagte der HSV-Trainer am Tag nach dem 0:0 bei Borussia Mönchengladbach im Spaß. Gisdol sprach über René Adler. Der Hamburger Torwart hatte am vergangenen Montag in Altona seine Freundin Lilli Hollunder geheiratet. Fünf Tage später erlebte der Bräutigam nun auch das Glück im Spiel. Mit mehreren Paraden rettete Adler seiner Mannschaft nach fünf Niederlagen in Folge wieder einen Punkt.

Glück war wohl das passendste und meistverwendete Wort der Hamburger nach einem kuriosen Spiel im Borussia-Park. „In der Endphase hatten wir das nötige Glück“, sagte Trainer Gisdol. „Natürlich hatten wir ein Quäntchen Glück mit den Elfmetern“, sagte Stürmer Pierre-Michel Lasogga. Und Mittelfeldmann Lewis Holtby meinte: „Das Glück haben wir uns erzwungen heute.“

Das sagte Gisdol am Sonntag:

Ganz schön viel Glück für einen Nachmittag, der so bieder begonnen hatte. 25 Minuten lang neutralisierten sich der Champions-League-Teilnehmer Gladbach und der Tabellenletzte HSV in einem schwachen Fußballspiel. Dann ging es ganz schnell. Ein Stockfehler von Holtby, ein Zweikampf zwischen Cléber und Gladbach-Kapitän Lars Stindl, ein Sturz. Schiedsrichter Wolfgang Stark pfiff Elfmeter und zeigte Cléber Rot für die Notbremse. Eine strittige Entscheidung. Der HSV-Verteidiger berührte Stindl zunächst vor dem Strafraum. Dass Stark zudem Rot zeigte, liegt an der neuen Regelauslegung. Die Dreifachbestrafung aus Elfmeter, Rot und Sperre ist seit dieser Saison eigentlich abgeschafft. Allerdings nur dann, wenn die Aktion beim Foul dem Ball gilt.

65-minütiger Kampf in Unterzahl

Stark interpretierte die Szene anders, was Gisdol dazu veranlasste, die Auslegungsregelung zu hinterfragen. „Ich verstehe nicht, warum man das nicht klarer machen kann. Die Regel ist abgeschafft, und doch gibt es Hintertürchen.“ Cléber droht nun für sein harmloses Einsteigen eine Sperre von mindestens einem Spiel. „Das hat ihn getroffen. Wir müssen ihn jetzt wieder aufbauen“, sagte Gisdol.

Folgen hatte die Szene für den HSV zunächst nicht. André Hahn scheiterte mit seinem Elfmeter am glänzend parierenden Adler. Allerdings spielte der HSV fortan in Unterzahl. Weil Kapitän Johan Djourou noch zwei Wochen ausfällt, musste Mittelfeldspieler Albin Ekdal die Position in der Innenverteidigung übernehmen. Für die Hamburger begann ein 65-minütiger Kampf in Unterzahl gegen eine nun dominant, aber ideenlos auftretende Borussia. Und so war es erneut Schiedsrichter Stark, der in den Mittelpunkt der Ereignisse rückte. Als der eingewechselte Ibrahima Traoré in den Strafraum dribbelte und nach einem Kontakt mit HSV-Verteidiger Douglas Santos zu Boden fiel, pfiff Stark erneut Elfmeter (61.). Eine Fehlentscheidung. Diesmal trat Stindl an, doch auch er scheiterte, traf nur die Latte. „Da wusste ich, dass der Fußballgott heute auf unserer Seite ist“, sagte Holtby.

Die Bilder des HSV-Spiels:

