Hamburg. Erstmals liegen der FC St. Pauli und der HSV parallel auf dem letzten Platz. Mit der Krise gehen beide unterschiedlich um.

Gerade einmal 5,5 Kilometer Luftlinie trennen den Hamburger Volkspark von der Kollaustraße in Niendorf. Zwei Orte, die man verbindet mit den erfolgreichsten Fußballclubs der Stadt. Die Heimat des HSV auf der einen Seite, das Trainingszentrum des FC St. Pauli auf der anderen. Zwei Vereine, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und doch gab es am Dienstagmorgen um 10 Uhr an beiden Orten eine Gemeinsamkeit zu beobachten: das Training des Tabellenletzten.

Zum ersten Mal in der Geschichte stehen die beiden Hamburger Clubs in der Bundesliga und der Zweiten Liga zeitgleich auf Platz 18. Am Ende. Letzter. Ein Tabellenplatz, der für beide Clubs nicht neu ist. Den beide zu diesem Zeitpunkt aber nicht erwartet hätten. Doch für den es auf beiden Seiten erklärbare Gründe gibt. Während die Analyse der Situationen deutliche Unterschiede aufweist, ist der Wortlaut in der Krise derselbe: „Wir schaffen das.“

Der Umgang: Nach dem Trainerwechsel von Bruno Labbadia zu Markus Gisdol wollte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer noch nicht vom Abstiegskampf sprechen. Auch nach dem Sturz auf den letzten Platz vermeidet Beiersdorfer das A-Wort. „Jeder weiß, was die Stunde geschlagen hat“, sagte er der „Bild“. Der Clubchef, der Trainer Labbadia durch fehlendes Vertrauen früh schwächte und den Fehlstart dadurch mitverursachte, muss seine eigene Position nun wieder stärken. Klar ist: Die Zeit der Ausreden ist nach dem Trainerwechsel für alle vorbei. Beiersdorfer nimmt jetzt vor allem die Mannschaft in die Pflicht: „Wir müssen Punkte holen.“

Im Gegensatz zum HSV hat der FC St. Pauli bislang die Ruhe bewahrt. Während Beiersdorfer Labbadia die Rückendeckung versagte, stellt sich St. Paulis Sportchef Thomas Meggle öffentlich vor Trainer Ewald Lienen. „Die Situation sehen wir sehr kritisch, aber es ist aus meiner Sicht kein Thema, das wir beim Trainer ansiedeln.“ St. Paulis Weg: nicht draufhauen, loben, aufbauen. „Wir werden das gemeinsam durchstehen. Die Leistung entspricht nicht dem Tabellenplatz“, sagte Meggle nach dem 0:2 in Hannover. „Mentalität und Einstellung stimmen“, stellte Trainer Lienen fest, „leider macht sich das nicht in den Ergebnissen bemerkbar.“

Die Ursachen:„Bis zum 16er spielen wir nicht schlecht. Wir müssen aber am letzten Pass und dem Torschuss arbeiten.“ Das sagt nicht etwa HSV-Trainer Gisdol, sondern St. Paulis Rechtsaußen Waldemar Sobota. Nur sechs Tore in acht Spielen hat der Kiezclub erzielt. Den HSV plagen dieselben Sorgen. Kein Team in der Bundesliga ist harmloser als der HSV. Die einzigen beiden Tore schoss Neuzugang Bobby Wood. Rekordtransfer Filip Kostic war noch nicht an einem Treffer beteiligt. Beiersdorfer investierte die 30 Millionen Euro im Sommer hauptsächlich für Offensivspieler. Der Effekt blieb bislang aus. Zwölf Gegentore belegen, dass der Kader unausgewogen zusammengestellt ist. Für Gisdol wird es eine große Herausforderung, das Offensivspiel zu verbessern und gleichzeitig die Defensive zu stabilisieren. Auch beim FC St. Pauli wurde eine ganze Reihe von Gründen ausgemacht. Verletzungen, Pech, Spielplan, Schiedsrichterentscheidungen, individuelle Fehler. „Schon die Vorbereitung lief nicht störungsfrei“, sagte Lienen. Wichtige Spieler fallen immer wieder wegen Verletzungen aus. Die letzte Saison so stabile Abwehrkette musste in acht Partien sechsmal neu formiert werden.

Die Stimmung: Der Spaß im HSV-Training ist unter Gisdol und seinen Assistenten Frank Caspari und Frank Fröhling zurückgekehrt. Für Gisdol geht es nun darum, Spielern wie Kostic, Nicolai Müller oder Lewis Holtby neues Selbstvertrauen zu vermitteln. Die sportliche Krise lächelt der Trainer bislang weg. „Ich bin zuversichtlich, wir packen das“, sagt Gisdol, der im Training neue Reize setzen will. Am Dienstag ließ er eine ungewöhnliche Übung einstudieren, bei der er im Spiel einen großen Kreis in der Mitte absteckte, der als verbotenen Zone diente. Das variable Training kommt im Team gut an.

An der Kollaustraße hätte man am Dienstag dagegen auf die Idee kommen können, Lienen hätte ein Straftraining angesetzt. Der „Shuttlerun“, eine harte Konditionseinheit, gehört für Lienen aber genauso dazu wie Einzelgespräche oder Videoanalysen. „Ich kann den Jungs nur immer wieder das Vertrauen aussprechen. Die Bereitschaft in der Mannschaft war immer vorhanden.“

Matz ab nach Gisdols Auftakt-Niederlage gegen Hertha BSC

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    Die Statistik: Seit der Einführung der Dreipunkteregel 1995 gab es in der Bundesliga erst drei Mannschaften, die in den ersten sechs Spielen nur einen Punkt holten. Eintracht Braunschweig (2013/14) und Hannover 96 (2015/16) stiegen am Saisonende als Tabellenletzter ab. Allein der HSV schaffte es 2011/12 noch auf Rang 15. Vereine, die nach dem sechsten Spieltag zwei Punkte hatten, wurden am Ende nie besser als Elfter. Die Einschätzung von Investor Klaus-Michael Kühne, der HSV werde wohl zwischen Platz sechs und acht landen, erscheint statistisch gesehen schon jetzt unrealistisch.

    Mehr Hoffnung kann St. Pauli schöpfen. Mit fünf Punkten aus acht Spielen sind schon viele Vereine gestartet, die am Ende eine ruhige Zweitligasaison erlebten.

    Die Perspektive: Beim Blick auf das Programm wird der gisdolsche Optimismus auf eine harte Probe gestellt. Die kommenden fünf Gegner haben alle mindestens zehn Punkte geholt. Nach der schweren Auswärtsaufgabe bei Borussia Mönchengladbach (15. Oktober) ist der HSV im Flutlicht-Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt schon zum Siegen verdammt.

    Bei St. Pauli ist es eigentlich ganz einfach: Das kommende Heimspiel gegen Erzgebirge Aue ist ein „Überholspiel“. Der Aufsteiger hat als Tabellen-15. nur zwei Punkte mehr als die Hamburger. „Wir müssen jetzt einfach mal zwei, drei Spiele gewinnen, um unten rauszukommen“, sagt Sobota. Wäre Fußball doch so einfach ...