HSV-Mäzen macht den Transfer des brasilianischen Olympiasiegers möglich. Und auch ein Beraterschwergewicht hatte seine Finger im Spiel.

Der Tag, der wie kein anderer für den Irrsinn des Profifußballs steht, begann in Hamburg am Mittwoch um 8.47 Uhr. In einem dunklen Audi fuhren HSV-Teammanager Jürgen Ahlert, zwei brasilianische Berater, Douglas Santos, das Objekt der Hamburger Begierde, und dessen Papa am Athleticum auf dem Gelände des Universitätskrankenhaus Eppendorf vor. Erst am Dienstag war die brasilianische Delegation Hals über Kopf aus Belo Horizonte über Lissabon nach Hamburg gereist, um an diesem sagenumwobenen 31. August, dem letzten Tag der Transferfrist, Nägel mit Köpfen zu machen. Olympiasieger Santos, kurze Hose, weißes Shirt, stieg als Erster aus dem Auto, kniff die Augen zusammen und lächelte vor dem obligatorischen Medizincheck schüchtern. „Bom dia“, sagte der müde Fußballer zum Abendblatt. „Guten Tag.“

Es ist gar nicht lange her, da war dieser „gute Tag“ einfach als „letzter Tag der Transferfrist“ bekannt. Anfang der 2000er war das, als alle Clubs der Bundesliga Gesamtausgaben für eine Spielzeit von gut 100 Millionen Euro hatten. Bayern München kaufte damals den Schweizer Ciriaco Sforza für 2,3 Millionen Euro, und in Hamburg diskutierte man über 2,8 Millionen Euro und den vermeintlich unmoralischen Rekordtransfer von Marcel Ketelaer.

D-Day ermöglicht Unsummen

Heute, 16 Jahre später, wird dieser 31. August neudeutsch „Deadline Day“, oder kurz: D-Day, genannt, und man bekommt für 100 Millionen Euro nicht mal mehr einen ganzen Paul Pogba. Aberwitzige 105 Millionen Euro hat Manchester United für den französischen Vizeeuropameister an Juventus Turin überwiesen, das 90 Millionen Euro davon direkt wieder in den Kauf von Gonzalo Higuaín reinvestierte.

Für 55 Millionen Euro wechselte der Brasilianer Hulk aus der Fußball-Diaspora Russland in die Fußball-Einöde Chinas. 50 Millionen Euro waren Manchester City die Dienste von Schalke-Talent Leroy Sané wert, für 41 Millionen Euro wechselte der frühere HSV-Jugendspieler Shkodran Mustafi von Valencia zu Arsenal London.

Doch was die Großen können, das können auch die Kleinen. Augsburgs Albian Ajeti wurde am Mittwoch von Augsburg zum FC St. Gallen verliehen, Würzburgs Royal-Dominique Fennell wechselte gestern zum Halleschen FC, und rechtzeitig vor 18 Uhr unterschrieben auch Marcus Piossek und Zlatko Dedic bei ihrem neuen Arbeitgeber, dem SC Paderborn.

Krösus war natürlich die Premier League

Schon vor dem D-Day, an dem sich das Transferkarussell noch einmal ungebremst drehte, haben die 18 Clubs der Bundesliga in diesem Transfersommer knapp 530 Millionen Euro ausgeben. Etwas großzügiger waren die italienischen Clubs, die knapp 700 Millionen Euro für ihre Stars in kurzen Hosen investierten. Der Platzhirsch auf dem Fußballmarkt aber, wen wundert’s, war wieder einmal die englische Premier League, deren Clubs insgesamt 1,23 Milliarden Euro verprasst haben sollen. „Wir handeln wie mit Spielgeld. Wenn der Scheich keinen Bock mehr hat, wäre alles vorbei“, sagte kurz vor dem diesjährigen D-Day Liverpools Trainer Jürgen Klopp, der sich allerdings auch nicht dagegen sträubte, den hausgemachten Wahnsinn mit 80 Millionen Euro zu bezuschussen.

Brasiliens graue Eminenz mischte mit

In Hamburg hat man dummerweise keinen Scheich, aber einen kühnen Anhänger mit großem Herz und noch größerem Portemonnaie: den Milliardär Klaus-Michael Kühne. Und weil HSV-Clubchef Dietmar Beiersdorfer bekanntermaßen ein großer Liebhaber des „Deadline Days“ ist, wollte auch jener Kühne seinen Teil dazu beisteuern. Als also der obligatorische Medizincheck von Linksverteidiger Douglas Santos wenige Stunden später überstanden war, konnte der nigelnagelneue Fünfjahresvertrag unterzeichnet werden. Sieben Millionen Euro, so wird es hinter vorgehaltener Hand in Brasilien erzählt, erhält Santos’ vorheriger Club Atlético Mineiro.