HSV-Drama in Gladbach endet positiv

René Adler, du bist ein Teufelskerl! Der Torhüter bewahrte den HSV in der 27. Minute mit einem gehaltenen Elfmeter vor dem Rückstand
René Adler, du bist ein Teufelskerl! Der Torhüter bewahrte den HSV in der 27. Minute mit einem gehaltenen Elfmeter vor dem Rückstand © WITTERS | UweSpeck
Allerdings schoss André Hahn auch nicht sonderlich platziert
Allerdings schoss André Hahn auch nicht sonderlich platziert © Imago/Jan Hübner
Allerdings musste Cléber für seine Notbremse gegen Lars Stindl mit glatt Rot vom Platz
Allerdings musste Cléber für seine Notbremse gegen Lars Stindl mit glatt Rot vom Platz © Bongarts/Getty Images | Dean Mouhtaropoulos
Schiedsrichter Wolfgang Stark kannte für die Attacke an der Strafraumgrenze keine Gnade
Schiedsrichter Wolfgang Stark kannte für die Attacke an der Strafraumgrenze keine Gnade © Bongarts/Getty Images | Dean Mouhtaropoulos
Für den Brasilianer war es die erste Rote Karte nach einer Ampelkarte in seiner Premierensaison
Für den Brasilianer war es die erste Rote Karte nach einer Ampelkarte in seiner Premierensaison © WITTERS | UweSpeck
Später gab es das Duell Adler gegen Hahn noch einmal
Später gab es das Duell Adler gegen Hahn noch einmal © WITTERS | UweSpeck
Obwohl schon wegen Abseits abgepfiffen war, leistete sich der Keeper einen Kung-Fu-Tritt gegen den früheren Hamburger Nachwuchsspieler
Obwohl schon wegen Abseits abgepfiffen war, leistete sich der Keeper einen Kung-Fu-Tritt gegen den früheren Hamburger Nachwuchsspieler © WITTERS | UweSpeck
Hahn blutete aus der Nase, doch Adler kam ohne Verwarnung davon
Hahn blutete aus der Nase, doch Adler kam ohne Verwarnung davon © Jan Huebner | Huebner/Blatterspiel
Auch sonst war Kampf Trumpf im Borussia-Park
Auch sonst war Kampf Trumpf im Borussia-Park © imago/Kolvenbach | imago sportfotodienst
Dazu gehörte auch diese Kopfballduell zwischen Patrick Herrmann und Douglas Santos
Dazu gehörte auch diese Kopfballduell zwischen Patrick Herrmann und Douglas Santos © Bongarts/Getty Images | Dean Mouhtaropoulos
Auch Emir Spahic traf es zum Teil hart
Auch Emir Spahic traf es zum Teil hart © WITTERS | UweSpeck
In der zweiten Halbzeit pfiff Stark erneut Elfmeter, diesmal hämmerte Stindl den Ball an die Unterkante der Latte
In der zweiten Halbzeit pfiff Stark erneut Elfmeter, diesmal hämmerte Stindl den Ball an die Unterkante der Latte © WITTERS | UweSpeck
Für seine Entscheidung musste Stark Proteste der HSV-Profis hinnehmen
Für seine Entscheidung musste Stark Proteste der HSV-Profis hinnehmen © Bongarts/Getty Images | Dean Mouhtaropoulos
Am Ende konnten sich Adler, Spahic & Co. über einen wichtigen Punkt in Unterzahl freuen
Am Ende konnten sich Adler, Spahic & Co. über einen wichtigen Punkt in Unterzahl freuen © dpa | Maja Hitij
HSV-Trainer Markus Gisdol schickte in Pierre-Michel Lasogga nur einen Stürmer in die Startelf
HSV-Trainer Markus Gisdol schickte in Pierre-Michel Lasogga nur einen Stürmer in die Startelf © imago/Revierfoto | imago sportfotodienst
Cléber stand schon bei der ersten Chance für Gladbach im Mittelpunkt, als er Hahn foulte
Cléber stand schon bei der ersten Chance für Gladbach im Mittelpunkt, als er Hahn foulte © Imago/Jan Huebner
Dennoch konnte der VfL-Angreifer den Ball noch über Adler heben, allerdings auch neben das Tor
Dennoch konnte der VfL-Angreifer den Ball noch über Adler heben, allerdings auch neben das Tor © Imago/Jan Huebner
Der eine war schon mal in Hamburg, der andere ist gerade erst angekommen: Der ehemalige St.-Pauli-Trainer André Schubert (l.) begrüßt seinen Kollegen Markus Gisdol
Der eine war schon mal in Hamburg, der andere ist gerade erst angekommen: Der ehemalige St.-Pauli-Trainer André Schubert (l.) begrüßt seinen Kollegen Markus Gisdol © WITTERS | UweSpeck
Vor dem Spiel grüßte Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer die rund 5000 mitgereisten Anhänger und sprach noch einmal über sein Vorhaben, einen neuen Sportdirektor zu sichten
Vor dem Spiel grüßte Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer die rund 5000 mitgereisten Anhänger und sprach noch einmal über sein Vorhaben, einen neuen Sportdirektor zu sichten © WITTERS | UweSpeck
Für Optimist Gisdol war es in seinem zweiten Spiel für den HSV gleich die zweite Auswärtshürde
Für Optimist Gisdol war es in seinem zweiten Spiel für den HSV gleich die zweite Auswärtshürde © WITTERS | UweSpeck
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In der Tat nahm der HSV noch mehrfach die Hilfe höherer Mächte in Anspruch. Adler parierte erneut gegen Stindl (76.), Oscar Wendt traf den Innenpfosten, Stindl verfehlte das leere Tor (90.), Nico Elvedi vergab völlig freistehend (90.+5). Am Ende ermauerte sich der HSV einen Punkt, mit dem er zumindest mal den letzten Tabellenplatz verlassen hat. „Das ist ein positives Gefühl, das bleibt“, sagte Gisdol. „Die Energie aus dem Spiel nehmen wir mit in die neue Woche rein.“

Saisonverlauf erinnert an 2014/15

Für den HSV war es der erste Punktgewinn seit Ende August, dem 1:1 am ersten Spieltag gegen Ingolstadt. „Für unsere Moral war das heute sehr wichtig“, sagte der glücklose Lasogga, der als alleinige Spitze vor allem defensiv gefragt war. „Man hat sich heute komplett in den Dienst der Mannschaft gestellt. Das war eine super Teamleistung“, sagte der Stürmer. Auch Holtby jubelte über das 0:0. „Es war schön zu sehen, dass jeder für den anderen läuft. Das macht ein Team aus.“ Clubchef Dietmar Beiersdorfer lobte hinterher das taktische und kämpferische Verhalten nach dem Platzverweis. „Das ist die Grundlage, um mal wieder Spiele zu gewinnen“, sagte Beiersdorfer.

