Hamburg. Trainer Hasenhüttl zeigt sich vor der Partie gegen den HSV selbstbewusst. Doch wie gefährlich ist RB Leipzig wirklich? Ein Besuch.

Das Rezept für erfolgreichen Fußball klingt zunächst einmal gar nicht so kompliziert: Wasser, Saccharose, Glukose, als Säureregulator Natriumcitrate, Kohlensäure, dazu Taurin, Koffein, Vitamine sowie Aromen und Farbstoffe. Alles zusammengerührt, in eine schicke Dose gefüllt, einen satten Schlag Marketing dazu, fertig.

Ganz so einfach ist es dann aber natürlich doch nicht. Ralph Hasenhüttl, leuchtend orange Schuhe, kurze Hose, blütenweißes T-Shirt, sitzt im Besucherzentrum des Leipziger Trainingszentrums am Cottaweg 7 und redet schnell und viel. Im Hintergrund surrt ein Kühlschrank, in dem es die Gummibärbrause von Sponsor und Geldgeber Red Bull in sechs verschiedenen Sorten gibt: normal, ohne Zucker, ohne Kalorien, mit Heidelbeere, Kiwi-Apfel und Tropical. Für fast jeden Geschmack ist etwas dabei. Doch RB-Trainer Hasenhüttl spricht lieber über „harte Arbeit“ als über die Inhaltsstoffe des Getränks, das die Bundesliga wie kein anderes beschäftigt. „In Wahrheit interessiert dieses ganze Red-Bull-Abhängigkeitsgerede auch niemanden mehr“, sagt er.

An diesen Sonnabend (15.30 Uhr) empfängt der HSV erstmals RB Leipzig – und in Wahrheit spricht seit Tagen in Hamburg kaum noch jemand über etwas anderes als über Leipzigs mutmaßliche Abhängigkeit vom Brausegiganten. „Wir polarisieren – und das ist auch gut so“, relativiert Hasenhüttl.

RB Leipzig also, mit vollem Namen: RasenBallsport Leipzig e. V. Erst am 19. Mai vor sieben Jahren gegründet, indem auf Red-Bull-Initiative das Startrecht des SSV Markranstädt in der fünftklassigen Oberliga Nordost für einen sechsstelligen Betrag abgekauft wurde. Als 55. Neuling der Bundesligageschichte aber schon der mit Abstand umstrittenste. Noch vor dem FC Bayern wurde RB 2015 in Umfragen zum unsympathischsten Club der beiden Profiligen gewählt – aber klar ist auch, dass die Sachsen den Münchnern auch in der Kategorie sportlicher Erfolg bald Konkurrenz machen wollen. „Natürlich bin ich nicht nach Leipzig gekommen, um die nächsten Jahre gegen den Abstieg zu spielen“, sagt Hasenhüttl. „Selbstverständlich haben wir ambitionierte Ziele.“

Wer mehr über diese Ziele erfahren will, der braucht nur vier Stationen mit der Straßenbahn 15 vom Hauptbahnhof in Richtung Miltritz zu fahren. Gerade einmal einen Freistoß vom Stadtzentrum entfernt liegt dort das sechs Hektar große Trainingszen­trum, das 2011 in nicht einmal fünf Monaten fertig gebaut wurde. Herzstück des großzügigen Areals mit vier Natur- und zwei Kunstrasenplätzen ist die 13.500 Quadratmeter große Akademie, die im vergangenen Oktober eingeweiht wurde. Hier residieren Profis und Nachwuchstalente der U14 bis zur U19. „Es wird viel Arbeit notwendig sein, um die Diamanten zu schleifen, die wir hier haben. Nur so viel: Langfristig soll es nach oben gehen“, sagt Hasenhüttl, der aus Ingolstadt gewechselt ist.

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HSV-Pressekonferenz vor dem Spiel gegen RB Leipzig

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    Der Weg nach oben in der Akademie führt zunächst einmal zum Essen. „Fünf Gerichte werden hier täglich angeboten: vollwertig, vegan, glutenfrei, laktosefrei sowie gluten- und laktosefrei“, erklärt im ersten Stock der hypermodernen Akademie ein RB-Mitarbeiter. Hier sind die Mensas der Profis und des Nachwuchses untergebracht, nur durch eine offene Tür getrennt. „Die Tür ist immer offen – und das ist wörtlich gemeint“, sagt Hasenhüttl. „Die Jungen sollen wissen, dass der Weg zu den Profis immer möglich ist.“

    Es ist kein Geheimnis, dass RB viel Geld ausgibt. In diesem Sommer kaufte man Spieler für mehr als 50 Millionen Euro, insgesamt soll Red-Bull-Eigner Dietrich Mateschitz, dessen Vermögen auf 12,5 Milliarden Euro geschätzt wird, sogar 300 Millionen Euro in den Retortenclub gesteckt haben. Besonders im Nachwuchs soll das Geld locker sitzen. Für einen 15-Jährigen zahlte RB eine Viertelmillion, sechsstellige Ablösesummen sind keine Seltenheit, und vierstellige Gehälter, die von der Konkurrenz als unverhältnismäßig kritisiert werden, sind die Regel. Das ist die eine Seite, die Kritiker oft und gern zitieren.

    Die andere Seite ist das durchdachte Konzept, das RB so konsequent wie kein anderer Bundesligaclub umsetzt. Fast alle Jugendmannschaften spielen in den höchsten Ligen. Es gelten strenge Verhaltensregeln, Talente mit Tattoos haben es schwer. Und auch bei den Profis achten Sportdirektor Ralf Rangnick („Es muss im Verein immer jemanden geben, der das große Ganze im Blick hat“) und Trainer Hasenhüttl auf ein gesundes Gleichgewicht.