Weitere drei Millionen Euro sollen sich Berater und Konsortien teilen. Die größte Agentur Brasiliens, Traffic, war an diesem Last-Minute-Deal dem Vernehmen nach genauso beteiligt wie Beraterschwergewicht Juan Figer. Die graue Eminenz im brasilianischen Fußball ist ein alter Bekannter von Beiersdorfer und von Kühnes externem Berater Reiner Calmund. „Der Didi hat die besten Drähte nach Brasilien. Der braucht keine Hilfe von mir“, sagte Calmund, der einst die halbe brasilianische Nationalmannschaft ins wunderschöne Leverkusen lockte.

Die teuersten HSV-Transfers:

Kostic und Co.: Die teuersten HSV-Transfers

Filip Kostic trägt die Bürde des bislang teuersten Einkaufs der HSV-Geschichte: Nach langen Verhandlungen mit dem VfB Stuttgart wurden im Sommer 2016 für den Serben 14 Millionen Euro plus Boni fällig
Filip Kostic trägt die Bürde des bislang teuersten Einkaufs der HSV-Geschichte: Nach langen Verhandlungen mit dem VfB Stuttgart wurden im Sommer 2016 für den Serben 14 Millionen Euro plus Boni fällig © WITTERS | ValeriaWitters
Ganz hoch hinaus wollte Rafael van der Vaart ab der Saison 2012/13 ein zweites Mal mit dem HSV. Die Rückholaktion des Niederländers von Tottenham ließ sich der Dino rund 13 Millionen Euro plus Boni kosten. Platz zwei für van der Vaart
Ganz hoch hinaus wollte Rafael van der Vaart ab der Saison 2012/13 ein zweites Mal mit dem HSV. Die Rückholaktion des Niederländers von Tottenham ließ sich der Dino rund 13 Millionen Euro plus Boni kosten. Platz zwei für van der Vaart © Witters
2006 konnte der damalige Vorstandsboss Bernd Hoffmann das Abwehrtalent Vincent Kompany im Volkspark begrüßen. 10,5 Millionen Euro (Platz 3) gab der HSV aus. Für den Weiterverkauf kassierte der Verein zwei Jahre später 8,5 Millionen Euro
2006 konnte der damalige Vorstandsboss Bernd Hoffmann das Abwehrtalent Vincent Kompany im Volkspark begrüßen. 10,5 Millionen Euro (Platz 3) gab der HSV aus. Für den Weiterverkauf kassierte der Verein zwei Jahre später 8,5 Millionen Euro © Witters
Der Inbegriff des HSV-Flops: Nach einer starken U21-EM im Sommer 2009 machte der HSV 10 Millionen Euro locker, um Bruno Labbadia Stürmer Marcus Berg (Platz 4) zu bescheren. Der Schwede dankte es mit einem Törchen in zwei Jahren
Der Inbegriff des HSV-Flops: Nach einer starken U21-EM im Sommer 2009 machte der HSV 10 Millionen Euro locker, um Bruno Labbadia Stürmer Marcus Berg (Platz 4) zu bescheren. Der Schwede dankte es mit einem Törchen in zwei Jahren © Witters
Knapp dahinter folgt der Brasilianer Walace, den der HSV im Winter 2017 für 9,2 Millionen Euro von Grêmio Porto Alegre verpflichtete
Knapp dahinter folgt der Brasilianer Walace, den der HSV im Winter 2017 für 9,2 Millionen Euro von Grêmio Porto Alegre verpflichtete © WITTERS | ValeriaWitters
9 Millionen Euro Ablöse im Sommer 2009 konnten Eljero Elia (Platz 6) nicht aufhalten. Der Niederländer machte nach 52 Bundesligaspielen wieder den Abflug
9 Millionen Euro Ablöse im Sommer 2009 konnten Eljero Elia (Platz 6) nicht aufhalten. Der Niederländer machte nach 52 Bundesligaspielen wieder den Abflug © Witters
Thiago Neves (Platz 7) war ein 9 Millionen Euro teures Missverständnis: Der Brasilianer lief ganze sechs Mal für den HSV auf - macht pro Spiel rund 1,5 Millionen Euro
Thiago Neves (Platz 7) war ein 9 Millionen Euro teures Missverständnis: Der Brasilianer lief ganze sechs Mal für den HSV auf - macht pro Spiel rund 1,5 Millionen Euro "Auflaufprämie" © Witters
Kerstin Lasogga gab Hamburg für ihren Sohn Pierre-Michel 2013 erst den Leih-Zuschlag, ein Jahr später dann einen festen Vertrag. 8,5 Millionen Euro wurden dafür fällig, macht Platz 8 für den Angreifer
