Hamburg. Der Vorstandschef des HSV muss den Investor gegen Kritik verteidigen. Ein 15-Millionen-Mann steht ganz oben auf dem Einkaufszettel.
Sie hatten es eilig. Als Präsident Jens Meier um 14.34 Uhr die Mitgliederversammlung des HSV e. V. nach nur dreieinhalb Stunden beendete, war Saal II des Congress Centers Hamburg innerhalb weniger Minuten wie leer gefegt. Die Mitglieder, die das CCH fluchtartig verließen, ahnten offenbar, dass das um 15 Uhr beginnende EM-Spiel zwischen Frankreich und Irland (2:1) deutlich mehr Spannung bieten würde als die kürzeste HSV-Versammlung der vergangenen Jahre.
99,7 Prozent der 75.629 Mitglieder waren lieber gleich zu Hause geblieben. Nur 204 Stimmberechtigte sorgten am Sonntag für ein Rekordminus. „Ich hätte heute jedes Mitglied per Handschlag begrüßen können“, sagte Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, dessen Bericht von der Fußball AG noch die meisten Besucher interessiert hatte.
Doch als der 52-Jährige gleich zu Beginn seiner rund 18-minütigen Rede betonte, er werde nur über Sport reden, nahm er auch denjenigen die Spannung, die sich Auskünfte und Detailinformationen über die neue Vereinbarung mit Investor Klaus-Michael Kühne erhofft hatten.
Kritik an Abhängigkeit von Investor Kühne
Von Kritik verschont blieb Beiersdorfer deswegen nicht. Wie üblich waren es die Mitglieder Reinhard Hupfer und Konstantin Rogalla, die ihren Unmut und ihre Sorgen über die Finanzsituation der HSV Fußball AG äußerten. „Wieso sieht das Präsidium des e. V. tatenlos zu, wenn die AG ihre Personalkosten um 20 Prozent steigert und sich in eine Abhängigkeit von Herrn Kühne begibt?“, wollte Hupfer wissen. Auch Rogalla appellierte an den e. V., die „Geldverbrennung“ der AG nicht zu tolerieren. 57 Millionen Euro Transferausgaben seit der Ausgliederung 2014 hätten nicht die erwünschten Resultate erbracht, kritisierte Rogalla.
Beherrschendes Thema war aber einmal mehr das Wirken des Milliardärs und Anteilseigners Kühne. Vereinspräsident Meier, Mitglied des sechsköpfigen AG-Aufsichtsrats, widersprach dem Vorwurf, Kühne würde Einfluss nehmen auf sportliche Entscheidungen des Vereins: „Wir haben die richtigen Kontrollinstrumente.“ Auch Beiersdorfer wehrte sich entschieden gegen den Verdacht der externen Einflussnahme: „Wir entscheiden, welcher Spieler verpflichtet wird und ob er in unser sportliches Konzept passt.“
25 Millionen Euro für Neuzugänge
Beiersdorfer gab aber auch erneut zu, mit Kühne über mögliche Transfers zu sprechen. Der Anteilseigner und der HSV hatten vor Kurzem eine Vereinbarung über ein Darlehen getroffen, das dem HSV in diesem Sommer 25 Millionen Euro für Neuzugänge ermöglichen soll. Beiersdorfer bemühte sich, die Erwartungen zu bremsen. „Wer glaubt, dass wir jetzt in Millionen schwimmen und einen Topstar nach dem anderen holen, den muss ich enttäuschen.“
Eine Aussage, die Interpretationsspielraum zulässt. Denn zumindest um einen Topstar scheint der HSV sich zu bemühen. Filip Kostic (23), Linksaußen vom VfB Stuttgart, wird mal wieder mit dem HSV in Verbindung gebracht. Und nachdem der sicher geglaubte Transfer des pfeilschnellen Serben zum FC Valencia aufgrund der festgeschriebenen Ablösesumme von 15 Millionen Euro zu scheitern droht, ist der HSV noch im Rennen. Beiersdorfer wollte das Interesse weder bestätigen noch dementieren, sagte aber auch: „Es kann gut sein, dass etwas passiert in den nächsten Tagen. Wir sind in vielen guten Gesprächen.“
"Zehn-Millionen-Spieler von heute sind Vier-Millionen-Spieler von gestern"
Dass der HSV eine Ablösesumme im zweistelligen Millionenbereich zu zahlen bereit scheint, offenbarte eine weitere Aussage Beiersdorfers. „Die Zehn-Millionen-Spieler von heute sind die Vier-Millionen-Spieler von gestern.“
Zahlen, die aber auch verdeutlichen, wie weit sich die Fußball AG mittlerweile vom e. V. entfernt hat. Auch wenn Beiersdorfer am Sonntag betonte, einen Verein aus AG und e. V. vertreten zu wollen. Doch während sich die Fußballabteilung mit neuen Millionentransfers beschäftigt, war das brisanteste Thema des e. V. auf der Mitgliederversammlung die Abstimmung über die Zukunft einiger Tennisplätze auf den Paul-Hauenschild-Sportplätzen in Norderstedt. Der Verein wäre gerne mit der Stadt in die Verhandlungen über einen Verkauf der 7000 Quadratmeter großen Fläche gegangen. Ziel der Kommune ist eine bessere Zufahrt zum benachbarten Arriba-Erlebnisschwimmbad. Doch nur 100 Anwesende stimmten dafür. Der Antrag scheiterte.
HSV muss Steuern nachzahlen
Dem Verein entgeht damit vorerst die Chance, eine Kaufsumme jenseits der Millionenmarke zu kassieren. Angesichts des Verlusts von 1,875 Millionen Euro für das Geschäftsjahr 2014/2015, resultierend aus Rückstellungen und Steuernachzahlungen, wäre der Verein gerne in die Verhandlungen gegangen. Doch auch ohne den Verkauf ist der e. V. finanziell gut aufgestellt. Im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr erzielte der Gesamtverein mit 6300 Sportlern im Amateurbereich ein positives Ergebnis von 265.000 Euro.
Es war nicht die einzige Erfolgsmeldung des eingetragenen Vereins, der sich zunehmend über neue Aushängeschilder aus dem olympischen Sport wie Weitspringerin Nadja Käther oder die Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst definiert. „Wir sind schon Europameister“, sagte Jens Meier über das Erfolgsduo im Sand. „Vielleicht kann die Fußball-Nationalmannschaft das auch.“ Beim 3:0-Sieg der DFB-Auswahl gegen die Slowakei dürften dann auch alle Mitglieder wieder zu Hause gewesen sein.