Hamburg. Fans wollen Aufsteiger RB einen ungemütlichen Empfang bereiten. Ein früherer HSV-Profi und heutiger Leipziger äußert sich dazu.
August 2009, Platz III des Ernst-Abbe-Sportfelds in Jena. Kapitän Ingo Hertzsch und RB Leipzig geben ihr Premierenspiel in der fünftklassigen Oberliga Süd des ostdeutschen Fußball-Verbandes. Vor 800 Zuschauern müht sich der neue Club der Red Bull GmbH, der das Spielrecht des SSV Markranstädt übernommen hat, zu einem späten 1:1-Ausgleich bei Carl Zeiss Jena II. Sieben Jahre ist das jetzt her. An diesem Sonnabend, vier Aufstiege später, reist RB Leipzig mit rund 2000 Fans zum ersten Bundesligagastspiel beim HSV. Damals wie heute erwartet den Club von Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz vor allem eins: Proteste und Ablehnung.
Hertzsch, der zwischen 1997 und 2003 für den HSV 151 Bundesligaspiele bestritt, musste damals in Jena nach dem Spiel vor den gegnerischen Fans so schnell wie möglich in den Teambus flüchten. Heute arbeitet der 39-Jährige für soziale Projekte des Clubs. Zuvor war er mehrere Jahre als Fanbetreuer in Leipzig tätig. Hertzsch ist die Abneigung gegen RB gewohnt. „Wir beschäftigen uns nicht mit den vereinzelten Protesten der gegnerischen Fangruppen. Jeder muss selbst wissen, ob er seinen Verein unterstützen will. Unsere Fans konzentrieren sich auf den Support ihres eigenen Teams“, sagt Hertzsch.
Fanmarsch zum Stadion
Auf Hamburger Seite dürfte das an diesem Wochenende anders sein. Die Botschaft der HSV-Fans: Marketingprodukt, nein danke. „Was Red Bull in Leipzig macht, ist schon eine harte Form der Kommerzialisierung“, sagt Nils Krüger. Der Mitgründer des Fanclubs HSVInside hat zu einem Fanmarsch gegen Red Bull aufgerufen. Am Sonnabend um 13 Uhr wollen die Anhänger vom S-Bahnhof Stellingen zum Stadion laufen und dort zunächst den Gästebus empfangen.
Krüger will die Aktion zwar mehr als Unterstützung für den HSV als einen gezielten Protest gegen RB Leipzig verstehen. Und doch erwartet der Fanclubleiter im Volksparkstadion eine „hitzige“ Atmosphäre. Bei der Fanbetreuung des HSV sind bereits die ersten Banner genehmigt worden, die ihre Ablehnung gegen den Aufsteiger ausdrücken. Auch von der Ultragruppierung Poptown werden Proteste erwartet. „Es ist kein großes Geheimnis, dass RB Leipzig bei den Fans nicht zu den Lieblingsvereinen zählt. So wird es sicher auch von unseren Fans kritische Statements geben“, sagt Joachim Ranau, Leiter der HSV-Fanbetreuung. Ranau entscheidet, welche Transparente erlaubt sind – und welche nicht. „Protest und Kritik sind aus unserer Sicht absolut in Ordnung, solange bestimmte Grenzen nicht überschritten werden und niemand diskriminiert, beleidigt oder bedroht wird.“
Supporters-Chef hat klare Meinung
Die HSV-Fans reihen sich damit ein in die Reihe der Protestbewegungen, die so alt sind wie der Club RB Leipzig selbst. Erst am vergangenen Wochenende hatten Fangruppen von Borussia Dortmund das Auswärtsspiel in Leipzig boykottiert. Im Pokalspiel vor drei Wochen warfen Anhänger von Dynamo Dresden einen abgetrennten Kuhkopf neben das Spielfeld. Eine Aktion, die von allen Seiten verurteilt wurde. Und doch sind sich die Fans in der Ablehnung gegen das Red-Bull-Projekt ligaübergreifend einig. Es ist letztlich auch eine Debatte über die Doppelmoral im Geschäft Fußball. Müssen Clubs traditionell gewachsen sein? Wie kommerziell darf ein Verein sein? Was unterscheidet RB Leipzig mit den Mateschitz-Millionen noch von Vereinen wie dem HSV, der die finanziellen Mittel auf dem Transfermarkt vom externen Geldgeber Klaus-Michael Kühne bekommt?
Timo Horn, Chef der HSV-Supporters, hat hierzu eine klare Meinung. „RB Leipzig ist in eine neue Dimension vorgestoßen. Marketing kann ein Mittel zum Zweck Fußball sein. Wenn der Fußball als Zweck zum Marketing benutzt wird, finde ich das aber schwierig“, sagt Horn, der ebenfalls mit Protesten der Hamburger Fans rechnet.
HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer, der von Februar 2010 bis Mai 2011 als Head of Global Soccer bei Red Bull fungierte und somit auch RB Leipzig verantwortete, bewertet den Vergleich entsprechend differenzierter. „Der HSV hat sich mit seinen Mitgliedern dazu entschieden, Kapital von extern zuzuführen. Das ist wie bei RB von der DFL legalisiert. Es gibt Auflagen, die erfüllt werden müssen. Das ist der Fall“, sagt Beiersdorfer.
In Leipzig ist RB salonfähig geworden
In Leipzig sehen die Verantwortlichen die Diskussion ohnehin gelassen. Nach dem 1:0-Sieg gegen den BVB surft der Club mit seinen Anhängern auch in der Bundesliga auf der Euphoriewelle. In der Stadt ist RB Leipzig salonfähig geworden. „Das Bewusstsein in der Stadt und die Bedeutung des Clubs für die Region werden immer größer. Es gibt grundsätzlich immer auch Kritiker, aber das wird spürbar weniger. Wir gehen unseren Weg unbeirrt weiter“, sagt Ingo Hertzsch, der am Sonnabend im Volksparkstadion dabei sein wird.
Dass der Protest der HSV-Anhänger ähnlich massiv ausfallen wird wie zuletzt in anderen Stadien, glaubt Fanbetreuer Joachim Ranau indes nicht. Dazu sei die sportliche Lage beim HSV derzeit deutlich bedeutender. „Wichtig ist in unserer Situation, dass wir gemeinsam mit der Mannschaft und unseren Fans das Spiel gewinnen“, sagt Ranau. „Darauf sollten wir uns konzentrieren.“