Kerstin Lasogga gab Hamburg für ihren Sohn Pierre-Michel 2013 erst den Leih-Zuschlag, ein Jahr später dann einen festen Vertrag. 8,5 Millionen Euro wurden dafür fällig, macht Platz 8 für den Angreifer © Imago/Christoph Reichwein
Blutjung, aber schon ganz schön teuer: Marcell Jansen wechselte 2008 als 22-jähriger Nationalspieler an die Elbe. Bayern München erhielt 8 Millionen Euro für den Linksfuß (Platz 9)
Blutjung, aber schon ganz schön teuer: Marcell Jansen wechselte 2008 als 22-jähriger Nationalspieler an die Elbe. Bayern München erhielt 8 Millionen Euro für den Linksfuß (Platz 9) © Witters
Trainer Armin Veh freute sich 2010 über einen neuen Abwehrchef: Heiko Westermann löste der HSV für 7,5 Millionen Euro von Schalke los (Platz 10)
Trainer Armin Veh freute sich 2010 über einen neuen Abwehrchef: Heiko Westermann löste der HSV für 7,5 Millionen Euro von Schalke los (Platz 10) © Witters
Platz 11: Mladen Petric (M., zwischen Trainer Martin Jol und Bernd Hoffmann). Der Kroate kostete 2008 rund 7,3 Millionen Euro. Bei den Fans avancierte der Kroate zum Publikumsliebling
Platz 11: Mladen Petric (M., zwischen Trainer Martin Jol und Bernd Hoffmann). Der Kroate kostete 2008 rund 7,3 Millionen Euro. Bei den Fans avancierte der Kroate zum Publikumsliebling © Witters
Für die Dienste von Linksverteidiger Douglas Santos überwies der HSV im Sommer 2016 6,5 Millionen Euro an Atlético Mineiro. Den 12. Platz teilt sich Santos mit ...
Für die Dienste von Linksverteidiger Douglas Santos überwies der HSV im Sommer 2016 6,5 Millionen Euro an Atlético Mineiro. Den 12. Platz teilt sich Santos mit ... © WITTERS | TayDucLam
Lewis Holtby – der die Bälle für die Bälle dank einer Ablöse von 6,5 Millionen Euro jongliert ...
Lewis Holtby – der die Bälle für die Bälle dank einer Ablöse von 6,5 Millionen Euro jongliert ... © Witters
... mit Mohamed Zidan – der sich hier wohl auch fragen dürfte, wo die ganzen Millionen wohl hin sind. Die Bilanz des Ägypters in Hamburg: 21 Spiele, zwei Tore
... mit Mohamed Zidan – der sich hier wohl auch fragen dürfte, wo die ganzen Millionen wohl hin sind. Die Bilanz des Ägypters in Hamburg: 21 Spiele, zwei Tore © Witters
... sowie mit Kyriakos Papadopoulos, der im Winter 2017 zunächst auf Leihbasis kam und anschließend für 6,5 Millionen Euro fest von Bayer Leverkusen verpflichtet wurde
... sowie mit Kyriakos Papadopoulos, der im Winter 2017 zunächst auf Leihbasis kam und anschließend für 6,5 Millionen Euro fest von Bayer Leverkusen verpflichtet wurde © Witters
Für die späte Rückkehr André Hahns wurden im Sommer 2017 schließlich 6 Millionen Euro fällig. Platz 16
Für die späte Rückkehr André Hahns wurden im Sommer 2017 schließlich 6 Millionen Euro fällig. Platz 16 © Witters
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Weiterer HSV-Transfer zerschlug sich

Nun kann man an einem Tag wie gestern trefflich über den Sinn, Unsinn und Irrsinn des Profifußballs debattieren. „Die Summen stehen in keinem Verhältnis mehr zu den Leuten, die ins Stadion kommen, um sich ein Spiel anzusehen. Wenn es nur noch um Geld und Transaktion geht, verlieren wir die Beziehung zu den Menschen. Das schadet dem Fußball“, hatte schon vor dem „Deadline Day“ Dortmunds Trainer Thomas Tuchel gesagt, der – genau wie Klopp – in diesem Jahr aber so eifrig wie noch nie zuvor am Millionenrad gedreht hat. 110 Millionen Euro gab der BVB auch ohne Paukenschlag am D-Day aus, 111 Millionen Euro nahm die Borussia ein. Immerhin: In Dortmund darf man mit Fug und Recht von einem ausgeglichen Transfersaldo sprechen.