Eine weitere Grundlage für den ersten Saisonsieg wäre ein Tor. Selten war der HSV davon weiter entfernt als in Mönchengladbach. Trainer Gisdol will von einem Sturmtief dennoch nichts wissen. „Wenn wir elf gegen elf gespielt hätten, hätten wir gestern schon getroffen.“ Auch Holtby glaubt an ein Ende der nun schon fünf Spiele andauernden Torflaute. „Es muss nur einmal bum machen, dann ist der Knoten geplatzt.“

Die Höhepunkte des Spiels

2. Minute

Erster gefährlicher Vorstoß der Borussia: Hahn lupft den Ball über den herausgeeilten Adler hinweg ins Toraus, bekommt aber noch einen Freistoß. Denn Cléber hatte den Gladbacher zu hart attackiert.

3. Minute

Den anschließenden Freistoß setzt Wendt von der Strafraumgrenze hoch rechts am Tor vorbei.

11. Minute

Erster Eckball für den HSV, doch nach der Hereingabe durch Kostic von links pfeift Schiedsrichter Stark Stürmerfoul.

17. Minute

Auch die zweite Ecke durch Kostic muss bis dato schon als offensiver Höhepunkt der Gäste bezeichnet werden.

25. Minute

Rot für Cléber und Elfmeter gegen den HSV! Dahoud schickt Stindl in den Straufraum, der Borusse nimmt den Kontakt mit Cléber dankend an und fällt. Stark zeigt auf den Elfmeterpunkt und dem HSV-Abwehrspieler die Rote Karte.

27. Minute

Adler hält!! Hahn schnappt sich den Ball und schießt mit rechts, doch der HSV-Keeper kann den halbhohen Schuss des ehemaligen Hamburger Nachwuchsspielers nach rechts wegfausten.

45. Minute

Kurz vor dem Pausenpfiff wird es noch einmal hitzig: Zuerst hat Adler Glück, dass er für einen Wiese-ähnlichen Kunf-Fu-Tritt gegen Hahn ohne Verwarnung bleibt. Anschließend kassiert Stindl die Gelbe Karte für einen Ellbogencheck gegen Spahic.

58. Minute

Nach einer knappen Stunde erst der zweite Schuss auf Adlers Kasten, doch Stindl zielt im Sechzehner genau in die Arme des HSV-Kapitäns

60. Minute

Der zweite Elfmeter gegen den HSV! Traore kommt im Laufduell mit Douglas Santos zu Fall, Stark zeigt schon wieder auf den Punkt. Doch diesmal roch der Faller schon eher nach Schwalbe.

61. Minute

Stindl verschießt!! Unglaublich, diesmal rettet die Latte für den HSV. Stindl jagt den Ball mittig an die Unterkante, Adler wäre geschlagen gewesen.

77. Minute

Adler wird zum großen Rückhalt, diesmal pariert er famos gegen einen strammen Schuss von Johnson

90. Minute

Jetzt rettet der Pfosten, der einen Distanzschuss von Wendt allerdings genau zu Stindl abprallen lässt. Doch der Gladbacher Spielführer kann den Ball nicht kontrollieren.

90. Minute + 5

Um ein Haar doch noch die bittere Niederlage, doch Elvedi verstolpert die letzte Chance der "Fohlen" in der Nachspielzeit.

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In Gladbach machte es nur vor dem eigenen Tor bum. Und bei jedem Bum stand Torwart Adler im Weg. „Ich weiß nicht, ob er heute seinen Ehering anhatte“, fragte sich Holtby. Adlers Antwort: „Nein, der ist zu dick.“ Gute Laune hatten die Hamburger nach dem Punktgewinn. Wohl wissend, dass sie für dieses Pünktchen Hoffnung eine Menge Glück benötigten. Und weiterhin brauchen werden, um aus dem Tabellenkeller rauszukommen.

Bereits jetzt erinnert der Saisonverlauf mit dem frühen Trainerwechsel und der Minuszahl an Toren an die Saison 2014/15. Das Ende ist hinlänglich bekannt. Relegation. Karlsruhe. Der Freistoß. Die Rettung. Der Moment, als Sky-Kommentator Martin Groß erkannte: „Der Fußballgott ist eine Rothose.“