    „Ich weiß zwar nicht mit welchen Autos die Jungs in ihrer Freizeit rumfahren, aber zum Training kommen sie alle mit ihren Dienstwagen“, sagt Hasenhüttl. „Und die Dienstwagen sind nach Alter gestaffelt. Ein älterer Spieler bekommt ein größeres Auto als ein jüngerer Spieler. Ich finde das wichtig.“ Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Rangnick, der vor fünf Jahren schon einmal einen unterschriftsreifen Vertrag des HSV vorliegen hatte, seinerzeit sogar schon die Größe seines Dienstwagens ausgesucht hatte.

    Vergangenheit. Damals spielte RB noch in der Regionalliga Nord. Im Hier und Jetzt fährt Leipzig an sämtlichen Traditionsvereinen auf der Überholspur vorbei. Doch anders als im Jugendbereich, wo exorbitante Summen gezahlt werden, ist der finanzielle Aufwand in der Bundesliga tatsächlich überschaubar. Der Gehaltsetat der Profis liegt nach Abendblatt-Informationen bei gut 35 Millionen Euro und damit mehr als 15 Millionen Euro unter dem Profi-Etat des HSV. Kein Spieler verdient mehr als drei Millionen Euro, kein Neuzugang soll älter als 23 Jahre alt sein. „Unser Weg ist sehr viel nachhaltiger als der Weg von manch anderem etablierten Verein“, sagt Hasenhüttl und kratzt sich am Kinn. „Geld alleine reicht nicht. Man braucht auch einen klaren Plan.“

    Wer einen „Aufstand der Anständigen“ erwartete, irrte

    Dieser Plan ist vorgegeben – und wird ohne Kompromisse seit Jahren umgesetzt. Als die DFL vor zwei Jahren bei der Lizenzierung zickte, fuhr RB eine ganze Armada von Anwälten auf. Das Ende vom Lied: Nach einer monatelangen Hängepartie änderte RB nur marginal sein Bullenlogo, verpflichtete sich zudem, eine Führungsposition mit vom Hauptsponsor unabhängigen Personen zu besetzen. Doch das Sagen hat auch zwei Jahre später noch Multifunktionär Oliver Mintzlaff, der Geschäftsführer der GmbH, Präsident des Vereins und Red-Bull-Fußballchef ist. Er ist dem Investor, dem Verein und der Spielbetriebs-GmbH gleichermaßen verpflichtet. Und 99 Prozent der RB Leipzig GmbH gehören Red Bull.

    Doch wer in Leipzig einen „Aufstand der Anständigen“ erwartete, irrte. „Für viele Menschen in Leipzig ist RB ein neuer Farbtupfer in der Stadt“, sagt Hasenhüttl. „Fußball ist ein Kulturgut – und wir bereichern die Kultur Leipzigs.“

    Milliardär und RB-Chef
Dietrich Mateschitz
hat viel vor in Leipzig
    Milliardär und RB-Chef Dietrich Mateschitz hat viel vor in Leipzig © picture alliance

    Am Neumarkt 29 wird die Theorie in die Praxis umgesetzt. Im Fanshop von RB wird ein T-Shirt „We don’t care, RB seit 2009“ für 29,95 Euro angeboten, ein Babybody („Kleiner Held“) für 12,95 Euro und ein Schal zum ersten Ligaheimspiel gegen Dortmund („Das erste Mal vergisst man nie“) für 15 Euro. „Den 10. September 2016 werden viele Leipziger für lange Zeit abgespeichert haben“, sagt Hasenhüttl, der dem 1:0-Sieg gegen Dortmund nun den ersten Auswärtssieg in der Bundesliga in Hamburg folgen lassen will: „Wir sollten so selbstbewusst sein, dass wir offen sagen, dass wir gerne auch mehr als nur einen Punkt mitnehmen.“

    Es ist bereits nachmittags, als der Trainer mit seiner Mannschaft am Projekt Auswärtssieg feilen will. Am Trainingsplatz 3 haben sich knapp 40 Fans eingefunden, einer hat einen roten Bullen auf dem Unterarm tätowiert. Die Mauern rund um den Platz sind mit Motivationssprüchen bekannter Sportler verziert. Michael Jordans „Ich kann Versagen akzeptieren, keiner ist perfekt. Aber was ich nicht akzeptieren kann, ist, es nicht zu versuchen“ ist dabei, genau wie Usain Bolts „Man darf sich keine Grenzen setzen, nichts ist unmöglich“. Ein Anhänger mit RB-Kappe drückt es derber aus: „Den HSV hauen wir weg.“

    Doch auch 40 Minuten nach dem geplanten Trainingsstart ist von der Mannschaft nichts zu sehen. „Vielleicht ist denen ja zu heiß“, sagt einer. Dann kommt Cheftrainer Hasenhüttl aus der Akademie herausspaziert. „Die Mannschaft kommt gleich“, sagt er. Wegen der hohen Temperaturen hätten sich die Spieler auf der gekühlten Indoor-Tartanbahn warm gemacht. Hasenhüttl schreibt ein paar Autogramme, dann will er auf den Platz. „Auch gegen Dortmund waren wir nicht mit einem 0:0 zufrieden“, antwortet er, als er noch mal auf den HSV angesprochen wird und direkt zum Höhenflug ansetzt: „Wir wollen immer gewinnen.“