Das darf man in Hamburg nicht. Obwohl der angedachte Millionentransfer eines weiteren Defensivkünstlers sich in den letzten Stunden des D-Days zerschlug, gab der HSV bis zum Abend um 18 Uhr stolze 35 Millionen Euro aus, nahm aber nur überschaubare zwei Millionen Euro ein. Doch wer ernsthaft wissen will, wie so eine Milchmädchenrechnung bei einem Club, der sieben Jahre in Folge ein Millionenminus erwirtschaftet, aufgehen kann, der braucht nicht lange zu recherchieren: Kühne macht’s möglich. Der Milliardär, der Volker Struth in dieser Transferperiode als externen Berater hinzuzog, übernimmt sogar das 1,2-Millionen-Euro-Gehalt von Douglas Santos. Potzblitz.

Bot Tottenham 45 Mio. Euro für Max Meyer?

„Geld ist nichts mehr wert. Wir spielen hier Monopoly“, hatte Kölns Manager Jörg Schmadtke bereits nach dem „Deadline Day“ im vergangenen Jahr kritisch angemerkt. Schon damals ging es rasant im großen Zirkuszelt des Profifußballs zu. Vereine und Vermittler feilschten um Ablösesummen, Honorare und Provisionen. Morgens hieß es, dass Julian Draxler nach Turin wechselt, abends unterschrieb er für 36 Millionen Euro in Wolfsburg. „Der VfL bietet mir eine hervorragende Perspektive und hat eine äußerst starke Mannschaft“, sagte der damals 21-Jährige voller Überzeugung. Juve soll dann für Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan mitgeboten haben, während Leverkusen Schalkes Max Meyer als Ersatz für den zu Tottenham Hotspur verscherbelten 30-Millionen-Euro-Mann Heung-Min Son holen wollte. Ein Jahr später sind es die gleichen Clubs und Protagonisten, nur neu zusammengemischt. Die Dortmunder Gündogan (City) und Mkhitaryan (United) gingen für 27 respektive 40 Millionen Euro nach Manchester. Der überzeugte Wolfsburger Draxler wollte dann doch lieber zunächst nach Turin, später für unvorstellbare 75 Millionen Euro nach Paris. Son sollte plötzlich für 30 Millionen Euro nach Wolfsburg. Und Schalkes Max Meyer war von einen auf den anderen Moment Tottenham 45 Millionen Euro wert. Wie soll man da nur den Überblick behalten?

Die Antwort ist einfach, tut aber auch weh: Gar nicht. Bis zum Ende der Transferfrist notierte das Onlineportal „transfermarkt.de“ 233 Zu- und 213 Abgänge aus der Bundesliga. Der ganz normale Wahnsinn ist aus der Balance geraten, doch von einem Platzen der Blase Profifußball will von den Beteiligten noch niemand etwas wissen.

Santos erhält einen Fünfjahresvertrag

Immerhin Um 17.39 Uhr hatte der HSV am Mittwoch Gewissheit: Diesmal kam kein Fax (wie einst bei Maxim Choupo-Moting) und keine E-Mail (wie bei Berns Sekou Sanogo) zu spät. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir kurz vor dem Ende der Wechselfrist mit Douglas Santos unsere Defensive um einen spielstarken und talentierten Akteur verstärken konnten“, erklärte Clubchef Beiersdorfer nicht ohne Stolz, nachdem der brasilianische Neu-Hamburger auch die letzten formellen Hürden genommen hatte.

„Ich bin auf jeden Fall sehr froh, diesen Schritt nach Hamburg machen zu können“, ließ sich der 22-Jährige zitieren. „Ich freue mich schon jetzt auf die Mannschaft, das Stadion und die Fans.“ Und die Fans? Die freuen sich nach dem Ende der Sommer-Transferfrist auf: das Winter-Transferfenster. Der Irrsinn macht nur fünf Monate Pause.